Süddeutsche Zeitung

Hell's Kitchen (XXXIII):Parklife

Immer wenn der Novemberregen in seine Seele einzieht, spaziert unser Kolumnist durch den Central Park und verlässt ihn erst Stunden später, sehr beglückt.

Von Christian Zaschke

Meine Spaziergänge durch den Central Park beginnen immer links unten am Columbus Circle. Es ist ein Glück, dass meine bescheidene Bleibe in einem ehemaligen Schwesternwohnheim lediglich zehn Minuten vom Park entfernt liegt, dadurch ist er gewissermaßen mein Garten geworden. Mindestens einmal pro Woche durchmesse ich ihn in seiner Gänze, oft auch zwei- oder dreimal pro Woche. Es gibt, abgesehen vielleicht von einer gewissen Schrottbar, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, keinen besseren Ort in New York.

Durch den Central Park zu spazieren ist immer gut fürs Gemüt. Aber wenn mir, was selten vorkommt, der Missmut am Mundwinkel zerrt und nieselnder November in die Seele einzieht, dann erfrischt so ein Spaziergang Herz und Hirn und überhaupt alles wie eine große Fahrt über das Meer.

Vom Columbus Circle geht's rüber zu den Heckscher Ballfields, wo Menschen, die absolut nicht Baseball spielen können, Baseball spielen. Dann laufe ich zu einer Allee namens "The Mall", von deren Rande Statuen von Schriftstellern auf die Passanten blicken. Gleich zu Anfang stehen die schottischen Giganten Robert Burns und Walter Scott einander in Bronze gegenüber. Da ich aus Gründen, die sich heute nicht mehr ganz nachvollziehen lassen, einst an der Universität von Edinburgh unter anderem schottische Literatur studiert habe, beglücke ich meine Besucher an dieser Stelle des Parks mit Rezitationen von Burns-Gedichten und setze zu diesem Zwecke einen lächerlichen schottischen Akzent auf. Habe ich ausnahmsweise gerade keine Besucher, falle ich wildfremden Passanten damit auf die Nerven.

In der Unterführung vor der Bethesda Terrace spielen oft sagenhaft gute Musiker, und zu diesem Zeitpunkt ist die Laune des Spaziergängers schon wieder exzellent. Dann gilt es, das Nadelöhr an der Bow Bridge zu passieren, wo sich fast immer ein Idiot findet, der das Lied "Careless Whisper" von Wham! auf dem Saxofon spielt. Außerhalb von Jazzbands sollten Saxofone verboten werden.

Weiter, fast vorsichtig, sehr allmählich, durch "The Ramble", den wildesten Teil des Parks, in dem es sich trefflich heimlich rauchen lässt. Ausgreifenden Schrittes passiere ich danach das Wasserreservoir in der Mitte des Parks auf der rechten Seite, schlendere durch den Conservatory Garden, der über einen italienischen, einen französischen und einen englischen Teil verfügt, sitze anschließend eine Weile am Harlem Meer, ganz im Nordosten, und denke über alles nach, bis ich rauflaufe zur 110th Street, die, wie sollte es sonst sein, nach Bobby Womacks Song "Across 110th Street" benannt ist, einem der besten Lieder der Geschichte.

Dort besteige ich den C-Train zurück nach Hause, nach Hell's Kitchen, vielleicht nie als neuer, aber jedes Mal als glücklicherer Mann.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4578816
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.