Süddeutsche Zeitung

Hartz IV:"Toastbrot: 59 Cent, reicht für zwei Tage"

416 Euro im Monat, so hoch ist der Hartz-IV-Regelsatz für Alleinstehende. Ist man damit arm? Vier Menschen zeigen ihre Kassenzettel und erzählen, was sie sich leisten können - und was nicht.

Von SZ-Autoren

"Herr Spahn, leben Sie für einen Monat vom Hartz-IV-Grundregelsatz!", so lautet die Überschrift der Onlinepetition von Sandra S. Mehr als 160 000 Menschen haben unterschrieben. Die Aufforderung richtet sich an den neuen Bundesgesundheitsminister, der in einem Interview gesagt hatte: "Hartz IV bedeutet nicht Armut." In Deutschland habe jeder das, was er zum Leben braucht. Aber was heißt das überhaupt, Armut? Dass man irgendwie satt wird, auch wenn man sich tagelang von Haferflocken mit Wasser ernähren muss? Vier Hartz-IV-Empfänger aus ganz Detuschland haben der SZ erzählt, was sie eingekauft haben. Dabei herausgekommen sind vier Geschichten über Einsamkeit und Genügsamkeit - aber auch über den Konkurrenzkampf und den Neid unter den Bedürftigen.

Thomas G., 58, gelernter Koch, vor dem Penny-Markt in Düsseldorf:

"Zu diesem Herrn Spahn sag' ich nichts. Der lebt doch auf dem Mond, von wegen Hartz IV ist keine Armut. Der kriegt da in Berlin seine Diäten und drängelt sich vor an den Buffets. Für lau. Ich bin seit acht Jahren arbeitslos, früher war ich Koch, habe auch mal als Kellner gearbeitet. Aber ich kann nicht mehr lange stehen, wegen des Rückens: viermal Bandscheibenvorfall, Hüfte schief, das rechte Knie schmerzt. 58 Jahre bin ich jetzt. Und schwer vermittelbar, sagen die beim Jobcenter. Zwischendurch mal eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Und ein paar Gelegenheitsjobs. Sonst Hartz IV.

Klar kann man von den 416 Euro leben. Irgendwie, man muss ja. Du gehst eben zu Aldi, Penny, Lidl, Netto und so. Manches ist weiter weg, aber Zeit hab ich ja. Ab und an fahr ich mit der Bahn in den Norden von Düsseldorf, da hab ich früher gewohnt. Der Gemüsehändler kennt mich noch als Kunde, der steckt mir was zu: Äpfel, braune Bananen oder Tomaten. Davon kann man sich schon was machen mit ein paar Gewürzen. War ja mein Job. Nur am Monatsende wird's knapp, im Januar hatte ich zum Schluss noch 3,42 Euro auf dem Konto. 3,42! Da muss ich dann zu Aldi, da gibt's Toastbrot für 59 Cent. Das reicht für zwei Tage. Das Mischbrot von heute hier ist schon besser, auch gesünder.

Nein, hungern tue ich nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich wirklich arm bin. Ich lebe allein, mein Sohn ist zum Glück längst erwachsen. Aber anderen geht es bestimmt schlechter, den Obdachlosen zum Beispiel. Nur, mit Hartz IV kann man sich halt nichts leisten. Bio geht gar nicht. Und wenn wie neulich die Waschmaschine streikt, muss ich einen Freund anpumpen für die Reparatur.

Jetzt gab es ja dieses Theater um die Essener Tafel. Da hab ich mir gesagt: Da geh' ich jetzt auch hin, also hier in Düsseldorf. Als ich das zwei Freunden erzählte, haben die mich angeguckt: "Du willst da hin?" Aber so kann ich was sparen. Und mir was gönnen. Mal Schokolade für 49 Cent oder richtigen Käse. Ob mir das peinlich sein wird, bei der Tafel anzustehen? Mal sehen. Peinlich ist auf jeden Fall dieser Herr Spahn. Aber wie gesagt, zu dem sag' ich nichts."

