Heiratsschwindler 2.0:"Ich habe mich in eine Illusion verliebt"

Love trap

Was mag passiert sein? Das Schweigen hält an, plötzlich doch ein Anruf: Er habe einen Unfall, brauche dringend 2000 Euro

(Foto: Illustration: Yinfinity)

Heiratsschwindler heißen heute Love-Scammer oder Romance-Scammer. Sie sind in Banden aktiv und lassen Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs zurück. Eine Spurensuche.

Von Lars Langenau

Liebe, sagt man, macht blind. Im schönsten Fall für die Fehler des anderen. Im schlimmsten Fall für die Vernunft. Emilie Sternberg, Rose Fischer und Elfriede Müller* berichten davon. Die Geschichte von Heiratsschwindlern im Zeitalter globaler Verletzung.

Die "Lovestory" von Emilie Sternberg beginnt im Oktober 2012. Sie sei "nicht mehr so jung, sehe jedoch jünger aus und gehe auch sehr mit der Zeit", sagt sie. Emilie Sternberg ist 80 Jahre alt. Doch Alter schützt nicht vor Dummheit. Das sieht sie heute selbst so. Vielleicht war es die Sehnsucht nach einer starken Schulter, nach einem verständnisvollen Partner, der immer Zeit hatte für sie und ihre kleinen Nöte. Emilie Sternberg ist auf einen modernen Heiratsschwindler reingefallen.

Über Skype erhält sie eine Nachricht mit einem Foto von einem Benjamin R. Mixon. Er sei Ex-General der amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan, einsam im Feindesland und suche Kontakt. Ihr Profil habe er zufällig entdeckt, ihr Foto gefalle ihm ausgesprochen gut. Es ergab sich dann ein Kontakt via Webcam und Telefon. Alles auf Englisch, mit ein paar Brocken Deutsch auf beiden Seiten, extra habe sie ihre Fremdsprachenkenntnisse aufgefrischt. Dann waren da viele einfühlsame Gespräche, selbst übers Kochen sprachen sie. "Er möchte eine richtige Hausfrau, sagte er. Ich habe oft gemeckert, aber er hat mich getröstet, obwohl es ihm selbst nicht gutging." Ein verliebter Guten-Morgen-Gruß, ein langes zärtliches Telefonat. Mixon war die Verkörperung eines Traummannes. "Wenn ich mich selbst als dumm bezeichnete, wurde er böse, weil dem nicht so wäre." Endlich einer, der auch zuhören kann. Er schmeichelte ihr, was für ein Glück er habe, eine Frau wie sie kennenlernen zu dürfen. "Er habe Gott um eine Blume gebeten - und einen Garten bekommen."

Das Internet hat die Liebe nicht einfacher gemacht, aber zumindest die Kontaktaufnahme. Denen die Liebe suchen, erscheint die Welt plötzlich wie eine riesige Pralinenschachtel, aus der man sich nur bedienen muss. Doch das Netz hat es auch Betrügern einfacher gemacht, denen, die nur liebe Worte verkaufen.

Emilie Sternberg, die in einem kleinen Ort bei Bremen lebt, verbrachte viele Nächte mit ihrem Lover. Rein virtuell. Am Tage schlief sie. Nach mehreren Monaten fragte Mixon, der 53 Jahre alte US-Veteran, erstmals nach Geld - mit einer hanebüchenen Story. Einmal hieß es, seine Sicherheitsfirma sei in Bedrängnis, dann brauchte er Geld für Urkunden, dann für seinen Adoptivsohn. Immer ein paar Hundert Euro, nie einen riesigen Batzen auf einmal. Natürlich alles nur geliehen, sie bekäme das alles zurück. Wenn Sternberg etwas spanisch vorkam, dann sendete ihr Mixon Telefonnummern und E-Mails von Kollegen, die auch prompt beantwortet wurden. Natürlich waren am anderen Ende andere Bandenmitglieder, die die Glaubwürdigkeit seiner Geschichten bestärkten. Aber das fiel ihr nicht auf, sie war blind.

Die sonst auf andere Internetbetrugsarten spezialisierte 'Nigeria-Connection' hat ein neues Betätigungsfeld gefunden: Gefühl statt Gier. Jetzt nehmen sie mit großem Erfolg Frauen aus, die sich nach Liebe sehnen. Selbsthilfegruppen und Ermittlungsbehörden nennen sie Romance- oder Lovescammer, vom englischen Scam: Betrug.

Vielleicht wollte sie an die Liebe glauben, weil sie vom Schicksal gebeutelt ist: Suizid des Sohnes, Tochter Leukämie, der Enkel mit acht Jahren bei einer Bluttransfusion mit HIV infiziert. Zwei Mal war Sternberg verheiratet, ihr Ehemann starb 2005, "den würde ich mit den Händen wieder ausgraben, wenn das ginge". Eine einmalige Liebe, eine Seele von Mensch.

