Süddeutsche Zeitung

Hell's Kitchen (XIX):Ostwestfalen

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Unser Autor verbringt gerne Zeit in einer Kneipe namens Rudy's, deren genaueren Standort er streng geheim hält. Als dort deutsche Touristen auftauchen, wird er nervös.

Von Christian Zaschke

Es ist passiert. In dieser Woche spazierten am späten Nachmittag zwei Touristen aus Ostwestfalen ins Rudy's, sie setzten sich an den Tresen neben meinen Freund V., den Fremdenführer, sie blickten heiter umher und orderten zwei Bier der Hausmarke zu je drei Dollar das Pint. Ich habe es vermutlich schon erwähnt: Das Rudy's ist eine exzellente Schrottbar in Hell's Kitchen, von der aus verschiedenen Gründen nicht verraten werden kann, wo sie genau liegt. Unter anderem, weil mir sonst der Türsteher Tracey Westmoreland den Kopf abrisse, da er nichts mehr fürchtet, als dass Touristen das Rudy's entdecken könnten.

Ich weiß nicht, ob die Ostwestfalen die Kolumne lesen und das Rudy's deshalb gefunden haben. Vermutlich nicht. Meiner Meinung nach sind sie durch Zufall in die Bar gestolpert. Sie erzählten V., dass sie immer wieder mal nach New York reisen und bevorzugt an den Tresen der vielen Schrottbars der Stadt herumsitzen. Einer der Ostwestfalen trug eine orangefarbene Jacke. Das war ungefähr so, als hielte er ein Schild hoch mit der Aufschrift: Hier trinkt ein Tourist.

Mir war klar, dass Tracey, ein Mann von der Statur eines ausgewachsenen Grizzlys, sollte er der Ostwestfalen gewahr werden, mir freundlich beschiede, dass es nun an der Zeit sei, sich eine neue Bar zu suchen. Du hast mit deiner verdammten Kolumne die Touristen gebracht, würde Tracey sagen. Aber noch war Tracey nicht da, er kommt erst abends. Das war meine Chance. Ich erläuterte V. die Lage. Der sagte zu den Ostwestfalen: "Geht doch die 9th Avenue runter zur Holland Bar. Das ist die beste Schrottbar, die ihr finden könnt." Die Ostwestfalen bedankten sich und gingen.

Eine Woche lang kam Charly nicht mehr in die Bar, dann gingen sie ihn suchen

Was V. ihnen nicht erzählte: In der Holland Bar trank viele Jahre lang ein Mann namens Charly O'Connor. Er trank dort jeden Tag. Die Holland Bar ist ein ganz fieses Trinkloch, V. findet sie recht gut, ich bin kein Fan. Eines Tages kam Charly O'Connor nicht mehr. Das ging eine Woche so. Die Stammtrinker machten sich Sorgen. Dann verging die zweite Woche. Die Stammtrinker haben die Wohnung aufbrechen lassen, und da lag er. Charly war tot. Herzinfarkt.

Da Charly O'Connor keine Nachkommen hatte und offenbar auch sonst keine lebenden Verwandten, legten die Zecher der Holland Bar zusammen und ließen ihn einäschern. Nächste Frage: Wohin mit der Urne? Nun, seine Urne steht bis heute auf einem Regal hinter dem Tresen der Holland Bar.

Nachdem die Ostwestfalen gegangen waren, sagte V., er habe gehört, dass ich in meiner letzten Kolumne die wunderbare Barfrau "Jolanda" aus dem Rudy's erwähnte. "Oh", sagte ich, "das stimmt, war das okay?" V. nickte. "Das war okay", sagte er, "aber kannst du bitte versprechen, Yolandas Namen künftig richtig zu schreiben?" "Yo", sagte ich feierlich.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2019
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