Süddeutsche Zeitung

Heimwerken:Gestrichen voll

Noch nie wurde so viel gehämmert, gebohrt und gemalert wie in der Pandemie. Jeder kann jetzt was! Bis auf unseren Autor, der an seinem Ungeschick verzweifelt.

Von Joachim Käppner

Das Hängeregal ist hübsch verschnörkelt und aus alter Zeit, es wird das Wohnzimmer zieren. Genau genommen würde es das tun, gäbe es im Haushalt jemanden, der es an der Wand zu befestigen verstünde. Ganz im Sinne des Gleichberechtigungsgedankens findet sich in der Familie niemand, der eine privilegierte Rolle beanspruchen und sich durch eine freiwillige Meldung über die anderen zu erheben trachten würde. Alle, halbwüchsige Söhne, Tochter, Mutter, Vater verabscheuen solche Tätigkeiten übereinstimmend und betrachten sich jeweils als die definitiv falsche Person dafür.

Bitte, wir wollen jetzt keine Klischees verbreiten, aber an wem bleibt es wieder hängen? Oder ehrlicher gefragt: Wer verliert zuerst die Nerven? Der Ehemann und Vater begibt sich schließlich in den Keller, um die Bohrmaschine zu suchen, die er nach nur einer halben Stunde bereits unter den Kisten mit den Lego "Star Wars"-Figuren und Raumgleitern wie "Anakin's Jedi Interceptor" findet (deren Zusammenbau, wie er sich düster erinnert, nicht ohne Tränen, Wutausbrüche und epochale Fehlversuche verlief).

Weil mal wieder jemand die Betriebsanleitung verschmissen hat, bereitet die Vorbereitung der Bohraktion gewisse Schwierigkeiten. Das Gerät verfügt über einen Spiralbohrer, einen Schlagbohrer, einen Flachbohrer und einen Lochöffner, nur: Welcher ist welcher? Ach, das wird keine große Rolle spielen bei zwei einfachen Dübellöchern, gehen wir's an, nehmen wir das fette Teil da.

Kraftvoll und präzise setzt der Ehemann und Vater die Bohrmaschine an und drückt auf den Startknopf. In einer idealen Welt würde der Bohrkopf jetzt glatt und sauber in der Wand verschwinden und ein exakt passendes Loch für Dübel und Schraubhaken schaffen. Aber die Welt ist nicht ideal. Kaum heult die Maschine auf, schüttet eine Kaskade aus rotem Kalk und Staub den heimwerkenden Mann zu. In der Wand klafft ein Loch, das nur ein Fünftel so tief, dafür aber fünf Mal breiter ist als vorgesehen. Es wäre auch hilfreich gewesen, das Sofa darunter gründlicher abzudecken als nur mit dem Börsenteil der Zeitung.

Das Gerät beginnt wild zu schlagen, eine neue Lawine von Staub und Steinchen entsteht

Wieder ansetzen, noch mehr Kraft, noch mehr Präzision. Das Gewinde frisst sich in die Wand, na also, geht doch, mit Gewalt geht alles besser, haben die Goldenen Zitronen gesungen, damals, auf St. Pauli, so lang her, als noch niemand von einem verlangte, selbst ist der Mann zu spielen. Aber wir wollen nicht abschweifen. Denn in diesem Moment des Triumphs heult die Bohrmaschine auf wie eine Hyäne, welcher der Löwe den leckeren Kadaver wegzieht. Das Gerät beginnt wild zu schlagen, was neue Lawinen von Staub und Steinchen auslöst.

