Bereit? Mit einer Hand hat Helene Bockhorst ihre Radlerhose hochgekrempelt, mit der anderen hält sie ihr Pferd Fina am Halfter. Sie stehen am Ufer eines Bachs in der Nähe von Mannheim, wo das Pony auf einem Hof mit rund 50 anderen Pferden lebt. Es ist 30 Grad warm an diesem Junitag, eine Abkühlung ist dringend notwendig. Fina plantscht ungeduldig mit den Vorderbeinen, da stapft Bockhorst los. An manchen Stellen reicht ihr das Wasser bis über die Knie. Der Bach führt durch einen Wald, die Sonne funkelt durch die Baumkronen. „Im Japanischen gibt es ein Wort für diese Art von Licht“, sagt Bockhorst. „Ich hab’s mir nicht gemerkt, aber es ist schön, dass sie eins haben.“
Helene Bockhorst ist Stand-up-Comedienne und bekannt für ihre lakonischen Alltagsbeobachtungen – weit jenseits von japanischen Begrifflichkeiten. In ihrer schüchternen und gleichzeitig direkten Art spricht sie auf der Bühne über schlechte Dates und miesen Sex, aber auch über ihre Unsicherheit und Depression. Mit Bauchtasche über dem Ringelshirt wartet die 36-Jährige im Auto am Bahnhof, um die Reporterin für den Ausflug einzusammeln. Sie hat an alles gedacht: ein zusätzliches Paar Wasserschuhe, ein Handtuch, ein Mückenspray. Bevor sie zu Fina fährt, hält sie noch beim Landwirtschaftsbedarf. Auf der Einkaufsliste: Halswohlsaft – „Fina hustet ein bisschen“ – und Mineralfutter, „sozusagen ein Eiweiß-Shake für Pferde“.
Bockhorst lebt in der Gegend. Wenn sie frei hat, fährt sie jeden Tag zum Hof. Zweimal pro Woche nimmt sie Unterricht, einmal Reiten, einmal Bodenarbeit, wo sie Übungen wie Slalom um Markierungshütchen macht. An den anderen Tagen geht sie mit ihrem Pony spazieren, im Sommer am liebsten in den Bach. „Das mag Fina, gleichzeitig trainiert sie die Muskeln, die sie braucht, um mich zu tragen“, sagt sie. Am Widerrist, am Übergang von Hals zu Rücken, ist Fina 1,35 Meter groß. Damit reicht sie Bockhorst bis zu den Achseln. Island-Ponys haben einen kräftigen Körperbau und können auch von Erwachsenen geritten werden. „Damit ein Pferd lange gesund bleiben kann, muss man genügend Ausgleichssport machen“, erklärt Bockhorst.
Nach einem Reitunfall musste sie mehrmals operiert werden
Schon als Kind war sie verrückt nach Pferden. Sie verschlang die Ponyhofbücher von Lise Gast, kümmerte sich um die Pferde des Nachbarn, und sparte das Geld, das sie mit Nachhilfe verdiente, für Reitunterricht und -ferien. Bis sie mit zwölf von ihrem Lieblingspferd Bassi stürzte. Bockhorsts Arm war komplett zertrümmert und musste mehrmals operiert werden. Sie zeigt auf eine lange Narbe am Ellbogen. Danach sei sie ängstlich gewesen, „quälte“ sich mit Reitunterricht, bis sie 16 war, weil sie so an dem Pferd hing. „Für Angst war da kein Platz“, sagt sie. Irgendwann hatte Bockhorst genug und saß die folgenden 16 Jahre auf keinem Pferd mehr. „Ich habe in der Zeit so viel gearbeitet, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie sehr ich die Tiere vermisse“, sagt sie.
Bis vor ein paar Jahren arbeitete Bockhorst als Redakteurin für ein Fachmagazin für Wohnungswirtschaft, verfasste Artikel über Baustoffe und schrieb nebenbei Kurzgeschichten. Bei einem Poetry-Slam trug sie eigene Texte vor und wurde daraufhin für erste kleine Comedy-Auftritte angefragt. 2018 gewann sie als erste Frau den begehrten Hamburger Comedy Pokal, dann ging es schnell: Mit dem ersten Soloprogramm „Die fabelhafte Welt der Therapie“ stand sie zwölf Abende im Monat auf Bühnen im ganzen Land, dazu Auftritte im Fernsehen. In diesem Jahr ist sie mit ihrem dritten Programm unterwegs.
Fina bekommt am Bach ein Leckerli, das Bockhorst in ihrer Bauchtasche versteckt hat. „Man soll ihnen eigentlich nicht immer zu naschen geben, aber ich habe es am Anfang gemacht, und jetzt erwartet sie das halt.“ Das Pony hat sich in dem Stall gut eingelebt, es habe in ihrer Stuten-Gruppe „Freundinnen“ für verschiedene Situationen, „die sind eine richtige Gang“. Mit einem italienischen Bergpferd hänge Fina am liebsten herum, aber ohne Körperkontakt. Mit ihrer „Wellnessfreundin“, einer Islandstute, kuschelt sie gern. „Sie kraulen sich gegenseitig, und wenn Fina rossig ist, schmusen sie. Am nächsten Tag ist es ihnen peinlich und sie ignorieren sich.“
Das Pony ist für Bockhorst weit mehr als ein niedliches Hobby. Als sie 2020, im ersten Corona-Sommer, plötzlich keine Auftritte als Comedienne mehr hatte und in ein Loch fiel, buchte sie sich Reitferien für Wiedereinsteiger. „Ich bin scheußlich geritten“, sagt sie, aber der Kontakt zu den Tieren, das Putzen und Kraulen habe sie sofort berührt. Zwei Monate später fand sie bei Ebay Kleinanzeigen Fina, oder wie sie mit vollem, für Islandpferde typischem Zuchtnamen heißt: Fina von der Hexenklamm. Sie war das erste Pferd, das sich Bockhorst anschaute, und das Einzige. „Es hat einfach gepasst“, sagt sie. „Wie wenn man einen Menschen kennenlernt und sich sofort gut versteht.“ Fina habe sie durch die Pandemie gebracht. „Diesem Pferd ein gutes Leben zu ermöglichen, jeden Tag draußen zu sein, als es mir schwerfiel vor die Türe zu gehen, hat mir geholfen. Ohne sie hätte ich die Zeit nicht ohne Klinikeinweisung überstanden – oder überhaupt.“
Auf der Bühne ist auch Bockhorsts Kindheit ein Thema
Bockhorst spricht reflektiert, pointiert und offen, auch über ihre Depressionen, wie man es von ihren Auftritten kennt. Vor der Pandemie hat sie sich für ihren ersten Roman „Die beste Depression der Welt“ intensiv mit ihren psychischen Problemen beschäftigt, bei ihr habe das die Depression verstärkt. Auch ihre Kindheit ist Thema auf der Bühne. „Mein Vater war nie da und hatte keine Zeit mich zu schlagen. Das musste alles meine Mutter machen“, sagt sie in ihrem ersten Programm. Das Publikum lacht an der Stelle, wohl weil es so unerwartet kommt, dass jemand darüber Witze macht. Sie habe früh beschlossen, ihre Erfahrung als Kind auf der Bühne zu thematisieren, weil es sie so sehr beschäftige, sagt Bockhorst. „Ich höre immer wieder, ich mute den Leuten zu viel zu, dabei lasse ich vieles weg, um es erträglich zu machen.“ Nach ihren Auftritten bedanken sich Menschen, die ähnliche Erfahrung gemacht haben, bei ihr.
Vor ein paar Tagen ist Bockhorsts zweiter Roman erschienen. „Der Supergaul“ handelt von einer Tierkommunikatorin, die behauptet, mit Pferden sprechen zu können – und ihren Klienten das Geld aus der Tasche zieht. Auf die Idee brachte sie ein Vorfall in einem anderen Stall. Dort hatte eine Pferdebesitzerin einen solchen Kommunikator kommen lassen, nachdem ihr Tier Fina angegriffen hatte. „Der hat das Pferd für viel Geld befragt und fand heraus, dass mein Pony es beleidigt haben soll“, sagt Bockhorst. „Für 250 Euro hätte er Fina nach ihrer Perspektive gefragt.“ Bockhorst lacht auf. Im Buch blickt sie satirisch, aber liebevoll auf die Abstrusitäten ihres Hobbys. In der Tat ist das Buch lustig wie rührend, auch wenn man sonst nicht viel mit Pferden anfangen kann.
Zurück im Stall streicht Bockhorst mit einer Bürste über den Rücken des Ponys. Sommerfellbüschel wirbeln im Wind, und Fina knabbert in die Luft. „Das bedeutet, dass es ihr gefällt“, sagt Bockhorst und lächelt. Ihr Umfeld könne mit ihrer Pferdebegeisterung nicht viel anfangen. „Wenn Fina verletzt ist oder krank, gibt es nichts Wichtigeres für mich“, sagt sie. Sie stellt nun eine Schüssel Futter vor Fina ab und hebt den Zeigefinger. Am Anfang hat sie damit Finas Wange berührt. „Pferde haben eine universelle Sprache, jede Stelle am Körper bedeutet etwas anderes. Wenn sie sich an der Wange berühren, bedeutet das: Nimm bitte deinen Kopf aus meinem Bereich.“ Inzwischen reicht es, wenn sie den Zeigefinger hebt, damit Fina Platz macht. Auf ihr Zeichen beginnt das Pony zu fressen. Manchmal klappen Ansagen aber auch nicht. „Dann sage ich zu ihr: nicht so schlimm.“ Diese Einstellung versucht Bockhorst auch auf sich zu übertragen. „Noch einmal versuchen: Das ist für vieles im Leben eine gute Einstellung.“
Keine Leidenschaft ohne Utensilien! Diese drei Dinge benötigt Helene Bockhorst für ihre Zeit mit Pony Fina:
Das Halfter
„Damit führt man das Pferd am Boden. Meine Reitlehrerin hat es geknüpft und geflochten und es mir geschenkt. Sie hat da eine spezielle Flechttechnik, ich weiß gar nicht genau, wie sie das macht. Ich könnte das nicht!“
Der Putzkoffer
„Ich umgebe mich gern mit schönen Dingen, das gilt auch für den Putzkoffer. Die Bürsten sind eine Wissenschaft für sich. Die härteren braucht man, um Schmutz aus dem Fell zu bürsten, für den Kopf nehme ich eine weichere. Im Koffer ist auch der Hufkratzer, mit dem man die Hufe saubermacht.“
Das Insektenspray
„Der Bach ist im Sommer unser Lieblingsort, aber am Wasser sind die Mücken wirklich fies. Ich habe gleich eine große Flasche gekauft, da ist mit Sicherheit Chemie drin, aber es funktioniert. Das Spray ist für Mensch und Tier geeignet, also benutze ich es für Fina und für mich.“
Bohnensalat zubereiten mit Jan Delay, Schallplatten hören mit Léa Linster, Kunst machen mit Wolfgang Niedecken: Weitere Folgen von „Meine Leidenschaft“ finden Sie hier.