"Und jetzt bitte noch einen persönlichen Glückwunsch ins Fotoalbum des Brautpaares", raunt uns der Trauzeuge zu. "Ihr dürft ruhig kreativ sein!" Dabei hatten wir uns nach der Videobotschaft und der Grußkarte für den Herzluftballon gerade auf eine kreative Pause gefreut. Aber gut, dann zücken wir eben noch mal Buntstifte und Kleber. Susanne und Thomas sollen ihre Hochzeit schließlich in guter Erinnerung behalten. Und wir sind ja in Übung: Auch Tine und Horst, die Anfang Mai geheiratet haben, wollten - genau wie Flo und Holger letztes Wochenende - Luftballons, ein Video, ein Album. Alles ganz individuell, natürlich.
So sehr ich mich jedes Mal freue, dass der Kollege, die Schulfreundin, der Studienkumpel nun auch die Liebe ihres Lebens gefunden haben, so oft frage ich mich mit Beginn der Hochzeitssaison: schon wieder? Muss das sein? Denn egal, wie oft der Kollege, die Schulfreundin, der Studienkumpel versprochen haben, wenn er oder sie mal heirate, werde wirklich alles ganz anders (keine Spiele, keine Krawatte, keine Kirche, nur ganz klein, allerengster Kreis und so), wird es das eigentlich nie.
Trotz Scheidungsstatistiken ist der Trend zum Heiraten ungebrochen, jedes Jahr trauen sich in Deutschland mehr als 350 000 Paare und schließen den Bund fürs Leben. Doch zuvor sind viele Entscheidungen zu fällen. Manchmal mutieren Bräute in dieser Zeit zu Monstern. Manchmal geht erst auf der Hochzeitsparty alles schief. Und manchmal ist es einfach nur der schönste Tag im Leben. Lesen Sie hier alle Texte rund um das Thema Hochzeit.
Es beginnt mit der Location. Während das Brautpaar seine Abende normalerweise in hippen Großstadtbars verbringt und dem Besuch einer Provinzdisco spätestens seit Beginn des Studiums nur noch aus ironischen Gründen zustimmt, scheint die Hochzeitsfeier in eben jener Provinz ein Muss. Je weiter die Anreise, desto besser. Und so verbringen wir unsere Nächte nicht im eigenen Bett, sondern auf durchlegenen Matratzen in seltsamen Landgasthöfen, weil es in der Nähe des wahlweise echt romantischen (und ziemlich preiswerten) Schlosses in Brandenburg oder des echt süßen (und nicht ganz so preiswerten, dafür ökologisch einwandfreien) Landguts in der fränkischen Provinz kein anderes Hotel gibt. Weil hier niemand Urlaub macht. Außer Hochzeitsgästen.
Immerhin: Einen Kater hat am nächsten Morgen nur einer, der andere hat den ganzen Abend Wasser getrunken, weil er mit dem Auto zu jenem mindestens 20 Kilometer entfernten Landhotel fahren musste. Und: Wir müssen uns keine Gedanken mehr über unseren Sommerurlaub machen, weil alle, wirklich alle dieser Hochzeiten zwischen Mai und September stattfinden. Wieso? Offenbar haben Brautpaare keinen Sinn für die Romantik von Schneeflocken. Der Vorteil: Wir erkunden, anstatt uns mit Hunderten anderen Touristen um den besten Platz am Strand zu streiten, zwischen den Hochzeiten ganz allein die unbekannten Schönheiten Brandenburgs.
Die Zahl der Eheschließungen steigt in der Bundesrepublik seit Jahren. Ihre Hochzeitsfeier lassen sich die Deutschen einiges kosten. Mindestens jeder Dritte (36 Prozent) ist bereit, mehr als 5000 Euro auszugeben. Ähnlich viele (38 Prozent) würden für den schönsten Tag im Leben zwischen 1000 und 5000 Euro einkalkulieren, hat gerade eine Umfrage ergeben. Eine ganze Branche von Weddingplannern, Hochzeitsfotografen und Brautmodedesignern lebt inzwischen davon, dafür zu sorgen, dass der schönste Tag im Leben auch wirklich schön wird. Einmalig, traumhaft, perfekt eben. Aber wieso läuft dieser Tag dann bei ganz unterschiedlichen Paaren so ähnlich ab?
Powerpoint-Präsentationen und Helene Fischer
Ich war im vergangenen Jahr auf sieben Hochzeiten. Natürlich gab es die einmaligen, lustigen und rührenden Momente. Die wilden Massenumarmungen auf der Tanzfläche. Aber bis es so weit war: Brautvaterreden mit der immer gleichen Botschaft ("Eigentlich rede ich ja nicht gern, aber jetzt muss ich doch mal sagen, was für ein Superpapa ich bin, der seine Supertochter an einen Mann abgibt, den ich eigentlich nicht für gut genug halte"), Powerpoint-Präsentationen mit Erinnerungen, an die sich niemand - am allerwenigsten das Brautpaar selbst - noch einmal erinnern wollte. Und, natürlich, immer wieder "Atemlos".
Nicht, weil meine Freunde alle Buffets lieben und den gleichen Helene-Fischer-ist-doch-gar-nicht-so-mies-Musikgeschmack haben. Sondern weil sie offenbar alle unter dem gleichen Druck stehen. Dem Druck, es recht machen zu wollen. Nirgends fällt das mehr auf als bei der Musik, die im besten Fall Mainstream ist. Im schlechtesten ein kruder Mix an Stilen - wie die Gäste eben auch.
Auf einer dieser sieben Hochzeiten führte das dazu, dass sich die Kastelruther Spatzen mit Latino-Techno abwechselten, um sowohl seine fränkische Familie wie auch ihre chilenischen Freunde zum Tanzen zu bewegen. Dazu trug die Gesellschaft Partyhüte, wie man es auf chilenischen Hochzeiten eben macht - selbst wenn sie auf fränkischen Burgen stattfinden. Es war ein schöner Abend, wirklich. Aber nicht wegen, sondern trotz der Musik. Dabei hatte sich meine Freundschaft zum Bräutigam einst vor allem auf der gemeinsamen Vorliebe für Indie-Konzerte begründet.