Hell's Kitchen (LXXXI):Emilio

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(Foto: N/A)

Das italienische Restaurant Emilio's Ballato konnte unserem New Yorker Kolumnisten schon früher schwer auf den Zeiger gehen. Aber müsste der Besitzer nicht eigentlich froh sein, dass seine Stammgäste zu ihm halten? Von wegen.

Von Christian Zaschke

Emilio's Ballato ist eines dieser italienischen Restaurants in New York, die dir schwer auf den Zeiger gehen können. Im Ballato haben sie ihren Betrieb wegen der Corona-Krise komplett nach draußen verlegt. Vor der Pandemie saß Emilio Vitolo, der Besitzer, gleich rechts hinterm Eingang und musterte dich, wenn du reinkamst. Wenn er dich okay fand, bekamst du einen Tisch. Das war damals schon lächerlich.

Jetzt sitzt er draußen, gleich links vorm Eingang. Du spazierst die East Houston Street entlang, du näherst dich. Du nickst ihm zu. Du denkst: Er wird sich freuen, dass seine Stammgäste zu ihm halten. Emilio tut so, als hätte er dich noch nie gesehen.

Einer der Kellner eilt herbei und ruft: Wie schön, Sie zu sehen. Du fragst, ob du einen Tisch für zwei bekommen könntest. Deine Begleitung sei noch nicht da, werde aber jede Sekunde eintreffen. Alte Regel: Du bist diesen Tick früher da und machst den Tisch klar und bestellst ihren Lieblingsaperitif. Du siehst: Es sind fünf von sechs Tischen frei. Du denkst: Corona wird all diese Restaurants zerstören.

Der Kellner sagt: Tisch für zwei? Für Sie immer. Dann räuspert sich Emilio.

Emilio sagt, nein, er presst es aus seinem linken Mundwinkel heraus, mit einer Stimme, die vermutlich klingen soll wie die von Marlon Brando in "Der Pate", aber tatsächlich klingt wie eine zu weit fortgeschrittene Laryngitis, dass das Lokal schon voll sei.

"Oh", sagt der Kellner, "ich höre gerade, dass leider alles ausreserviert ist." Du seufzt. Du schaust zu Emilio und sagst: "Emilio, wirklich?" Emilio studiert die Maserung des Plastiktisches, an dem er sitzt. Ja, Billy Joel hat in seinem Lokal gegessen. Mehrmals. Ja, Tom Hanks war mal da. Und als Barack Obama vorbeischaute, haben sie halb Soho gesperrt. All das liest Emilio vermutlich wieder und wieder in der Maserung seines Plastiktisches.

Eigentlich müsstest du spätestens jetzt gegangen sein, mit dem heiligen Schwur auf den Lippen, dieses Etablissement des kleines Geistes nie wieder zu besuchen. Du verlagerst dein Gewicht auf den Absatz, auf dem du kehrtmachen willst, während sich dein Gaumen an die Tagliatelle Bolognese erinnert, die hier besser sind als irgendwo sonst in der Stadt. Du erinnerst dich an die gebackenen Shrimps. An das Vitello Parmigiana. Du fragst dich, warum gerade dieser scheißarrogante Laden das alles so unwiderstehlich gut macht.

Du verharrst immer noch auf deinem Absatz, und du hasst Emilio mit der Wucht deiner ewigen Seele, und dann ist es fast so weit, dass du, Erniedrigung der Erniedrigungen, ein zweites Mal sagen willst: "Emilio, wirklich?" Aber diesmal flehentlich. Dein Herz schrumpft zu einem Kirschkern. Und dann spaziert Susi die Straße entlang.

Sie winkt, sie sieht Emilio und ruft: "Emilio!" Und Emilio sieht Susi und ruft: "Susi, meine Liebe. Tisch für zwei? Dein Freund ist schon hier."

© SZ vom 14.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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