New-York-Kolumne (XXXV):Der Sommer ist vorbei

Der New Yorker Sommer war wie immer heiß und schwül. Unser Kolumnist blickt zurück auf eine Saison, in der es in dieser Stadt nur Touristen und Korrespondenten aushalten.

Von Christian Zaschke

Der New Yorker Sommer ist vorbei. Er war, so wird er das zumindest selber finden, sehr groß. Er zeichnete sich wie immer durch zu hohe Temperaturen und eine immense Schwüle aus. Es gefällt ihm, wenn die ganze Stadt nicht nur unter der Hitze stöhnt, sondern auch schwitzt und deshalb in Räume flieht, deren Klimaanlagen auf die Einstellung "Arktis" herunterreguliert wurden, was dazu führt, dass sich ausnahmslos alle sofort erkälten. Der New Yorker Sommer kennt keine Mitte. Aber jetzt ist er vorbei. Zumindest fast.

Den herrlichen Frühling, der mit milden Winden und zarter Sonne glänzte, hatte er im späteren Mai von einem Tag auf den anderen abgelöst. Es war, als hätte der Sommer dem Frühling aufgelauert und ihn mit einem einzigen Hieb k.o. geschlagen, um ihn dann in einen Teppich einzurollen und unauffällig - wobei der Sommer im besten Fall so unauffällig daherkommt wie ein 30-Tonnen-Truck in einer Spielstraße - bis auf Weiteres in einem Kellergeschoss verschwinden zu lassen. Der New Yorker Sommer kann den Frühling nicht leiden, weil alle hier den Frühling lieben und im August sogar so weit gehen, die Stadt unter explizitem Verweis auf die Unerträglichkeit des Sommers zu verlassen.

Im August sind hier nur Touristen und der Kolumnist einer gewissen Zeitung aus dem Süden von Deutschland unterwegs, was den Sommer dazu bewegt, die Temperatur und vor allem die Luftfeuchtigkeit diesen entscheidenden Tick hochzufahren.

Der Sommer ist fast so eitel wie der US-Präsident, aber er jammert weniger

Er tut das, weil er zutiefst gekränkt ist von der Flucht der Einheimischen. In puncto Eitelkeit steht der New Yorker Sommer dem pathologisch narzisstischen Präsidenten der Vereinigten Staaten in nichts nach. Aber immerhin jammert er nicht die ganze Zeit. Er lässt es im August noch einmal krachen, dann tritt er ab.

Er macht natürlich nicht einfach Platz für den Herbst, der mit den Farben daherkommt und einer Stimmung, die alle Gedanken tiefer werden lässt. Er übergibt stattdessen an etwas, das der unvergleichliche Kurt Tucholsky so beschrieben hat: "Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es - wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat: dann ist die fünfte Jahreszeit."

Hier in Hell's Kitchen schaue ich während der fünften Jahreszeit auf ein Licht, das sich nicht entscheiden kann zwischen Gelb und Weiß. Das Brüllen des Sommers hallt noch, aber ich nehme es nicht mehr ernst.

Auf dem herrlichen, sicherlich viel zu kleinen Balkon meiner bescheidenen Bleibe, die ich in einem ehemaligen Schwesternwohnheim gefunden habe, sitze ich und blicke auf dieses unentschlossene Licht. Dabei atme ich aus leise wogender Brust.

Zur SZ-Startseite

New-York-Kolumne (XXXIV)
:Welche Regeln hier gelten

Drei Gesetzmäßigkeiten haben den New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen bislang zusammengehalten: der Pizzapreis, das Tempo auf dem Gehsteig und die irische Mafia. Und jetzt?

Jetzt entdecken

Gutscheine: