Hell's Kitchen (XCVII):Pong

Unser Kolumnist liebt es, mit seinem Kumpel Jeff Tischtennis zu spielen. Jetzt kam es endlich wieder zu einem Match - auf einem New Yorker Dach.

Von Christian Zaschke

Als ich vor einigen Jahren in einem Laden namens "Fat Cat" im Greenwich Village erstmals gegen Jeff im Tischtennis antrat, bemerkten wir sofort, dass wir beide exakt gleich gut spielten. Es war ein magischer Moment. Als die Götter den Menschen Tischtennis schenkten, hatten sie sich ausgemalt, dass dieses Spiel so gespielt wird wie von Jeff und mir.

Das "Fat Cat" ist eigentlich ein Jazzclub, aber sie haben sich überlegt, dass sie außer einer allabendlichen Live-Band sicherheitshalber noch ein Dutzend Tischtennisplatten in den Laden stellen. So musizierten die Bands gegen das Ping und das Pong an und manchmal gegen Jeffs Jubelschreie, wenn es ihm gelungen war, meine Stahlbetonabwehr zu knacken. Während ich im wirklichen Leben ein Mann der Offensive bin und die Defensive oft so sträflich vernachlässige, dass ich im Lauf der Jahre hin und wieder gut einen mitbekommen habe, bin ich im Tischtennis eine Abwehrmaschine.

Jeff knallte die Schmetterschläge auf die Platte, bisweilen beschleunigte er die Bälle auf Schallgeschwindigkeit, und ich brachte sie seelenruhig zurück. Wir sind sehr unterschiedliche Menschen, vermutlich hätten wir uns nicht viel zu sagen, wenn die Fügung uns nicht an der Platte zusammengebracht hätte. Dort waren wir Yin und Yang, wir waren Feuer und Eis, wir waren Dick (ich) und Doof (er). Ich bildete mir ein, dass unsere Spiele aus dem Stoff gemacht waren, der die Welt im Innersten zusammenhält. Ich bildete mir ein, dass wir ein Zentrum des Gleichgewichts waren in einem beständig stärker werdenden Sturm.

Einerseits liebte ich es, gegen Jeff zu spielen, andererseits hatte er die fragwürdige Eigenschaft, so sehr gewinnen zu wollen, dass ihn der Siegeswille umgab wie ein dunkles Feld. Da das "Fat Cat" seit Beginn der Pandemie zu ist, hatten wir seit acht Monaten nicht mehr gegeneinander gespielt. In dieser Woche schrieb Jeff eine Nachricht.

"Bisschen Pong?", fragte er.

Eine weitere von Jeffs fragwürdigen Eigenschaften ist, dass er Tischtennis "Pong" nennt.

"Klar. Wo?", schrieb ich zurück.

"Hab jetzt ne Platte auf dem Dach", schrieb er.

Ich nahm den C-Train runter ins Village und spazierte zu Jeffs Haus. Er hatte auffallend gute Laune.

"Wie lange hast du die Platte schon?", fragte ich.

"Exakt acht Monate", sagte Jeff.

Wir spielten ein paar Ballwechsel. Jeff jagte die Schmetterschläge in Lichtgeschwindigkeit in meine Richtung.

"Jeff", sagte ich nach zehn Minuten, "was zum Teufel hast du getan?"

"Trainiert", sagte er, "exakt acht Monate lang."

Ich nickte. "Du weißt, was das bedeutet?", fragte ich.

Jeff lächelte wie ein Mann, der weiß, was das bedeutet. Dann servierte er einen Killer-Aufschlag.

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