Historie:Ein Schloss im Schlaf

Mit dem Militärputsch endete vor 50 Jahren die Königsdynastie in Griechenland, seither zerfällt ihre Residenz. Ein Mann will das Gebäude nun retten.

Von Christiane Schlötzer

Der König schläft, als durch Athen die Panzer rollen, im zweiten Stock seines Schlosses, draußen vor der Stadt. Nach dem Abendessen hat Konstantin II. noch einen Spielfilm gesehen, in seinem Heimkino, das er sich direkt unter sein Büro einbauen ließ, der riesige Projektor war ein Geschenk der 20th Century Fox. Es ist nach ein Uhr nachts, als Konstantin durch einen Anruf seines Sekretärs geweckt wird, wenig später sind alle Telefone tot, das Schloss ist umstellt. In Griechenland haben die Obristen geputscht, mittelmäßig begabte Offiziere aus der zweiten Reihe der Armee.

Morgens um sechs Uhr tauchen die Putschisten dann persönlich im Schloss auf. Der 26-jährige König tobt, als sie ihm erklären, sie hätten Griechenland doch für ihn "gerettet". Sie zeigen ihm ein Papier, damit soll Konstantin den Belagerungszustand verhängen und die Menschenrechte aufheben. Der weigert sich. Die neuen Machthaber aber haben ohnehin schon Fakten geschaffen: In der Nacht auf den 21. April 1967 haben sie bereits mit den Verhaftungen begonnen. Es werden bald Tausende sein, die in Polizeistationen, Folterkellern und auf Verbannungsinseln verschwinden, Gewerkschafter, Politiker, Künstler. Und der König in seinem Schloss, genannt Tatoi, in einem feenhaften Wald, er kooperiert dann doch mit der Diktatur.

Die meisten Griechen haben ihm das nie verziehen, vergessen haben sie es auch nicht.

"Tatoi ist ein Tabu, als würden die Griechen dort wieder zu Monarchisten."

"Am Morgen nach dem Putsch waren wir alle wie versteinert, wir wussten nicht, wem wir trauen sollten, keiner hat etwas gesagt, in den Bussen, auf den Straßen, das große Schweigen", erinnert sich die Athenerin Eleni Torossi, damals 20 Jahre alt. "Der König", sagt die Schriftstellerin, "war eine komische Figur. Trotzdem haben wir gedacht, der muss doch was machen, intervenieren. Tat er aber nicht, da waren wir sehr enttäuscht." Torossi ist im Zentrum Athens aufgewachsen. In einem ihrer Bücher beschreibt sie, wie ihre taubstumme Mutter am Morgen nach dem Putsch aus dem Haus läuft, um Milch zu holen, und ein Offizier brüllt sie an: "Halt! Oder ich schieße!" Stille, für Sekunden. Bis ein Nachbar auf die Straße rennt und ruft: "Stopp! Die Frau ist taub." Eleni Torossi fröstelt nun in der Wintersonne in einem Athener Straßencafé, sie erzählt, wie sie nach dem Putsch auf ihren Freund wartete, und der nicht kam: "Er lief auf der Patission, einer der großen Straßen, da standen überall Panzer, und darüber leuchtete die Akropolis." Für Torossi ist das "bis heute ein irres Bild", die Panzer und darüber der Parthenon. In Tatoi, dem alten Königsschloss, knapp 25 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, war sie nie: "Aber ich wollte immer mal hin."

Historie: Das Dornröschenschloss: Seit der König floh, verfällt seine Residenz Tatoi.

Das Dornröschenschloss: Seit der König floh, verfällt seine Residenz Tatoi.

(Foto: Alamy/mauritius images)

Als Vasilis Koutsavlis auf einer Wanderung 2008 erstmals nach Tatoi kommt, hängen die Wolken tief über den alten Pinien und den hohen Kiefern. "Ich mag englisches Wetter", sagt Koutsavlis. Schon das ist nicht ungewöhnlich für einen Griechen. Koutsavlis spazierte vor zehn Jahren allein durch den Wald von Tatoi, plötzlich stand er vor einem Zaun, der kein Hindernis war, weil er Lücken hatte. Dahinter fand er ein großes Gebäude mit verwitterter Fassade und herrschaftlicher Freitreppe. Und im hüfthohen Gras einen amerikanischen Straßenkreuzer, platt gedrückt wie ein schlappes Sandwich, die Ledersitze zerfressen von Mäusen oder anderem Getier. "Ich fragte mich", sagt Koutsavlis, "wo bin ich hier?" Und: "Oh, mein Gott, irgendjemand muss das alles retten."

Koutsavlis ist kein Historiker, er hat Marketing und Management studiert, aber er liebt schöne, alte Dinge, und er konnte sich damals nicht erklären, warum sich keiner um das historische Schloss kümmerte, um Tatoi, das Landgut und den Wohnsitz der griechischen Könige.

