Süddeutsche Zeitung

Hell's Kitchen (XCIV):Schuhe

Unser Korrespondent in New York hat sich neue Schuhe gekauft, er hat einen neuen Friseur - und seine ästhetische Balance zwischen Kopf und Füßen gerät von einem Tag auf den anderen vollkommen aus den Fugen.

Von Christian Zaschke

Ich trage jetzt Turnschuhe von New Balance. Das liegt daran, dass ich vor geraumer Zeit den Sänger Art Garfunkel interviewt habe, der mehrere große Wanderungen unternommen hat, unter anderem durchquerte er Japan und die USA von Küste zu Küste.

"In welchen Schuhen?", hatte ich gefragt.

Er sagte es mir, und nun habe ich sie endlich gekauft. Sie sind so hässlich, dass man tief Luft holt, wenn man sie zum ersten Mal sieht, aber man geht in ihnen wie auf Federn. Es ist fast lächerlich, wie bequem sie sind.

Art Garfunkel, dies nebenbei, zählt zu den erfreulichsten Menschen, mit denen ich beruflich gesprochen habe. Er verfügt über ein paar komplett durchgebrannte Sicherungen, und nachdem das Interview beendet war, rauchten wir heimlich aus dem Fenster der Hotelsuite heraus, die er auf der Upper East Side als Büro mietet.

Als ich mit den neuen Schuhen in Rafik's Barber Shop auf der 9th Avenue spazierte, um mir mal wieder einen miserablen Haarschnitt verpassen zu lassen, merkte ich, wie der Blick auf meine Füße umgehend Enttäuschung auslöste. Sie bieten dort auch einen Schuhputzservice an, und ich nahm den immer in Anspruch. Vermutlich als Einziger, denn außer mir habe ich in Hell's Kitchen noch nie jemanden in Lederschuhen gesehen. Gut möglich, dass ich Hell's Kitchen gerade zur lederschuhfreien Zone gemacht habe.

"Robert nicht da?", fragte ich. Robert ist mein zitternder Stammfriseur.

"Robert arbeitet nicht mehr hier", sagte Juri, der Zweitfriseur.

"Wo arbeitet er jetzt?", fragte ich.

"Keine Ahnung", sagte Juri.

Er bedeutete mir, mich zu setzen. Ich setzte mich. 20 Minuten lang rasierte und schnitt er schweigend an meinen Haaren herum, und als er fertig war, sagte er mit einer Stimme, aus der das Desinteresse troff wie das Wasser aus den undichten Rohren in den Subway-Tunneln: "Und?"

Ich war sprachlos. Ich hatte eine richtige Frisur. Alles passte, alles saß, selbst die Wirbel schienen verschwunden zu sein. Es war fast lächerlich, wie gut ich aussah.

Kürzlich war mein Freund und Kollege O. mal wieder in der Stadt. Er war hier früher Korrespondent. O. zählt zu den erfreulichsten Menschen, mit denen ich unberuflich spreche, obwohl bei ihm das Gros der Sicherungen noch intakt ist. In Sachen Schuhe ist O. allerdings ein ziemlicher Styler, ich glaube, das ist zwangsläufig so, wenn man früher mal beim Magazin Tempo gearbeitet hat.

Wir verabredeten uns bei einem mittelmäßigen Italiener. "Was für ein irre guter Haarschnitt", sagte O. zur Begrüßung. Ich schaute ihn abwartend an. Er holte tief Luft und sagte: "Aber diese Schuhe sind das Hässlichste, was ich je gesehen habe."

Es war fast lächerlich, wie sehr ich mich freute, ihn zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2020
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