Hells Kitchen (XI):Dicker Fisch

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Unser Kolumnist lernt gerade: Mit einer Grand Tour durch die Vereinigten Staaten untrennbar verbunden sind große Portionen im Lokal. Das Reisegepäck wird dadurch nicht leichter, er schleppt mit jeder Station ein knappes Kilo mehr mit sich rum.

Von Christian Zaschke

Wir waren in Savannah, als mein Anwalt beschloss, in sein bürgerliches Leben zurückzukehren. Seit mehr als einer Woche waren wir von New York gen Süden gefahren. Der Plan war, irgendwann rechts abzubiegen und dann so lange weiterzufahren, bis die Straße zu Ende ist. Das ist auch weiterhin der Plan, doch mein Anwalt, der einer meiner ältesten Freunde ist, hat beschlossen, die Reise nicht bis zum Ende mitzumachen.

In Savannah hatten wir vor einem Pub namens "The Warehouse" Station bezogen, wo man auf wackligen Stühlen sitzt und den Savannah River betrachtet. Das macht man idealerweise einige Stunden so. Zudem behält man die Flaneure im Auge, und obwohl man weiß, dass in Amerika sehr viele sehr dicke Menschen leben, war mein etwas zu dünner Anwalt mal wieder erstaunt darüber, dass in Amerika so viele so dicke Menschen leben.

Immerhin weiß er jetzt, warum das so ist. Wenn man zum Beispiel im Hyman's in Charleston die gemischte Fischplatte und eine klitzekleine Vorspeise bestellt, bekommt man erst eine Vorspeise, die man nicht bestellt hat. Geht aufs Haus, sagt der dicke Kellner, der so freundlich ist, als hätte er sein Leben lang auf den Tag gewartet, an dem mein Anwalt und ich das Lokal betreten. Dann wird die bestellte Vorspeise gereicht, die man nur bewältigt, falls man wirklich daran glaubt, dass morgen das Wetter schlecht wird, wenn man den Teller nicht leer isst. Schließlich kommt die Hauptspeise, die aus einem Berg frittierter Fische besteht, von dem eine deutsche Kleinfamilie drei Tage lang essen könnte.

Mein Anwalt hatte den Plan gehabt, auf der Reise zehn Kilo zuzunehmen. Trotzdem gelang es ihm nicht, auch nur ein Viertel des Bergs abzubauen. Um uns herum aber wurde ebenso erfreut wie befreit aufgegessen, und ich sage mit Stolz, dass ich, obwohl ich derzeit, sagen wir, nicht zu hundert Prozent austrainiert bin, die zweitdünnste Person im Raum war. Selbst die Kinder waren dicker als ich.

Gern schriebe ich, dass mein Anwalt ausgestiegen sei, weil er einen spektakulären Fall übernommen habe. Aber es ist einfach so, dass er immer gesagt hatte, er werde so lange mitfahren, bis er seine Familie zu sehr vermisse. Mein Anwalt hat die Art von Familie, die man bereits nach zwei Minuten Abwesenheit vermisst. Amerika sollte es als Kompliment verstehen, dass er überhaupt so lange mitgefahren ist.

Leider hat er durch seine Abreise die Isländerin verpasst, die sich der Tour in Atlanta angeschlossen hat. Wir sind gerade in New Orleans angekommen, wo die Isländerin, weil sie ein Wesen des Zaubers ist, bereits die halbe Stadt kennengelernt hat. Unter anderem den Dichter Stan Vilensky, den sie dazu überredet hat, ein Gedicht für die Leser dieser Kolumne zu schreiben. Wie viel Zeit er habe, fragte er. "Bis nächsten Samstag", sagte die Isländerin.

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