Haftpflichtversicherung für Hebammen:Wenn die Geburtshilfe im Sterben liegt

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Immer mehr Hebammen konzentrieren sich auf die Nachsorge, weil sie die Versicherung für Geburtshilfe nicht mehr bezahlen können (Archivbild). (Foto: dpa)

Die Debatte um die Haftpflichtversicherung für freie Hebammen ist heute Thema im Bundestag. Dabei geht es um mehr als um berufliche Existenzen. Es geht vor allem darum, wie wir künftig Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sehen wollen - als Krankheit oder als Beginn neuen Lebens.

Von Barbara Vorsamer

Ob Hermann Gröhe wohl diese Fragen beantworten kann, die ihm unter anderem von einer Elterninitiative zur Rettung der Hebammen via Twitter gestellt werden?

"Lieber Gesundheitsminister, kennen Sie das, wenn man hustet und Urin tröpfelt? Gibt es da Übungen dagegen?" - " Lieber Gesundheitsminister, mein Baby beißt beim Stillen - soll ich aufhören?" - " Lieber Gesundheitsminister, darf ich echt Puderzucker auf den Bauchnabel vom Baby streuen?"

Na, haben Sie es gewusst? Dann haben Sie wahrscheinlich kürzlich entbunden. Oder sind Hebamme.

Neben der Begleitung von Frauen während der Geburt sind Hebammen vor allem auch für Vor- und Nachsorge zuständig. Das heißt, sie kümmern sich bei Hausbesuchen darum, dass es Mutter und Kind gutgeht, wiegen das Baby, tasten die Gebärmutter ab und - für viele am wichtigsten - beantworten Fragen wie die oben zitierten.

Wer soll das alles machen, wenn es keine Hebammen mehr gibt? Weil sich die Nürnberger Versicherung zum Sommer 2015 aus der Haftpflicht für Geburtshilfe zurückzieht und weil Hebammen ohne Versicherung nicht arbeiten dürfen, halten viele die Existenz des gesamten Berufsstandes für bedroht. Mehr als 350.000 Menschen haben daher eine Online-Petition mit dem Titel "Rettet unsere Hebammen" unterschrieben. Auf Twitter regt sich unter dem Hashtag #Hebammen deutlicher Protest und am Internationalen Frauentag gingen zahlreiche Menschen für die Hebammen auf die Straße.

Vage Versprechen aus der Politik

An diesem Donnerstag ist die Problematik Thema im Bundestag. In einem Antrag fordern die Grünen die Bundesregierung auf, sich des Themas unverzüglich anzunehmen und nach mittel- und langfristigen Lösungen zu suchen ( die Drucksache hier als PDF). Noch ist völlig offen, wer Hebammen künftig wie versichert. Damit steht die Zukunft der gesamten Geburtshilfe in Frage.

Eine Haftpflichtversicherung braucht eigentlich fast jeder. Sie springt ein, wenn man unabsichtlich einen Schaden verursacht. Hebammen dürfen ohne Berufshaftpflicht gar nicht arbeiten, denn machen sie einen Fehler, kommen im schlimmsten Fall Mutter und Kind zu Schaden. Dass die Versicherungen Hebammen nun nicht mehr versichern wollen, liegt jedoch nicht daran, dass es häufiger zu Problemen kommt - ganz im Gegenteil, es passiert weniger als früher. Von Geburtsschäden betroffene Kinder können aber heutzutage besser behandelt werden und leben entsprechend länger. Eine erfreuliche Entwicklung, die die Versicherer viel Geld kostet.

Hebammen, die freiberuflich in der Geburtshilfe tätig sind, müssen daher vom Sommer 2014 an jährlich 5090 Euro für ihre Haftpflichtversicherung zahlen. In den neunziger Jahren waren es noch weniger als 500 Euro. Nach Angaben des Hebammenverbandes gibt es daher sogar Fälle von festangestellten Geburtshelferinnen, die über ihren Arbeitgeber so unzureichend versichert sind, dass sie noch eine eigene Haftpflichtversicherung obendrauf benötigen.

Wahlfreiheit beim Geburtsort

Frauen, die im Schnitt 8,50 Euro die Stunde verdienen, können solche Beträge nicht aufbringen, weswegen sich mehr und mehr Hebammen aus der Geburtshilfe zurückziehen. Schon jetzt sind die wenigsten freiberuflichen Hebammen in der Geburtshilfe tätig. Die meisten der 21.000 Hebammen in Deutschland ( alle Zahlen nach einem Gutachten des Bundesgesundheitsministeriums) sind entweder in Kliniken angestellt, arbeiten selbständig in der Vor- und Nachsorge oder bieten eine Kombination aus beidem an.