(Protokoll: Christian Wernicke)

Bahar S., 67, Einzelhandelskauffrau in Rente, vor der Tafel in München

"Als ich die Tafel noch nicht kannte, habe ich manchmal mehrere Tage nichts als Haferflocken gegessen. Billiger kann man sich nicht ernähren. Wer denkt, dass Hartz-IV-Empfänger 416 Euro im Monat zur Verfügung haben, weil die Miete ja vom Amt bezahlt ist, der hat noch nie mit einem Arbeitslosen gesprochen. Ich bekomme jetzt, nachdem ich 37 Jahre in Supermärkten gearbeitet habe, seit zwei Jahren Rente, aufgestockt mit Sozialhilfe. 38 Euro gebe ich für Medikamente aus, 30 Euro für Strom, 40 Euro für Telefon und Internet. Da bleiben bei mir monatlich 190 Euro; davon muss ich 100 Euro Kredit abbezahlen. Kleidung kaufe ich seit Jahren nicht mehr, diese Winterstiefel hat mir mein Sohn geschenkt; die Jacke habe ich für zehn Euro im Second-Hand-Laden bekommen.

Seit mir jemand erzählt hat, dass ich zur Tafel gehen kann, geht es mir viel besser. Heute habe ich einen ganzen Einkaufs-Trolley und eine Tüte voll bekommen: Brot, Obst und Gemüse. Aber es ist für mich sehr schwer, alles nach Hause zu tragen. 45 Minuten Fußweg. Vor zehn Jahren habe ich Leukämie bekommen, ich habe starke Schmerzen in den Knien und im Rücken. Aber diesen Monat konnte ich mir die 30 Euro für das Sozialticket nicht leisten, also muss ich laufen.

Der Kassenzettel hier ist von Montag. Von den 1,45 Euro für das Hähnchen mache ich drei Gerichte. Heute Reis mit Hühnerbrühe; es reicht mir, wenn es etwas nach Huhn schmeckt. Aus dem Rinderhack, sogar Bio, und der Aubergine mache ich mir mein Festessen. Einmal im Monat koch' ich etwas Tolles. Dieses Mal gefüllte Aubergine. In meinem Geldbeutel ist jetzt noch ein Zehn-Euro-Schein, der muss bis 31. März reichen. Ja, ich würde sagen, dass ich arm bin, was soll Armut sonst sein? Ich kann oft nicht in die Apotheke gehen und das Rezept für die Schmerzmittel einlösen. Da müsste ich fünf Euro zuzahlen jedes Mal. Hartz IV macht dich arm, manchmal auch krank. Meine alte Wohnung war sehr kalt. Jetzt durfte ich zum Glück umziehen. In der neuen Wohnung schlafe ich auf einer Matratze auf dem Boden. Für ein Lattenrost fehlt das Geld. Bisher gibt es auch keine Schränke in der Küche und keinen Spiegel im Bad.

Hartz IV macht auch einsam: Du kannst nicht mit ins Kino, Schwimmbad oder Theater. Es reicht nicht mal für den Cafébesuch - einladen will ich mich von Freunden nicht lassen. Ich weiß ja, dass ich mich nicht revanchieren kann."

(Protokoll: Helena Ott)

Ronny D., 38, gelernter Gerüstbauer, vor dem Netto-Markt in Berlin:

"Ich bin so 'n Mensch, ich muss Straßenzeitungen in der U-Bahn verkaufen. Jeden Tag, damit ich abends mit meiner Freundin was zu Fressen habe und meine zwei Hunde ernähren kann. Die Staatsanwaltschaft verlangt auch noch Geld von mir, weil ich Strafen offen habe. Das reicht alles vorne und hinten nicht, obwohl ich mein Hartz IV kriege.

Und wenn ich dann sehe, wie manche Asylbewerber oder Ausländer mit so 'nem Kinderwagen vorbeifahren, der fast 400 Euro kostet, da fass ich mir an Kopf. Ich finde: Unser Staat lässt sich einfach von denen abziehen. Und wir, die hier in Berlin aufgewachsen sind, müssen um jeden Pfennig betteln. Ich bin wütend auf mich selber, dass ich da überhaupt drüber nachdenke. Ich habe ja auch nicht so viel Kraft, weißt du. Ich verkaufe jeden Tag fünf Stunden Zeitungen, für einen Hungerlohn. Ich bin gelernter Gerüstbauer. Da läuft aber schon länger nichts mehr. Also hab ich mal vier Jahre bei der Bundeswehr in der Kantine bedient. Die wollten mich dann nach Afghanistan schicken, verstehst du? Da bin ich sofort gegangen. So was will ich mir nicht antun. Aber jetzt krieg ich keinen Job mehr, der Zug ist abgefahren, und das kotzt mich an.

