Hell's Kitchen:Vuchstaven

Hell's Kitchen: undefined

Was ist, wenn man die Tastatur des Computers Buchstabe für Buchstabe auseinander nimmt, Heidi P. anruft und in Nickis Bar will? Man fährt hin und schaut sich das Elend an.

Von Christian Zaschke

Das Bürotelefon klingelte. Es ist schwarz. Ich ließ es eine Weile klingeln, da ich gerade das Keyboard meines Computers säuberte und deshalb sämtliche Tasten abgenommen hatte. Allerdings hatte ich nicht daran gedacht, dass es ein Problem sein könnte, sie alle wieder an die richtige Stelle zu setzen. Mit den Zahlen ist es einfach. Sie sind, wenig überraschend, aufsteigend von links nach rechts angeordnet. Mit den Buchstaben ist es so eine Sache. Wo fejörte das B nochmal jin?

Das Klingeln wurde eindringlicher. Ich nahm den Hörer von der Gabel.

"V.", rief ich, "was willst du?"

"Hier ist Heidi", sagte Heidi P.

"Habe ich schon mal gefragt, woher du diese Nummer hast?", fragte ich.

"Ja", sagte Heidi P.

Ich legte auf. Meines Wissens haben lediglich mein Freund V., der Fremdenführer, und eine gewisse Süddeutsche Zeitung die Nummer des Bürotelefons, aber ich erinnerte mich, ich möchte sagen: schemenhaft, daran, dass Heidi P. sie aus unerfindlichen Gründen ebenfalls kennt. Sie ist Ingenieurin.

Das Telefon klingelte erneut.

"Wir fahren zu Nickis Bar", sagte Heidi P., "es geht in Soho los, und du kommst mit."

Ich seufzte. Sie legte auf.

Bei Heidi P. verbringe ich, seit ich in Hell's Kitchen wohne, Thanksgiving. Manchmal auch Silvester. Ihre gute Freundin Nicki betreibt eine Bar namens "40 Knots" in Brooklyn, genauer gesagt: in Red Hook, also mittig ganz links in Brooklyn. Man darf dort seit Kürzerem wieder draußen sitzen, und wegen Corona nur draußen. Nicki hat zehn Jahre lang alles in diese Bar investiert. Sie hat mit den Behörden über immer neue Feuerschutzbestimmungen gestritten. Sie hat Karaoke-Nächte eingeführt, abgeschafft und wieder eingeführt. Einmal hörte ich Heidi P. in einer dieser Nächte mit ihrer Ingenieursstimme singen.

Nicki hat Kredite aufgenommen, abbezahlt und neue Kredite aufgenommen, für Kühlschränke, für Zapfanlagen, für alles.

Ich nahm den D-Train, runter nach Soho, und stieg zu Heidi P. ins Auto. Wir fuhren nach Red Hook. Nicki hatte schon gewartet, weil außer uns niemand vor der Bar sitzen wollte. Sie brachte uns zwei Biere. Einen Monat ohne Gäste. Ja, das hätte sie überlebt, sagte sie. Vielleicht zwei.

"Wirst du zumachen?", fragte Heidi.

Nicki ging nach drinnen, um nach ein paar Sachen zu sehen. Zehn Jahre. Heidi schwieg. Ich trank von dem Bier, es war ein Brooklyn Lager, und ich sagte zu Heidi, dass ich Brooklyn Lager noch nie mochte. Heidi schaute mich an. "Niemand mag Brooklyn Lager", sagte sie.

Nicki kam zurück und setzte sich zu uns. Sie sah Heidi an. Und mich. "Sagt halt was", sagte sie. Ich nahm einen Schluck Brooklyn Lager. Ich sagte: "Die Vuchstaven wergen nie wieger zusammenpassen."

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