Gastbeitrag:Das Land braucht mehr Verbote

Gastbeitrag: Wer beim Klimaschutz darauf setzt, dass die Menschen freiwillig ihr Verhalten ändern - und zum Beispiel weniger fliegen -, betrügt sich selbst.

Wer beim Klimaschutz darauf setzt, dass die Menschen freiwillig ihr Verhalten ändern - und zum Beispiel weniger fliegen -, betrügt sich selbst.

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Vorschriften, Bürokratie, Steuererhöhungen? Das sind heutzutage verpönte Begriffe in der Politik. Doch die Idee, das Gemeinwohl den Einzelnen anzuvertrauen, führt zu Stillstand. Zum Beispiel im Umweltschutz.

Kommentar von Hans Peter Bull

Begriffe wie "Steuererhöhung", "Verbote" und "Bürokratie" sind in der politischen Kommunikation verpönt. Eine Partei, die Wahlen gewinnen will, hütet sich wie der Teufel vor dem Weihwasser davor, die Erhöhung irgendwelcher Steuern oder das Verbot bestimmter Verhaltensweisen auch nur andeutungsweise zu erwähnen. Diese Begriffe werden auch in medialen Diskussionen umgangen, und das findet in der Gesellschaft Beifall: Der Philosoph Peter Sloterdijk will Steuern durch freiwillige Abgaben ersetzen, Liberale aller Art wettern gegen Verbote aller Art, und Wirtschaftsverbände sowie Konzerne fordern den Abbau "bürokratischer" Regeln, die den freien Geschäftsverkehr erschweren.

Aber diese Tabus behindern fortschrittliche Politik. Ohne eine angemessene, sozial ausgewogene Steuerpolitik, ohne klare gesetzliche Regeln zum individuellen Ressourcenverbrauch und ohne entsprechende Durchsetzungsmöglichkeiten werden politische Ziele jenseits der Erhaltung des Status quo unerreichbar bleiben.

Wer bei politischen Reformen darauf setzt, dass alle Menschen freiwillig ihre Lebensweise ändern, auf Komfort verzichten und Opfer für die Allgemeinheit erbringen, hat einen erheblichen Teil der Mitmenschen aus dem Blick verloren und betrügt sich selbst, was die Erfolgsaussichten seiner Vorschläge angeht. Unser aller Bereitschaft zu Opfern für andere ist begrenzt, und diese Einstellung entspricht der individualistischen Grundlegung unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung: Die Verfassung geht vom Einzelnen aus; die Anforderungen anderer und der Allgemeinheit gelten als Einschränkungen der individuellen Freiheit und des allgemeinen Strebens nach Glück.

Der Staat aber soll die kollidierenden Bedürfnisse und Wünsche untereinander zum Ausgleich bringen, ungerechte Zustände beseitigen und die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen, damit Frieden - auch mit der Natur - und Gerechtigkeit eine Chance haben. Dazu sind allgemein geltende Regeln nötig, also Gesetze.

Wenn die soziale Kluft zwischen Reichen und Armen immer größer wird, wenn die einen sich die Ressourcen der Natur ungeniert aneignen und andere kaum noch die Stromkosten bezahlen können, wenn ein kleiner Teil der Gesellschaft über den größten Teil aller Vermögenswerte verfügt - dann kann der Staat nicht passiv bleiben, dann muss er reagieren, also umsteuern und die Entwicklung lenken.

Wesentliche Steuerungsinstrumente sind Gebote, Verbote, Auflagen, Verfahrensvorschriften - und eben Steuern. Es gibt keinen Grund, darauf zu bestehen, dass sie unverändert bleiben müssen. Zu entscheiden ist vielmehr, welche Besteuerung angemessen ist, insbesondere der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen entspricht. Kein Naturgesetz besagt, dass ein bestimmter Einkommensteuer- oder Erbschaftsteuersatz nicht überschritten werden darf. Tatsächlich lassen die aktuellen Steuertarife noch viel Luft nach oben. Wenn der Spitzensteuersatz unter Kanzler Kohl bei 56 Prozent lag, braucht er heute nicht niedriger zu sein.

Rechtfertigung und Grenze der Steuerpflicht bildet der Bedarf des Staates. In Zeiten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchs ist er besonders groß: Der Staat muss Menschen auffangen, die durch Strukturwandel wie Energiewende und Digitalisierung arbeitslos werden, er muss Renten sichern und die Not vieler Benachteiligter, zum Beispiel alleinerziehender und alter Menschen, mindern, und er muss gewaltige Summen aufbringen, um die Umweltkatastrophe abzuwenden.

Auch wer hohe Steuern zahlt, profitiert von Leistungen des Staates. Dieser stellt Schulen und Universitäten, Verkehrs- und Energieinfrastruktur und die entsprechenden Verwaltungsleistungen zur Verfügung. Keine Firma produziert etwas, ohne die vom Staat finanzierte Infrastruktur zu nutzen. Auch Gutverdienende lassen ihre Kinder in staatlichen (und staatlich geförderten) Kindertagesstätten betreuen. Niemand rechnet nach, was er aufwenden müsste, um alle Leistungen der Allgemeinheit - von Kindergärten über Verkehrswege bis zu Polizei und Gerichten - privat zu organisieren und zu unterhalten.

Es ist ein Trauerspiel, dass selbst Ökologen sich scheuen, für Verbote und Auflagen zu werben

Wären die Parteien mutiger, würden sie diese Position offensiv vertreten. Das gilt für die Höhe der Steuern wie für das heikle Thema "Verbote". Was die einen als Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten ansehen, schützt die Lebenssphäre anderer oder weitet ihre Freiheit aus. So war es richtig, E-Roller auf Fußwegen zu verbieten; die Fußgänger sollten es der Politik danken. Andere technische Innovationen stehen demnächst zur Entscheidung: Die interessierte Industrie will, dass künftig Drohnen Pakete austragen und Lufttaxis als Flughafenzubringer durch die Städte fliegen. Das würde die ohnehin abgasvergiftete Luft weiter belasten und den Lärmpegel erhöhen, obwohl doch Konsens besteht, dass Straßen- und Luftverkehr sauberer und leiser werden müssen.

Es ist ein Trauerspiel, dass selbst bekennende Ökologen sich scheuen, zur Durchsetzung der Klimaziele für gesetzliche Verbote oder Auflagen zu werben. Die Angst vor den Wählern sitzt tief - zu tief, wenn man bedenkt, wie sehr die Meinungen schwanken, wie wechselhaft die politischen Konjunkturen sind. Wenn heute unter dem Druck demonstrierender Jugendlicher auf allen Kanälen Handlungen und Entscheidungen versprochen werden, die eigentlich seit Langem fällig sind, sollte auch die strikte Regulierung gemeinwohlschädlicher Technik nicht mehr tabu sein.

Hans Peter Bull, 82, war der erste Bundesbeauftragte für den Datenschutz sowie Innenminister von Schleswig-Holstein.

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Wer bei politischen Reformen darauf setzt, dass alle Menschen freiwillig ihre Lebensweise ändern, betrügt sich selbst, kommentiert unser Autor. Ohne klare Regeln bleiben Ziele jenseits des Status quo unerreichbar.

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