In der Wand muss sich etwas ganz Hartes befinden. Vielleicht der Schutzmantel einer Starkstromleitung, denkt der werkende Mann, als er die Maschine hektisch fortreißt, leider ohne sie auszustellen, sodass sie weiteren Schmutz im Raum verstreut. Es sieht inzwischen aus, als habe das SEK hier mit scharfer Munition den Ernstfall geübt. Später macht der Heimwerker den weiteren Fehler, der Nachbarin von seinen Erlebnissen zu berichten. Sie lächelt gütig und sagt: Es klingt, als hättest du die Hammerfunktion eingeschaltet gehabt, nicht die Bohrfunktion. Hättest du mich gefragt, ich hätte das doch im Handumdrehen erledigt.

Mehr denn je und inzwischen über Geschlechtergrenzen und soziale Barrieren hinweg teilt sich die Bevölkerung, was ihre handwerklichen Fähigkeiten betrifft, in eine große Zahl von, wie man heute in der Branche sagt, "Do it yourself"-Menschen und ein Prekariat der Minderbegabten und gänzlich Begabungslosen. Diese zurückgelassene Gruppe muss damit leben, dass die Heimwerkerei, die nach 1945 vor allem aus schierer Not ganz selbstverständlich war, heute eine boomende Freizeitbranche ist, Baumärkte setzten während der Pandemie 2020 die Rekordsumme von 22,14 Milliarden Euro um.

Offenbar haben viele Menschen den vom Lockdown verordneten längeren Aufenthalt in den eigenen Wänden nur ertragen können, indem sie diese Wände immerfort neu gestrichen, Durchbrüche hineingeprügelt oder sonst in mannigfacher Weise umgebaut haben. "Es ist Dein Projekt", lockte die Baumarkt-Werbung, packen wir's an! Mancher Keller verwandelte sich in eine Profiwerkstatt, allerdings nicht der des Ehemanns und Vaters und seiner Familie, weil sie ihn so zugerümpelt haben, dass selbst die zyklopische Spezialisten-Werkbank für 2565 Euro kaum auffindbar wäre. Nachbarn indessen hörte man während des Lockdowns von Herzen hämmern und sägen, als gebe es kein Morgen.

Baumärkte sind zu beliebten Freizeitzielen geworden

So wurden manche Fifties-Feelings wach. 1957 nämlich erschien die erste Ausgabe der noch immer bestehenden Heimwerkerzeitschrift Selbst ist der Mann. Ihre Titelbilder zeigten gern den Haushaltsvorstand, dem Zeitgeist gemäß natürlich den Herrn des Hauses, bei energischer Verschönerung des Heims, während Gemahlin und Kinder ihm durch allerlei kleinere Arbeiten zur Hand gingen. Es war die große Zeit des Heimwerkens, das Jahrzehnt des Wiederaufbaus und begrenzter Geldmittel, was man tun konnte, erledigte man selbst, befeuert von der Reklame: "Neu lackieren ohne Mühen, nicht mehr streichen, lieber sprühen." Bei der Tesa-Werbung "Köpfchen muss man haben" fixierten bestens gelaunte Strichmännchen von aufgerissenen Schiffsrümpfen bis hin zu komplexen Kücheninstallationen alles für die Ewigkeit, was sich nur kleben lässt. Die Begabteren bauten sich ganze Häuschen mit eigenen Händen. Stehen diese Häuschen etwa im Großraum München, freuen sich die Erben, lassen sie wegbaggern und errichten auf dem damals noch großzügiger bemessenen Grund so viele Doppelhaushälften, wie gerade noch draufpassen.

Und jetzt, in der Corona-Atempause nach dem Lockdown, strömen die Leute nur so in die Baumärkte, um sich Schrauben, Kanthölzer, Dichtungsringsortimente, Winkelschleifer zu besorgen, sei es für den Bau von Carports und Baumhäusern, Gartengrills und Vorrichtungen zum Verjagen der Grünspechte aus ihrem neuen Lieblingszuhause, dem Dämmstoff hinter der Fassade des Fertighauses. Manchmal kann man an einem Samstagmorgen, wenn man in der Schlange vor dem Baumarkt steht, wo schon alle 650 Parkplätze belegt sind, beinahe annehmen, Armageddon stehe bevor und die Leute holten sich für ihre Survival-Bunker, was sie nur kriegen können.