Maximal ein Viertel der freiberuflichen Hebammen sind (auch) in der Geburtshilfe tätig. Das sind schätzungsweise 3500 Frauen, wozu auch Beleghebammen gehören, die zwar in Kliniken, aber als Freiberuflerinnen Geburten begleiten. Nur knapp zwei Prozent aller Geburten finden unter Begleitung von Hebammen zu Hause oder im Geburtshaus statt. Wären nur diese von dem Versicherungsproblem betroffen, es würde nur wenige Menschen etwas angehen. Die Freiheit jeder Frau, selbst zu entscheiden, wo und wie sie gebären möchte, würde das dennoch massiv einschränken, wie Hebammen und ihre Unterstützer immer wieder betonen.

Doch dem Hebammenverband zufolge hat der Rückzug der Versicherer Auswirkungen auf alle freiberuflichen Hebammen, egal, wie und wo sie tätig sind. Denn die meisten von ihnen sind über den Gruppenhaftpflichtvertrag des Verbandes versichert, der in seiner jetzigen Form nur noch bis Sommer 2015 besteht. Ob und wie dieser in Zukunft aussehen wird und welche Beträge die Hebammen künftig aufbringen müssen, sei auch für diejenigen, die keine Geburtshilfe anbieten, völlig unklar, sagt Maren Borgderding vom Hebammenverband.

Dass es von 2015 an deswegen gar keine Hebammen mehr geben wird, ist natürlich ein unwahrscheinliches Schreckensszenario. Vor allem für Freiberuflerinnen, die lediglich Vor- und Nachsorge anbieten, kann sicherlich eine finanzierbare Lösung gefunden werden.

Ursprünglich waren Hebammen vor allem Geburtshelferinnen - heutzutage sind sie das jedoch immer weniger. 2012 verabschiedete sich dem Hebammenverband zufolge jede zehnte aus der freiberuflichen Geburtshilfe, für die Jahre davor schätzt das Gesundheitsministerium einen Rückgang von 25 Prozent. Als Grund geben die Hebammen häufig an, dass sie sich die Haftplichtversicherung nicht mehr leisten können.

Dabei ist es gesetzlich festgelegt, dass eine Frau Anspruch auf Hebammenunterstützung bei der Geburt hat. Auch in Kliniken sind sie nicht die Hilfsarbeiterinnen der Ärztinnen und Ärzte, im Gegenteil: Medizinisches Personal steht nur für den Fall von Komplikationen wie beispielsweise einem plötzlich notwendigen Kaiserschnitt bereit.

Zu Kaiserschnitten kommt es bei Klinikgeburten deutlich öfter als bei Geburten, die alleine von Hebammen betreut werden, weswegen Kritiker der klinischen Geburtshilfe argumentieren, dass hier möglicherweise schneller von Komplikationen gesprochen und schneller zum Skalpell gegriffen wird als eigentlich notwendig. Vielleicht trauen sich aber auch nur Frauen, bei denen voraussichtlich alles problemlos läuft, zu Hause zu gebären.

In jedem Fall braucht eine Wöchnerin nach der Entlassung aus der Klinik Unterstützung durch eine Hebamme.

Schwangerschaft und Geburt sind keine Krankheiten

Ob sich Hebammen aufgrund der Haftplichtproblematik auch aus der Vor- und Nachsorge oder gar aus dem Beruf an sich zurückziehen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, da die Zahl der Hebammen nirgends zentral erfasst wird. Doch es ist bekannt, dass es vor allem in Großstädten zu Engpässen kommt. Wer sich nicht frühzeitig - das heißt oft gleich nach dem Feststellen der Schwangerschaft - um eine Nachsorgehebamme kümmert, steht nach der Geburt unter Umständen alleine da.

Und was machen Frauen dann, wenn am Wochenende das Baby beißt, der Urin tröpfelt oder der Bauchnabel des Kindes nässt? In die Notaufnahme gehen? Abgesehen davon, dass Notärzte womöglich bei diesen Themen weniger Ahnung als Hebammen haben, würden so normale Wochenbettbeschwerden pathologisiert und in einen potenziell teureren Bereich verschoben.

Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger haben die Aufgabe, kranken Menschen zu helfen, Symptome zu erkennen und zu kurieren. Schwangere, Gebärende und Wöchnerinnen sind aber im Allgemeinen nicht krank. Sie brauchen Unterstützung in einer anstrengenden und existenziellen Situation. Die Bedrohung der freiberuflichen Geburtshilfe ist daher für alle ein Problem, die noch vorhaben, Kinder zu bekommen.

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