Hell's Kitchen:Bar, bitte!

Unser neuer Kolumnist Christian Zaschke lebt in Manhattan, links der Mitte. Sein Stadtteil heißt wie seine Kolumne: Hell's Kitchen. Als er vor etwa einem Jahr eintraf, tat er etwas Überlebenswichtiges: Er suchte sich erst mal eine anständige Bar.

Von Christian Zaschke

Viele Jahre hatte ich einigermaßen glücklich in London gelebt und im Wesentlichen über Pubs und Politik und dann über Bars und Brexit geschrieben, als eines Tages das Telefon klingelte. Die Zentralredaktion in München war dran und beschied, dass ich bitte meine Sachen packen solle, um nach New York zu ziehen. Da ich seit jeher ein in vielerlei Hinsicht mustergültiger Angestellter bin, packte ich meine Sachen und nahm mehr oder weniger am nächsten Tag das Schiff von Southampton nach New York.

Dort angekommen mietete ich mich in einem ehemaligen Schwesternwohnheim im Stadtteil Hell's Kitchen ein. Hell's Kitchen liegt in Manhattan, links in der Mitte. Früher hat hier die irische Mafia regiert, heute regiert hier niemand mehr. Außer vielleicht Tracy Westmoreland, der sowohl seinen mächtigen Bart als auch den selbstverliehenen Titel "inoffizieller Botschafter von Hell's Kitchen" mit Stolz trägt und früher gern mit dem ehemaligen Koch Anthony Bourdain trank, der wiederum das exzellente Buch "Kitchen Confidential" geschrieben hat. Bourdain ist leider tot. Tracy Westmoreland hingegen lebt, und zwar im gleichen Apartmentblock wie ich.

In Hell's Kitchen regierte früher die Mafia. Heute regiert hier niemand mehr

Westmoreland hat 1996 die legendäre Bar "Siberia" in der U-Bahn-Station an der Kreuzung von 50th Street und Broadway eröffnet. Manche New Yorker bekommen heute noch feuchte Augen, wenn sie sich an die Siberia erinnern. Es war eine der schrottigsten Bars in ganz New York, in der die Gäste bis in die frühen Morgenstunden Schnaps tranken und sich schlecht benahmen. Bourdain hat den Ort einmal als "Himmel" bezeichnet. 2001 musste die Bar schließen. Sie machte dann ein paar Blocks weiter noch einmal auf, aber 2007 war endgültig Schluss. Seither arbeitet Westmoreland an einem Buch über den Laden, das vermutlich niemals fertig wird.

Außerdem arbeitet er als Türsteher des "Rudy's", einer der schrottigsten Bars in ganz New York, in der die Gäste bis in die frühen Morgenstunden Schnaps trinken und sich schlecht benehmen. Westmoreland, ein Mann von der Statur eines ausgewachsenen Grizzlys, hat sehr freundlich gesagt, er reiße mir den Kopf ab, falls ich jemals in die Zeitung schriebe, wo genau sich diese Bar befinde. Das werde ich natürlich niemals tun.

Jedenfalls war ich mit dem Schiff nach Amerika gereist, ich hatte die Wohnung gefunden und das Rudy's entdeckt (oder umgekehrt) und mich auch sonst nach einem Jahr allmählich eingelebt, als wieder das Telefon klingelte. Die Redaktion in München war dran. "Wir machen eine neue Kolumne aus New York", tönte es aus dem Hörer, "und du schreibst sie. Einzige Vorgabe: Schreib bitte nicht wieder so viel über Bars." Da ich seit jeher ein in vielerlei Hinsicht mustergültiger Angestellter bin, beschloss ich, diese Vorgabe gleich in der ersten Folge zu ignorieren.

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