Die Baumärkte, seit sie mit nur wenigen Jahrzehnten Rückstand begriffen haben, dass es sich lohnen könnte, auch weibliche Kundschaft anzusprechen, gehören inzwischen geschlechterübergreifend zu den beliebtesten Freizeitzielen. Heimwerkerportale instruieren Kundinnen und Kunden, wie man selbst die Dachrinne von Laub und Schmutz reinigt, ohne sich beim Sturz von der unbeholfen aufgestellten Gartenleiter mehrere Rippen zu brechen (was einem Leidensgenossen des Ehemannes und Vaters einst widerfuhr). Wie man ein Schwimmbecken in den Garten einbaut, ohne die Stromkabel des Stadtviertels zu durchtrennen, und auch nur ein Vogelhäuschen zusammenzimmert, aus dem die Meisen auch wieder lebend herauskommen. Alles Dinge, die handwerklich Herausgeforderten eine fremde Welt voller Gefahren sind, für die Finger wie für das Selbstwertgefühl.

Diese Gruppe der Abgehängten differenziert sich weiter aus in diejenigen, die entgegen allen empirischen Erkenntnissen und trotz aller Rück- und Stromschläge weiterhin fest an sich glauben und sicher sind, mit ein paar Handgriffen den elektrischen Anschluss zu reparieren, und jene, die weise oder resigniert genug sind, es gar nicht erst zu versuchen. Leider lässt ihnen der Alltag in seiner Tücke oft keine Wahl, als dennoch zur grobschlächtigen Tat zu schreiten. Der Wasserkocher bockt, das Licht im Flur fällt aus, warum lässt sich die verdammte Birne nicht aus der Fassung drehen, Bilder wollen an die Wand. Eigentlich lässt sich nicht länger verantworten, handwerklich unbegabte Menschen als Leute zu bezeichnen, die der Herrgott für ihre Verfehlungen und Begabungslücken mit zwei linken Händen bestraft hat. Viel angemessener wäre es doch, ihre Gefühle zu schonen und sie neutral als Handwerklich Anders Herausgeforderte Personen zu beschreiben, als HAHPs.

"Watt iss nur loss mit dir?", fragte er, denn man war im Rheinland

Erste Ahnungen über seinen HAHP-Status erfassten den heutigen Ehemann und Vater etwa in der siebten Klasse, als die Eltern ihn anhielten, zur Verbesserung seiner motorischen Anlagen einen Modellbaukurs in der Schule zu besuchen. Zu konstruieren war ein Segelflugzeug namens "Der kleine Uhu", zusammengesetzt irgendwie aus Sperrholzteilen, die mittels einer Laubsäge, Ohrenschmerz erzeugendem Schleifpapier und eines Schleifklotzes erst noch herzustellen waren. Es ließ sich nicht verleugnen, dass der eigene kleine Uhu schon bald Fertigungsrückstände aufwies. Das lag vor allem an den Stützrippen, welche die ausladenden Flügel des Modellflugzeugs stabilisieren, das heißt im vorliegenden Fall stabilisieren sollten, da sie zuverlässig beim ersten Montageversuch absplitterten. Als es endlich gelungen war, wies der Fachlehrer, ein Mann alter Schule und daher frei von jedem Wunsch, Warmherzigkeit und Güte vorzuspielen, darauf hin, dass die linke Tragfläche verkehrt herum angeklebt war. "Watt iss nur loss mit dir?", fragte er, denn man war im Rheinland.

Es kam der Tag, an dem sich die Gruppe auf einen Hügel begab und die kleinen Uhus mit kraftvollen Würfen zum Erstflug in die Lüfte schickten. Mehr oder weniger elegant glitten die meisten Flieger zu Tal, von frohen Rufen ihrer Besitzer begleitet. Der eigene Vogel stieg überraschend steil auf, ging in eine Steilkurve über und schlug im Unterholz ein wie Quack, der Bruchpilot aus St. Erpelsburg (wir erinnern uns: Das ist der Privatpilot von Dagobert Duck). Spätestens jetzt war eigentlich klar, watt loss iss mit dir.

