Historie:Freifrau

LOU ANDREAS-SALOMÉ  (1861-1937). German writer and psychoanalyst. Photographed c1897.

Lou Andreas-Salomé, hier im Porträt von 1897, schrieb schon als Jugendliche ihre berühmten Zeilen: "Gewiss, so liebt ein Freund den Freund, wie ich dich liebe, Rätselleben. Ob ich in Dir gejauchzt, geweint, ob du mir Glück, ob Schmerz gegeben."

(Foto: Ullstein Bild)

Lou Andreas-Salomé mangelte es nicht an berühmten Verehrern. Doch die Schriftstellerin strebte nach Höherem.

Von Anne Backhaus

Ein brennender Bücherhaufen, darin ein gezeichnetes Bild Sigmund Freuds. Sein Antlitz wird von den Flammen aufgefressen. Aus dem Off ertönt die schrille Stimme eines Nazi-Hetzers. Schnitt. Ebenjene Zeichnung Freuds hängt gerahmt an einer Wohnzimmerwand. Im Raum sitzt eine Frau, das Gesicht ernst, umrahmt von ihren grauen Locken. Sie lauscht auf die Schreie. Mühsam schreibt sie einen Brief, ihre eigene Schrift kann sie nur unter einer Lupe erkennen: "Mein lieber Professor Freud, die jüngsten Ereignisse hier lassen für Deutschland das Schlimmste befürchten. Nun hoffe ich, dass es Ihnen gut geht."

Göttingen, den 11.05.1933.

Das Dokudrama "Lou Andreas-Salomé", das am kommenden Donnerstag in den Kinos startet, ist die erste Verfilmung des Lebens einer legendären Frau. Die russisch-deutsche Schriftstellerin war ihrer Zeit weit voraus. Die erste Schülerin Sigmund Freuds, der sie die "Dichterin der Psychoanalyse" nennt, prägt mit ihren philosophischen und psychologischen Arbeiten die Geistesgeschichte. Schon als Teenager besticht sie durch ihren Wissensdurst und erste Gedichte. Trotzdem ist Andreas-Salomé heute mehr für ihre wilde Biografie und ihre Verehrer bekannt, zu denen unter anderem Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke zählen. Der eher brave Film verzichtet nicht auf Beziehungsdramen, lässt die Geschichte allerdings einige Jahre vor ihrem Tod, im Februar 1937, beginnen.

Mithilfe des Germanisten Ernst Pfeiffer verfasste Andreas-Salomé ihre "Lebenserinnerungen". Pfeiffer ist es auch, der später über ihr Vermächtnis wacht und es vor den Nationalsozialisten bewahrt. Das Gedankengut der extrem intelligenten und emanzipierten Frau passt nicht in die Ideologie des Dritten Reiches.

Heiraten und Kinder zu gebären, kommt für die junge Louise nicht infrage

Andreas-Salomé, geboren am 12. Februar 1861 als Louise von Salomé in St. Petersburg, schert sich nicht um bürgerliche Konventionen. Bereits als 21-Jährige schreibt sie: "Wir wollen doch sehn, ob nicht die allermeisten sogenannten ,unübersteiglichen Schranken', die die Welt zieht, sich als harmlose Kreidestriche herausstellen!" Zu solchen Kreidestrichen gehört für sie zum Beispiel die damals gängige Vorstellung, die einzig sinnvolle Aufgabe einer Frau sei es, zu heiraten und Kinder zu gebären. Für die junge Louise kommt das nicht infrage. Sie will schreiben, studieren und die Welt sehen. Frei sein! Im Film erzählt sie als 72-Jährige, gespielt von Nicole Heesters, von ihrem bewegten Leben, das sie unter anderem in die Schweiz, nach Italien, München und Berlin führte.

Rückblenden dokumentieren die wichtigsten Stationen. Da ist sie als kleines Mädchen auf dem Arm des Vaters, einem russischen General. Dann im innigen Zwiegespräch mit Gott, kurz bevor sie für immer den Glauben an ihn verliert. Mit 18 sieht man sie als Schülerin des Pastors Hendrik Gillot, der sie nicht nur als erster intellektuell fördert, sondern schließlich ihre Beziehung zu Männern zutiefst erschüttert. Gillot macht dem Mädchen, das so alt wie seine Töchter ist, einen Heiratsantrag und verletzt damit den von seiner Schülerin so geliebten und bislang geschützten Raum ihres gedanklichen Austauschs.