Gibt es eine zweite große Liebe?

Gibt es so etwas vielleicht doch noch einmal? Eine zweite große Liebe im fortgeschrittenen Alter?

"Es war eine starke Liebe - von beiden Seiten", sagt sie noch heute. "Ständig schickte er mir tolle, romantische Bilder. Mit Rosen, die so echt aussahen, einmal eins von einem Eisbär mit Mozartkugeln behangen, da wäre jede Frau entzückt gewesen. Ich bin aufgelebt! Es war wunderbar! Es war wie eine Sucht." Nach fast drei Jahren mit "Mixon" sagt sie im Präsens, nicht etwa in der Vergangenheit, "er liebt mich über alles, will mit mir hier leben. So wie ich."

Die Heiratsschwindler 2.0 sitzen in Accra, Lagos, Kuala Lumpur und manchmal auch in Tunesien. Sie geben sich als erfolgreiche Geschäftsleute aus, erschleichen sich das Vertrauen ihrer Opfer, dringen in intimste Bereiche ein, spielen rücksichtslos mit Gefühlen und treiben ihre Opfer bisweilen sogar in den Suizid.

Er wollte sie besuchen - und sie endlich ihren Geliebten in die Arme schließen. Sternberg schickte ihm das Geld für ein Ticket zunächst von Western Union, dann von MoneyGram. Warum das Geld nach Nigeria überwiesen wurde, konnte sie sich selbst nicht genau erklären. Doch plötzlich wurde er "sehr lange krank". Nach einem kurzen Zögern fügt sie hinzu: "Jedes Mal, wenn ich Geld für Flugtickets schickte, ergaben sich immer andere Ereignisse." Mixon, oder wie er auch immer heißt, kam nie.

Das ist normal, das ist Taktik, sagt Jochen Meismann von der "A Plus Detective GmbH" im nordrhein-westfälischen Dorsten, die auf solche Internetbetrügereien spezialisiert ist. Immer passiert im letzten Moment etwas. Am Tag vor der Anreise bleibt plötzlich der Anruf aus, keine Mail nichts. Stille. Die Sorge wächst mit jeder Sekunde, weiß der Detektiv aus vielen Gesprächen mit seinen Klienten. Die Frauen fragten sich: Was mag passiert sein? Das Schweigen hält an, plötzlich doch ein Anruf: Er habe einen Unfall, brauche dringend 2000 Euro für die Krankenhausbehandlung. Dazu kommen Gebühren und Schmiergelder. "Zögert das Gegenüber", sagt Meismann, "dann wird der bislang so inbrünstige Liebhaber plötzlich zickig." Er unterstelle ihr, ihn doch nicht wirklich zu lieben. "Augenblicklich bekommt sie Schuldgefühle." Alle Täter spielen den Frauen eine Beziehung vor, obwohl es nie zu einem persönlichen, leibhaftigen Kontakt kam und dann erschwindeln sie sich das Geld mit erlogenen Tragödien oder anderen Nöten. Das sei die Regel. So auch bei Emilie Sternberg.

"Immer wieder habe ich ihm Geld von meiner kleinen Alters- und Witwenrente geschickt, bis ich nun selbst total pleite bin", sagt sie. Insgesamt 20 000 Euro, die letzte Überweisung von 710 Euro für ein Flugticket ging am 30. April nach Irgendwo. Dass sie einem Betrüger aufgesessen sein könnte, will noch immer nicht in ihren Kopf. Sie habe ja recherchiert. "Das Foto stimmte, es war ein General." Und dann ein Anflug von Zweifel: "Er selbst kann es nicht gewesen sein."

Nun ist es aus mit Mixon oder wem auch immer. Sie hat kein Geld mehr, was sie ihm noch überweisen könnte. Die Bank gebe ihr aufgrund ihres Alters auch keinen Kredit. Das Herz schmerzt: "Seine letzte Nachricht kam Anfang Mai: 'Hello Love, wie geht es Dir?' - seither kam nichts mehr." Trotzdem sagt Sternberg: "Es war - bis aufs Geld senden - ein sauberes, liebevolles Miteineinander."

Romance Scam - die häufigste Internet-Betrügerei

Im FBI-Jahresreport 2014 führt Romance Scam inzwischen die Liste der häufigsten Internet-Betrügereien mit dem höchsten finanziellen Verlusten an. Laut der FBI-Statistik haben die dort aufgeführten 5800 Fälle insgesamt mehr als 68,5 Millionen Dollar verloren. Durchschnittlich verlieren demnach Opfer der Love Scammer mehr als 14 000 Dollar. Ohne eine Chance, das Geld je zurückzubekommen.