Überall muss ich sparen, das fängt schon beim Klopapier an, bis sonst was. Letztens habe ich Tortellini gekauft, und meine Freundin macht deswegen gleich ein Riesentheater. Billigen Alkohol kauf ich ja so schon immer. Schloss Pils, da kostet die Dose 29 Cent. Wenn ich in einem Laden sehe, die haben das nicht, da kostet das Bier mehr, dann fahr ich halt zum nächsten Laden. Weil ist doch scheißegal, ob du jetzt gleich trinkst oder 20 Minuten später, Alter, das ist doch komplett egal. Ich finde, heutzutage muss man einfach sparen.

Aber wenn ich viel Kohle in der Bahn mache, beim Schnorren, dann hole ich mir schon ein Nackensteak oder Chicken Nuggets. Hauptsache ein Stück Fleisch. Ich koch mir dann ein Geschnetzeltes auf Zürcher Art. Weil ich finde, das ist die Belohnung, weißt du, wenn ich mich, auf gut Deutsch, stundenlang in der U-Bahn zum Nappel gemacht habe."

(Protokoll: Christian Gschwendtner)

Kathrin R., 55, gelernte Verkäuferin, beim Einkauf bei Rewe in Leipzig:

Zu DDR-Zeiten war eigentlich das ganze Leben bis zur Rente durchgeplant. Arbeitslosigkeit gab es in dem Sinne nicht. Mit der Wende kam die Unsicherheit. Ich verlor meinen Job in einer Kantine und durchlief diverse Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Ich hatte Arbeitsangebote im Westen - aber wie hätte ich das machen sollen als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern.

Ich blieb und ackerte, verkaufte Staubsauger und später Gebrauchtwagen. Teilweise arbeitete ich 60 Stunden auf 400-Euro-Basis. Ich musste immer mit staatlicher Hilfe aufstocken. Meinen Kindern konnte ich keinen Luxus bieten. Statt Marken-Jeans gab es Klamotten aus Polen. Mein Sohn hatte einmal eine Handyrechnung, die höher war als der Regelsatz. Da konnte ich nicht zahlen und das Handy wurde abgeschaltet. Auch von Zwangsräumung waren wir schon bedroht.

Heute sind meine Kinder in den Dreißigern. Sie haben alle eine Berufsausbildung und selbst Kinder. Bis vor kurzem konnte ich nebenher als Haushaltshilfe arbeiten und hatte 100 Euro extra im Monat zur Verfügung. Da konnte ich mit den Enkeln mal auf den Rummel oder ins Kino gehen. Doch ich schaffe die Arbeit körperlich nicht mehr, somit fehlt das zusätzliche Geld. Manchmal kann ich mir nicht mal ein Eis für die Kinder leisten, aber ich kann auch nicht immer Nein sagen. Wenn das Wetter schön ist, fahren wir Fahrrad und beobachten Tiere. Ansonsten basteln wir sehr viel. Das habe ich schon immer gerne gemacht. Freunde und Familie bekommen von mir meist selbstgebastelte Geschenke. Die Streichhölzer habe ich gekauft, weil ich aus den Schachteln Weihnachtskalender machen kann.

Hartz IV bedeutet ständigen Verzicht, sich bei jedem Einkauf Gedanken über Cent-Beträge zu machen. Ich habe einen Bekannten zum Essen eingeladen. Es gibt Lasagne. Eigentlich wollte ich in das Hackfleisch Mais reinmischen. Doch den Mais für 49 Cent gab es nicht, den für 1,99 Euro kann ich mir nicht leisten. Deswegen kommen jetzt Erbsen rein. Natürlich geht das auch - aber ich würde mir gerne mal was gönnen: ein Stück Fisch oder einen kräftigen Käse von der Käsetheke."

(Protokoll: Antonie Rietzschel)

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Quelle:
SZ vom 24.03.2018/otth/feko
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