"Mit einem Schlage fiel das von mir Angebetete mir aus dem Herz und Sinnen ins Fremde", benennt sie, was sie noch so oft heimsuchen soll. Und vorerst dazu bringt, der leiblichen Liebe abzuschwören. Nichtsdestotrotz fühlt sie sich Männern weiterhin verbunden, immerhin ist sie mit fünf älteren Brüdern aufgewachsen und kennt kaum andere Gesellschaft. "Dies bestimmte stark und lebenslang meine Unbefangenheit und Zutraulichkeit allen Männern gegenüber und wurde nie Lügen gestraft".

Andreas-Salomé flieht vor Gillot und ihrer Enttäuschung ins Ausland und beginnt zum Ärger ihrer Mutter ein Studium in Zürich. Wegen eines hartnäckigen Bluthustens muss sie es jedoch aufgeben. Sie geht nach Rom und wird von einer frühen Vorkämpferin der Frauenemanzipation aufgenommen: Malwida von Meysenbug. Bei ihr trifft sie auch die ersten einer ganzen Reihe imponierender Dichter und Denker, die Lou Andreas-Salomé für ihren Geist verehren. Darunter der damals noch unbekannte Philosoph Nietzsche, der sie bald sein "Geschwistergehirn" ruft, so "scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe".

Nietzsche wird jedoch über ihre Sturköpfigkeit fast verrückt. Seine Heiratsanträge lehnt sie allesamt ab, träumt einzig von einer "Dreieinigkeit" und intellektuellen Wohngemeinschaft mit ihm und dem gemeinsamen Freund Paul Rée. Doch auch der will am liebsten ihr Mann sein. So sehr die Männer ihren Freigeist schätzen, so wenig können sie davon lassen, Lou fest an sich binden zu wollen. Immer wieder erlebt sie, was sie schon bei ihrem Lehrer Gillot betrübt hat: Die innige Verbundenheit und gemeinsamen Gedanken werden durch Heiratswünsche zerstört.

Sie selbst nennt sich Egoistin. Will nie für alle Frauen, sondern nur für sich die Regeln brechen

Einen Antrag nimmt sie an. 1887 heiratet sie den fünfzehn Jahre älteren Orientalisten Friedrich Carl Andreas. Eine Scheinehe. Lou willigt nur unter der Bedingung ein, die Ehe niemals sexuell zu vollziehen. Er stimmt zu. Das Ausbleiben körperlicher Zuwendung führt trotzdem zu Verdruss bei ihrem Ehemann. Vielleicht umso mehr, als sich Lou Andreas-Salomé schließlich doch zum ersten Mal einem Mann hingibt. Nur halt einem anderen.

Der junge Lyriker Rilke, den sie für "seine weiblichen Anteile" schätzt, erobert ihr Herz. Leidenschaftlich verbunden, reisen die beiden durch Russland. Doch Rilkes Gefühlsschwankungen und Anhänglichkeit setzen Andreas-Salomé zu. 1901 trennt sie sich von ihm. Er schreibt danach die Zeilen: "Warst mir die mütterlichste der Frauen, ein Freund warst Du, wie Männer sind, ein Weib, so warst Du anzuschauen, und öfter noch warst Du ein Kind."

Sie selbst nannte sich eine Egoistin. Sie wollte nie für alle Frauen, sondern nur für sich selbst die Regeln brechen. So lautete auch ihr Wahlspruch: "Die Welt, sie wird dich schlecht begaben, glaube mir's! Sofern du willst ein Leben haben: raube dir's!" Im Film sagt ihn am Ende die alte Lou mit wundem Blick. Kurz zuvor hat sie haufenweise eigene Aufzeichnungen und Briefe in ihren Ofen gestopft. Denn draußen schreien die Nationalsozialisten.

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