Haarspende:Meine Haare, deine Haare

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Dina bekam durch eine Krankheit einen kahlen Kopf. Damit Kinder wie sie eine schöne Perücke bekommen, spenden manche Mädchen und Jungen ihre Haare - so wie Janne.

Von Rebecca Sandbichler

Janne ist nervös. Seit sie denken kann, hat sie lange Haare, bis über die Schultern und weit in den Rücken hinein. Jetzt sitzt sie auf einem Friseurstuhl und soll einen kurzen Bob bekommen. Janne, neun Jahre alt, macht das nicht einfach so aus einer Laune heraus. Sie lässt nicht einfach nur so 30 Zentimeter von ihren braunen Haaren abschneiden. Sie will ihre Haare spenden und damit einem kranken Kind helfen.

Zwei Stühle weiter legt Dina ihren Kopf ins Haarwaschbecken. Sie kannte Janne bisher nicht. Die beiden haben sich aus Neugier zu diesem gemeinsamen Friseurtermin verabredet. Gerade massiert die Friseurin Dina eine pflegende Kurpackung ein. Sie soll die Haare wieder glatt und glänzend machen wie am ersten Tag. Geschnitten werden müssen sie nicht. Denn Dinas Haare sind zwar echt, aber nicht ihre eigenen: Sie trägt schon lange eine Perücke.

Dina machte mit ihren Eltern und ihren drei Schwestern gerade Sommerurlaub in Holland, als es losging. "Ich kämmte sie, und plötzlich war da eine kahle Stelle vorne an der Stirn", erzählt ihre Mutter und formt mit den Fingern ein kirschgroßes Loch. Sie war verzweifelt, doch Dina, damals Zweitklässlerin, tröstete sie. "Mama, wein doch nicht, es sind ja nur Haare", sagte sie jedes Mal, wenn wieder eine ihrer blonden Strähnen zu Boden fiel. Innerhalb von einem Monat war Dina ganz kahl.

Zuerst bekam sie eine Perücke aus Plastikhaaren. "Die war richtig schlimm", sagt Dina. Denn solchen künstlichen Perücken sieht man schon von Weitem an, dass sie aus Plastik sind. Später hat sie eine aus echten Haaren geschenkt bekommen. Normalerweise kostet so eine Perücke 3000 Euro und mehr. Sie sind so teuer, weil sehr viel Arbeit drinsteckt. Etwa 200 Stunden braucht ein Perückenmacher, um Tausende Haare einzeln auf das feine Netz zu knüpfen. Das ist mehr als ein Monat Arbeit.

Die Haare dafür müssen mindestens 30 Zentimeter lang sein. Jannes waren 31. Die Friseurin hat mit dem Maßband nachgemessen und sie direkt über dem Zopfgummi abgeschnitten, damit kein Stückchen verloren geht. Sie ist zufrieden: "Du hast ganz tolle, gesunde Haare."

Bevor die Haare zum Perückenmacher kommen, müssen sie gut durchtrocknen. Sonst könnten sie im Briefumschlag verschimmeln und die Spende wäre umsonst. Deswegen lässt die Friseurin den Zopf noch ein paar Wochen an der Luft liegen. Erst dann steckt sie ihn in ein Kuvert und schickt ihn mit der Post zum Verein "Haarspender" nach Wien.

Zusammen mit bis zu vier anderen Zöpfen werden Jannes Haare dann zu einer Perücke geknüpft. Die bekommt ein Kind, das nur noch wenige Haare hat oder wie Dina sogar ganz kahl ist.

An ein Leben ohne eigene Haare hat Dina sich längst gewöhnt. "Eine Zeit lang haben mich Kinder aus einer anderen Stufe geärgert", sagt sie. "Da hat mein Lehrer mit ihnen gesprochen." Dina selbst ist nur selten traurig darüber. Sie mag sich auch mit Perücke. Zu Hause trägt sie auch Glatze oder einfach nur eine ihrer vielen Mützen. Die Friseurin setzt ein Glätteisen an, zieht eine dünne Strähne nach der anderen gerade. Währenddessen werden Jannes gekürzte Haare zu einem Bob geschnitten. Im Friseursalon kommt heraus, dass sie beide gern turnen. So wie Janne kann auch Dina einen Spagat bis ganz zum Boden. Und auch sonst tut Dina mit ihrer Perücke alles, was andere Mädchen in ihrem Alter gerne machen: Mit ihrer besten Schulfreundin spielt sie in der Pause Fangen. Im Jugendzentrum nimmt sie mit ihrer kleinen Schwester lustige Tanzvideos auf. Und sie sitzt oft lange vor dem Spiegel und flicht sich komplizierte Zöpfe. Weil sie ihre Perücke über Nacht abnimmt, halten sie bei Dina länger.

Die Frisuren der beiden Mädchen sind jetzt fertig, sie prüfen sie noch einmal im Spiegel und rutschen zufrieden von den Drehsesseln. Janne wird sich umstellen: Der schnelle Pferdeschwanz, den sie bisher morgens machte, geht nicht mehr. Den Bob müsse sie schon föhnen, rät die Friseurin, damit er wirklich gut aussieht. Dafür hat er andere Vorteile. Janne wuschelt durch ihre neue Frisur: "Das fühlt sich auf einmal ganz leicht an."

© SZ vom 21.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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