Erworben hat das malerisch an den Abhängen des Parnitha-Gebirges gelegene weitläufige Gelände 1872 Georg I., der zweite König von Griechenland. Er war Nachfolger des Bayern Otto (die Griechen konnten sich ihre Herrscher lange nicht selbst aussuchen). Georg I., der eine hundert Jahre währende Dynastie begründete, stammte aus dem dänischen Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, seine Frau Olga war eine Enkelin des russischen Zaren Nikolaus I.; die vierzig Gebäude, die nach und nach in Tatoi entstanden, haben wenig mit griechischen Vorbildern gemein. Sie tragen Giebeldächer, wie man sie in Ländern braucht, in denen es viel schneit. Das Schloss selbst ist eine Kopie eines kleinen russischen Palasts der Zarenresidenz von Sankt Petersburg.

Georg I. ließ auch den dichten Wald anlegen, zuvor konnte man vom Schlossbalkon die Akropolis und das Meer sehen, heute blickt man nur auf Baumwipfel. Dichtes Grün umgibt auch die Königsgräber, die weißen Marmorplatten schimmern im Sonnenlicht zwischen den dunklen Stämmen. Der Däne Georg I. wollte unter der griechischen Sonne bestattet werden, nicht in einem Mausoleum. So geschah es auch mit den meisten seiner Nachfahren.

Das Putschjahr 1967 ist eine Zäsur. Konstantin II. verlässt Tatoi im Dezember. Er hat sich davor noch mit einem dilettantischen Gegenputsch blamiert und flieht. Das war eigentlich schon das Ende der Monarchie, besiegelt wurde dies dann in einem Referendum, nach dem Zusammenbruch der Diktatur 1974. Knapp 70 Prozent der Griechen stimmten für die Demokratie und gegen den König, drei Viertel stimmten ab. Das Ergebnis war eindeutig.

Historie: Schlossfan Koutsavlis: "Ich fragte mich: Wo bin ich hier?"

Schlossfan Koutsavlis: "Ich fragte mich: Wo bin ich hier?"

(Foto: Christiane Schlötzer)

Seit 50 Jahren liegt Tatoi im Dornröschenschlaf. Vasilis Koutsavlis würde das gern ändern, seit er erstmals vor dem verwunschenen, dem verwünschten Schloss stand: "Es war die Zeit, als Facebook in Griechenland noch am Anfang war." Koutsavlis schuf erst eine Facebookseite und später einen Bürgerverein, die "Freunde von Tatoi". Anfangs war er so begeistert, man könnte auch sagen, naiv. Er dachte an all die Königsschlösser in anderen Ländern, die gehegt und gepflegt und von Touristen erobert wurden. An die französischen Schlösser an der Loire und an Neuschwanstein. Koutsavlis wurde dann von vielen als "Royalist" beschimpft. "Das bin ich nicht", sagt er, "ich stamme aus einer linken Familie aus Lesbos. Tatoi ist ein Tabu, als müsse man fürchten, die Griechen würden durch einen Besuch dort wieder zu Monarchisten, wir haben aber eine starke Demokratie."

Koutsavlis erzählt von dem Historiker Kostas Stamatopoulos, der schon vor Jahren Tatoi erforschen wollte und inzwischen die Schlossfreunde unterstützt. Der Historiker durfte anfangs nicht in die staatlichen Archive: "Er suchte und fand dann Material in London, Moskau, Sankt Petersburg und in Deutschland."

Völlig erfolglos sind die Tatoi-Fans aber nicht. Wer heute dort im Wald spazieren geht, ist selten allein. Der Verein hat Tatoi bekannt gemacht. An sonnigen Wintertagen trifft man auf Kindergärterinnen, die Vierjährigen die Botanik erklären, und auf Mountainbiker, die sich auf verschlammte Pfade wagen. Im Sommer sind die Lichtungen voller Menschen mit Picknick-Körben. Der Weg dorthin führt immer noch vorbei an Wachhäuschen, in denen kein Wächter wacht, durch Lücken im Zaun. Auch sonst ist fast alles noch so, wie es Koutsavlis vor zehn Jahren vorfand, als er sich wie der Entdecker einer vergessenen Welt fühlte.

Immer noch gibt es da die rote Tanksäule, an der schon lange niemand mehr Benzin zapft. In einer offenen Garage steht ein Oldtimer, als wäre das hier Schauplatz für einen 30er-Jahre Film. Der riesige Pool am Schloss ist leer, die Türen des Gebäudes sind versperrt. Die "Freunde" würden darin gern ein Museum einrichten und das alte Landgut drumherum wiederbeleben, wie einst dort Wein, Öl und Butter produzieren. "Tatoi konnte sich früher selbst versorgen", sagt Koutsavlis.

Eleni Torossi, 2014

Nach dem Putsch im Exil: Die Autorin Eleni Torossi.

(Foto: Florian Peljak)

Aus Tatoi Geld machen, diese Idee hatte auch der griechische Staat: Im Krisenjahr 2012 stand das Schloss plötzlich auf der Liste zur Privatisierung von Staatsbesitz. Die "Freunde" waren entsetzt, drohten mit Klage vor höchsten Gerichten. Es gab eine Verkaufspräsentation in London, doch es fand sich kein Investor. "Als die Interessenten hörten, dass fünf Ministerien und sieben Behörden für Tatoi zuständig sind, sind alle abgesprungen", sagt Koutsavlis. "Die Bürokratie ist unser größtes Problem." Und manchmal auch die Rettung.