Ein besonders grausames Feuerchen in der Hölle des Heimwerkens - aus Sicht derer, die mit zwei Hammerschlägen einmal den Daumen bös erwischen und das andere Mal den Nagel unrettbar verbiegen - sind die Online-Tutorials auf Youtube. Bei der guten alten Bauanleitung für eine Möbelhaus-Couch wusste man wenigstens, dass man es mit einem ehrlichen und berechenbaren Gegner zu tun hatte. Er versuchte gar nicht erst den Eindruck vorzugaukeln, dem Kunden helfen zu wollen, sondern ließ ihn wissen: Komm doch, Bursche, zeig, was du draufhast.

Aus dieser Epoche, in der noch nicht alle gesellschaftlichen Konflikte weggelächelt wurden, stammen legendäre Beispiele wie der Hinweis zum Selberbauen der elektronischen Weihnachtskerze GWK 9091. Laut Hersteller geht es so los: "1. Auspack und freu. 2. Slippel A kaum abbiegen und verklappen in Gegenstippel B fuer Illumination von GWK 9091."

In Tutorials wird so getan, als wäre Heimwerken der einfachste Job der Welt

Das Tutorial dagegen ist hinterhältig. Ein bärtiger, treuherzig blickender Mann oder eine in beängstigender Weise Kompetenz und Sicherheit ausstrahlende Expertin lächeln die Unbegabten an und versichern, alles werde gut. Heimwerken sei der einfachste Job der Welt, gleich ob man den Dachboden selber wärmeisoliert, die Do-it-yourself-Ausziehcouch montiert, den Schornstein saniert oder als angehender Jäger die Teile der Bockbüchsflinte Merkel B 4, sie heißt wirklich so, zusammenfügt. Sodann vollführen sie rasche, zielgenaue, mit dem bloßen Auge kaum nachvollziehbare Bewegungen, und fertig ist die Laube. Der Versuch, dies nachzuahmen, ist für HAHPs ein sicherer Weg, sich in Dämmstoff zu verwickeln, der bei Berührung mit der Haut übrigens höllisch kratzt, von hämisch grinsenden Feuerwehrleuten aus dem Schnappmechanismus der Selberbau-Couch befreit werden zu müssen, rücklings in den Schornstein zu kippen oder sich in den Fuß zu schießen.

Sie gibt es ungern zu, aber Trost findet die handwerklich anders herausgeforderte Person ebenfalls auf Youtube. Die Clips rund um "Fail Army" zeigen nicht, wie man eine Stromleitung verlegt oder einen Dachstuhl im Handumdrehen eigenhändig zusammenzimmert. Zu sehen ist das Gegenteil: Leute, die mit der Bohrmaschine versehentlich die Wand durchbrechen, von der Gartenleiter in den Pool fallen oder auch im Hafen mit dem Containerschiff die Kaimauer übersehen, was die Ausladung nicht einfacher machen wird. Auf dem Film einer Überwachungskamera ist zu verfolgen, wie ein junger Mann mit seinem Gabelstapler durch eine riesenhafte Halle fährt, umgeben von Regalen voller Boxen und Behälter. Etwas zu schwungvoll streift er, nur ganz, ganz leicht, das Eckregal zur Rechten, schon knickt es sanft, aber unaufhaltsam ein, und wie Dominosteine kippen auch die anderen, während der Unfallfahrer das Weite sucht, sie fallen und fallen, Dutzende, ach was, Hunderte, Tausende von Kartons, bis sie eine meterhohe Skulptur bilden. Sie wäre ein schönes Denkmal, eine Hommage an den unbekannten Heimwerker.

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