Rose Fischer, 57, wurde über Facebook von einem Mike Walter aus Halifax, Großbritannien, kontaktiert. Zuerst habe sie sich nichts dabei gedacht, schließlich sei sie verheiratet und habe drei Kinder. Aber "befreundet könne man ja sein". Also nahm sie die Freundschaftsanfrage des britischen Geschäftsmannes an. Jeden Tag bekam sie nun "ellenlange Mails" - und nach und nach bemerkte sie Defizite in ihrer eigentlichen, realen Ehe. "Wir schrieben zunächst über Hobbys, dann schmeichelte er mir, ich fühlte mich so lebendig."

Exorbitant gestiegen sind laut FBI auch die Delikte über Social-Media-Kanäle. Also nicht nur kostenlose Singlebörsen, wie man denken mag. "Verseucht mit Love Scammern" sind nach Aussagen von Selbsthilfegruppen inzwischen auch hochkarätige Singlebörsen, die viel Geld für ihre Vermittlungsdienste verlangen.

Rose Fischer wehrte sich, aber alles klang so glaubhaft: Er Witwer, Kind im Internat, seine Selbständigkeit, die Bilder von seiner Pipeline, Fotos von Vertragsabschlüssen. Über Wochen und Monate wird der Kontakt immer intensiver, enger, regelmäßiger. Rose Fischer taut auf, fasst Vertrauen zu dem Mann, der sie begehrenswert findet. Ein neues Leben am Horizont. Ein Ausbruch aus 35 Jahren Ehe. "Er gab mir Kraft, doch dann plötzlich war er einmal verzweifelt." Er habe Ärger mit dem Zoll wegen seiner Ölpipeline - und Mike Walter fragte erstmals, ob sie ihm aus der Patsche helfen könne. Als in ihr kurzzeitig Zweifel hochstiegen, habe sie ihn direkt angesprochen, ob er ein Betrüger sei. Er reagierte verzweifelt: Nachdem er schon so viel Ärger habe, nun auch noch solche Fragen.

"Männer bezahlen nicht nur für liebe Worte"

Vor diesem Betrug sind auch Männer nicht gefeit, aber deutlich mehr Frauen werden Opfer. Ein Verhältnis sieben zu eins, schätzt Meismann. Bei den vom FBI aufgelisteten Fällen ist das Verhältnis nicht ganz so krass: Etwa 1800 geprellte und enttäuschte Männer stehen da mehr als 4000 Frauen gegenüber. "Männer bezahlen vielleicht noch für Nacktfotos oder Nacktvideos, aber nicht nur für liebe Worte", meint der Detektiv. "Bei Männern braucht es oft mehr Einsatz als ein paar Gedichte." Doch die Scham und damit die Dunkelziffer verzerrt diese Statistik.

2600 Euro wies Rose Fischer bei MoneyGram an, doch irgendwas ging schief bei der Überweisung. Die Bank rief zu Hause am Telefon an, ihr Mann nahm den Hörer ab. Ihre heimliche Liebe flog auf. Ihre Kinder gingen auf Distanz. Ihr Sohn, selbst Polizist, warnte sie, dass sie einem Betrüger aufgesessen sei. Die Familie ist enttäuscht, der Ehemann fühlt sich hintergangen, die Tochter will nichts mehr von ihr wissen. Doch das ist nicht alles: Rose Fischer leidet gerade ziemlich stark unter dem Verlust dieser Beziehung. Sie hat ganz realen Liebeskummer - auch wenn es nur ein virtueller Liebhaber war. Ganz ernsthaft, denn Mike Walter oder besser der oder die Love Scammer reagierten sauer - und lassen den Kontakt seither ruhen.

"Die Person, die sich ins Leben schlich, ist auf einmal weg. Der Mensch, dem man vertraute, mit dem man eine Zukunft haben wollte, ist nicht mehr da. Es fehlen die liebevollen Mails, Komplimente, Ratschläge, Youtube-Songs, die man geschickt bekam, einfach alles, mit dem man angefüttert wurde", sagt Fischer. "Ich reagierte schon wie süchtig auf alles und so geht es anderen Betroffenen auch. Weil die Täter es schaffen, am eigenen Leben so sehr teilzunehmen und sich unverzichtbar zu machen."

Rose Fischer hat finanziell keinen Schaden genommen, aber psychisch ist sie seither labil - und sie steht vor den Trümmern ihrer Ehe. "Ich habe mich mit 57 Jahren in eine Illusion verliebt." Hinterher sehe man sich sicher als naiv, aber "man darf auch nicht vergessen, dass man einer Gehirnwäsche ausgesetzt war", sagt sie.