Seit 2016 gibt es nun, nach langem Ringen, einen Plan des Kulturministeriums, das Schloss tatsächlich zum Museum zu machen und dort einige der 17 000 Gegenstände - Gemälde, Kristall, Porzellan, Möbel, Teppiche, Fotos - auszustellen, die Spezialisten schon geborgen haben. Es gab dort einst noch mehr Wertsachen. Aber immer wieder waren Vandalen unterwegs, klauten in Tatoi, was erreichbar war. 1993 hatte die Regierung dem im Exil in London lebenden Konstantin zudem erlaubt, Tatoi noch einmal zu betreten, um persönliche Erinnerungsstücke abzuholen. Man dachte an Kinderbilder oder Kleider. Konstantin jedoch belud viele Container und nahm sie mit nach London. "Nichts wurde fotografiert, nichts aufgelistet in jener Nacht", sagt Koutsavlis. 2007 tauchte vieles aus Tatoi bei Christie's in London auf, die Auktion erbrachte rund elf Millionen Euro.

Schon 2002 hatte der Staat 13,2 Millionen Euro an die Familie des einstigen Monarchen gezahlt. Man wollte verhindern, dass Konstantin in Tatoi noch einmal Hof hält, und sei es nur einen Sommer lang. Die Entschädigung, die auch der Europäische Gerichtshof verlangt hatte, findet Koutsavlis richtig, denn Tatoi sollte den Griechen gehören, nicht einer einzigen Person.

Über die Museumspläne sind sich Regierung und "Freunde" nun weitgehend einig, nicht aber über den Rest. Die Regierung wünsche sich Tavernen, Cafés und ein Konferenzzentrum, sagt Koutsavlis. "Wir haben doch schon genug Konferenzorte, zum Beispiel in den 2004 aufgegebenen Olympia-Bauten." Der Verein möchte lieber die vor sich hin dämmernden königlichen Kutschen und die alten Autos ausstellen, Rolls Royce, Mercedes, MG Cabrios: "Die stehen da alle noch rum."

Athen damals: "Sie haben uns nicht reden lassen, nicht singen, nicht ausgehen."

Die Royals hatten bis zum Ende gut gelebt, während das jährliche Pro-Kopf-Einkommen in Griechenland Anfang der 60er-Jahre gerade mal 550 Dollar betrug. Politisch waren die Zeiten bewegt, und das Königshaus spielte auch dabei eine unglückliche Rolle. Konstantin mischte sich in die Regierungsgeschäfte ein, es heißt, auf Drängen seiner Mutter Friederike, einer Enkelin Kaiser Wilhelms. Der König entließ 1965 die gewählte, fortschrittlich gesonnene Regierung von Georgios Papandreou (auch er Begründer einer Dynastie, von Politikern). Das bereitete dem Putsch den Weg. Die Obristen fuhren auf dem Ticket des Antikommunismus - was ihnen bei einigen Politikern im Westen sogar Sympathien sicherte - und zerstörten die Hoffnungen vieler junger Griechen. Denn Papandreous Aufstieg war von einem einzigartigen kulturellen Aufbruch begleitet, nach der Düsternis von Weltkrieg und Bürgerkrieg. "Die Bewegung hieß Neo Kima, neue Welle, es gab Liedermacher und Dichter, die uns begeisterten", sagt die Autorin Eleni Torossi. Nach dem Putsch war das vorbei: "Sie haben uns nicht reden lassen, nicht singen, nicht ausgehen."

Torossi verließ Athen 1968, als Griechenland in einer bleiernen Zeit versank, in Paris die Studenten revoltierten, in Berlin auf Rudi Dutschke geschossen wurde und die Rolling Stones "Street Fighting Man" sangen. Sie fuhr mit dem Zug über den Balkan und stieg in München aus. Hier, wo einst Griechenlands erster König Otto aufbrach, half sie, die Diktatur zu bekämpfen. Der Bayerische Rundfunk spielte dabei eine besondere Rolle: "Da hatten Leute das Sagen, die nicht lange zuvor selbst eine Diktatur erlebt hatten", sagt Torossi. Das griechische Programm des BR wurde zu einer Zelle des Widerstands gegen die Obristen. Die Deutsche Welle übernahm die Sendungen, so waren sie in Griechenland zu empfangen, wo abends die Fensterläden geschlossen wurden, um die Stimmen der Griechen aus dem deutschen Exil zu hören.

Koutsavlis hat andere Erinnerungen, er ist 41, wurde nach der Diktatur geboren, er sagt: "Wir sollten keinen Teil unserer Geschichte vergessen." Auch nicht Tatoi.

Ein Studentenaufstand in Athen und ein absurdes Putschabenteuer auf Zypern sorgten nach sieben Jahren für das Ende der Diktatur in Griechenland. Eleni Torossi kehrte dann erstmals in ihre Heimat zurück: "Ich bin an der Grenze ausgestiegen und habe die Erde berührt."

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