Süddeutsche Zeitung

Hirnforschung:Raus aus dem Kopf

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Mit etwas Übung sind Menschen in der Lage, unangenehme Erinnerungen bewusst zu verdrängen. Das berichten amerikanische Neurowissenschaftler.

Mit etwas Training können einige Menschen unangenehme Erinnerungen unterdrücken. Das haben Forscher um Brendan Depue vom Institut für Psychologie der Universität von Colorado in Boulder (USA) herausgefunden. Die Gruppe hatte ihren Testpersonen in dem Experiment mit einem Magnetresonanz-Tomographen ins Hirn geschaut (fMRI) und präsentiert die Arbeit im Journal Science (Bd. 317, S. 215).

Zusammen mit seinen Kollegen hatte Depue den Versuchspersonen in der Lernphase 40 Bildpaare präsentiert. Das erste zeigte ein neutrales menschliches Porträt, das zweite ein unangenehmes Motiv. Zu sehen waren unter anderem ein Unfall, ein elektrischer Stuhl, der Ort eines Verbrechens oder ein verletzter Soldat.

In der zweiten Phase des Experimentes wurde den Probanden jeweils nur das Gesicht des Bildpaares gezeigt. Daraufhin sollten sie versuchen, sich an das zugehörige, verstörende Motiv zu erinnern - oder diese Erinnerung zu unterdrücken. Währenddessen blickten die Forscher den Probanden mit der funktionellen Magnetresonanz- Tomographie ins Hirn. Die dabei entstehenden Karten zeigen, welche Regionen des Hirns bei der jeweiligen Aufgabe aktiv sind.

Hilfe für Patienten mit traumatischen Erinnerungen

Die Resultate zeigten, dass die Erinnerung in einigen Fällen tatsächlich aktiv unterdrückt wurde und dieser Vorgang unter der Kontrolle der vorderen Hirnrinde stehe, heißt es in Science (FDOI: 10.1126/science.1139560). Die Ergebnisse könnten vielleicht dazu beitragen, Patienten mit traumatischen Erinnerungen und Phobien zu helfen.

Im Detail ergab sich, dass der präfrontale Cortex - ein Teil der Großhirnrinde - andere Regionen im Hirn beeinflusste. Davon betroffen war zunächst ein Gebiet, dass mit der Verarbeitung von Sinneseindrücken beim Erinnern zusammenhängt, erklärt Depue.

Im zweiten Schritt unterdrücke ein weiterer Teil des präfrontalen Cortex auch die Aktivität zweier weiterer Hirnregionen: Die erste von ihnen ist am Erinnern beteiligt, die zweite stützt Emotionen, die mit einer Erinnerung verbunden sind.

Die Untersuchung liefert dem Laien allerdings kein Rezept dafür, wie er zu Hause - etwa durch Konzentration oder andere Techniken - gezielt vergessen kann, um zum Beispiel eine Trennung oder andere schlimme Ereignisse auszulöschen.

Die Studie zeige aber, dass die Probanden "eine gewisse Kontrolle über ihre emotionalen Erinnerungen haben", erklärt Depue in einer Mitteilung seiner Universität. "Indem sie einige Bereiche ihres Hirns zumachen, konnten sie den Empfang einiger Erinnerungen stoppen."

Depue spekuliert auch über den Ursprung dieser Fähigkeit und wählt als Beispiel einen steinzeitlichen Jäger, der bei seiner Hatz auf eine Antilope seinerseits nur knapp einem Löwen entkam. "Wenn der Jäger von seinen Erinnerungen derart mitgenommen wäre, dass er nicht mehr jagen konnte, wäre er verhungert."

Psychologen streiten seit rund 100 Jahren darüber, ob der Mensch die nach Ansicht der Forscher jetzt gezeigte Fähigkeit besitzt oder nicht. Während einige Kollegen bereits erste Hinweise darauf geliefert hätten, gelte anderen Experten die Unterdrückung von Erinnerungen als "klinischer Mythos", schreibt Depue.

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dpa
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