Oft seien die Opfer lange allein, hätten eine schwere Vergangenheit, manchmal kleine Kinder. Eher sei es ein tief verankerter Wunsch nach wahrer Liebe, die sich mit der relativen Unerfahrenheit im Internet paaren würde. Denn schnell würde selbst eine einfache Google-Bildersuche schon den Betrüger entlarven.

Das Bundeskriminalamt führt keine spezifischen Statistiken über das Phänomen, offizielle Zahlen aus Deutschland gibt es nicht. "Ohnehin wäre die Dunkelziffer exorbitant hoch, weil die Opfer aus Scham schweigen", sagt Detektiv Meismann. "Die Zahl unserer Kundinnen aus diesem Sektor in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist erschreckend hoch." Mehrere Hundert Zugriffe pro Woche verzeichnen die speziellen Webseiten seiner Detektei. Eine Aussage, die auch Selbsthilfegruppen im Netz so bestätigen: Das Informationsbedürfnis sei ungemein hoch, die Anzahl der Opfer in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen.

Mit Mitte vierzig bis Ende sechzig komme man ins Visier der Täter. Laut FBI-Statistik stellen diese Frauen 70 Prozent alle Opfer. "Ich hatte gerade eine Frau hier, die wollte ihr Haus für so einen Betrüger verkaufen", sagt Detektiv Meismann. Darauf reinzufallen, habe nichts mit Intelligenz zu tun, meint Meismann, zu dessen Kundinnen auch Ärztinnen gehören. Die Opfer der Betrüger finden sich quer durch alle Bildungsschichten. Darunter seien auch sehr, sehr hübsche Frauen, ergänzt der Detektiv.

Elfriede Müller, 53, wohnt nahe Frankfurt am Main und ist seit 2006 geschieden. Mit 49 meldete sie sich zum ersten Mal bei einer Internet-Singlebörse an und fiel gleich auf einen Betrüger rein. Schnell wechselten sie auf andere Kommunikationskanäle. Er hielt Kontakt über E-Mail, SMS, Whatsapp, bei Facebook präsentierte er sie schon als seine neue Frau. Auch war er ständig für sie da. Irgendwann war sie von einer "unglaublichen Sehnsucht und hormonellem Wahnsinn" getrieben, wie sie selbst sagt. Er nahm an ihrem gesamten Leben teil, wenn sie Streit in der Familie hatte, gab er Tipps, wie sie sich verhalten soll. "Ich hab wirklich gedacht, ich habe meinen Seelenmenschen kennengelernt."

Wiederholende Legenden

Doch auch bei Elfriede Müller kam es nie zu einem realen Treffen. Sie glaubte alle Tragödien, die ihr Lovescammer erfand. Innerhalb von zwei Monaten verlor sie so mehr als 37 000 Euro. Mal brauchte er Geld für ein Handy, dann weil seine Kreditkarte nicht funktionierte, dann zunächst 6000 Euro für ein Ölgeschäft, dann für einen Goldkauf 12 000 Euro, die sie, natürlich, hoch verzinst zurückbekäme. Dann wieder Geld, weil er wegen dieses Goldhandels angeblich verhaftet wurde. "Ich hatte ein schlechtes Gewissen", sagt Müller.

Die Legenden wiederholen sich, mal ist es ein junger Adonis aus Ghana, ein Profifußballer, der hier aktiv werden möchte, mal ein Witwer mit Kindern aus Großbritannien oder eben der einsame US-Soldat in Übersee. Immer sind es gestohlene Bilder von realen Männern, oft von italienischen Models, geklaut aus den unendlichen Weiten des Internets. Meist kommen noch Fotos von Haus, Yacht, Kindern dazu. Doch auch die sind frei erfunden. Ebenso wie die Lebensläufe der erfolgreichen Geschäftsleute. Und selbst wenn die Opfer etwas über Lovescammer oder Romance Scammer lesen würden, sagt der Detektiv, heiße es bei ihnen: "Mein James aber nicht."

Für naiv hält Meismann seine Kundinnen nicht: Schließlich seien die Täter psychologisch geschult und würden suggerieren, dass man all das eingesetzte Geld mit Zinsen zurückbekäme. Seiner Meinung nach treibt Einsamkeit und Sehnsucht die Frauen zu der offensichtlichen Blindheit. "Es gibt Frauen, die sich nach so einer Erfahrung umbringen wollen, viele weinen bei unseren Terminen. Dabei geht es weniger um das Geld, sondern um den Schmerz und den Vertrauensverlust."

"Mittlerweile hatte ich gemerkt, dass es nicht nur eine Person war, sondern eine ganze Bande." Spricht man Müller auf ihre Leichtgläubigkeit an, wird sie still. Einen Tag später schreibt sie: "Es war Unwissenheit, nicht Naivität."

* Namen geändert

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