Haag und Böhm im Interview:Zwei Leben auf Speed

Nur eine Handvoll Menschen weltweit können das, was Benedikt Böhm und Sebastian Haag vorhaben: Einen Achttausender besteigen. Mit Skiern abfahren. In 18 Stunden. Ein schnelles Gespräch über Tempo, Risiko und Liebe.

Birgit Lutz-Temsch

SZ: Warum seid Ihr Speedbergsteiger?

Haag und Böhm im Interview: Haag ist ein exzellenter Skifahrer - wie man beim Training in Cortina d´Ampezzo sehen konnte.

Haag ist ein exzellenter Skifahrer - wie man beim Training in Cortina d´Ampezzo sehen konnte.

(Foto: Foto: oh)

Böhm: Ich war immer schnell, in allem. Langsam gehen macht keinen Spaß. Wir haben nicht gesagt: Du, jetzt werden wir Speedbergsteiger. Wir sind wie Hunde, die immer bis zum Anschlag laufen, aus einem innerem Trieb heraus.

Haag: Der Mont Blanc zum Beispiel: Es ist eleganter und lustiger, die Tour an an einem Tag zu machen. Besser, als auf der Hütte zu übernachten, wo man eh nicht gut schläft. Es macht Sinn, sich schnell zu bewegen. Es ist bequemer.

SZ: Auch auf einem Achttausender? Böhm: Ab einer gewissen Höhe bist Du definitiv völlig im Arsch. Das ist einfach so. Du bist sowieso auf Minus, weil sich Dein Körper nicht regenerierert.

Haag: Deswegen ist es gut, sich dort oben so kurz wie möglich aufzuhalten. Wir nehmen die Frische aus dem Basislager so weit wie möglich mit nach oben.

SZ: Bei der Speedbegehung des Manaslu 2007 musstet ihr umdrehen. Keine leichte Entscheidung...

Böhm:...das lernt man. Früher waren wir risikobereiter. Das heißt nicht, dass wir jetzt weniger schaffen. Aber wir gehen mit ein bisschen mehr Kopf vor.

SZ: Was würdet Ihr jetzt vielleicht nicht mehr machen?

Böhm: Am Mont Blanc kamen die anderen Seilschaften zurück, die sagten, in der Nordwand geht so ein Wind, das kannst du komplett verreiben. Uns war das egal. Als wir dann drin waren, konnten wir gar nicht mehr umdrehen, weil der Wind uns einfach nach oben gedrückt hat. Ein paar Tage zuvor hat es da eine komplette Seilschaft über den Grat geblasen. Der Wind hat dem Basti einen Ski wie einen Pfeil weggeschossen. Auf einer Seite hat es uns die Gesichter erfroren. Ich wusste nicht, ob wir da lebend rauskommen.

SZ: Klopft Ihr Euch da hinterher auf die Schulter?

Haag: Im Nachhinein sagt man schon, mann, so richtig schlau war das nicht.

Böhm: Aber unmittelbar danach ist es einfach ein total geiles Gefühl.

Haag: Da gibt es ein Foto von uns, da leuchten unsere Augen - da stellt sich diese Frage gar nicht. Das ist wie eine Wiedergeburt, so ein Glücksgefühl.

Auf der nächsten Seite: Warum die beiden Viagra mit auf den Berg nehmen.

In Rekordzeit auf den Achtausender

SZ: Denkt Ihr in solchen Situationen daran, dass sich Menschen Sorgen um Euch machen? Oder seid Ihr da allein?

Haag und Böhm im Interview: Sebastian Haag und Benedikt Böhm (rechts) bezwingen Achtausender in Rekordzeit.

Sebastian Haag und Benedikt Böhm (rechts) bezwingen Achtausender in Rekordzeit.

(Foto: Foto: oh)

Böhm: Allein. Du musst Entscheidungen treffen. Wahnsinnig schnell. Hast keine Zeit, nachzudenken. Alles andere ist völlig ausgeblendet. Du musst Dich zu 100 Prozent konzentrieren, es geht nur noch darum, dass du eine saubere Bewegung nach der anderen machst. Selbst wenn ich am Tag zuvor meine größte Liebe kennengelernt hätte - das hat da überhaupt keinen Platz.

SZ: Sebastian, Dein Bruder ist vor drei Jahren in einer Lawine ums Leben gekommen. Wie geht Deine Familie mit den Gefahren Deines Sports um?

Haag: Meine Eltern sind natürlich besorgt. Sie wollen nicht noch einen Sohn verlieren. Aber sie verstehen es, weil sie mich selbst zu dieser Leidenschaft gebracht haben. Das aufzugeben wäre, als müsste ich meine größte Liebe verlassen. Das würden sie nie verlangen.

Böhm: Meine Eltern sind froh, dass die Berge meine viele Energie in positive Bahnen gelenkt haben, sagen wir es so.

SZ: Müsst Ihr als Speedbergsteiger fitter sein als klassische Höhenbergsteiger?

Böhm: Wesentlich fitter. Du musst auch eine andere Einstellung haben. Anders trainieren. Gestern Abend bin ich noch dreimal auf den Wallberg geradelt.

SZ: Wie sieht Eure Ausrüstung aus?

Haag: Wie bei einer Tagestour in den Alpen, mit einem Medikamenten-Set: Cortison gegen Gehirnödeme und gegen Lungenödem haben wir Viagra dabei...

Böhm: ... das nimmt der Basti aber meistens für was anderes...

Haag: Nein! Das ist einfach die neue Standardmedikation für Lungenödeme.

SZ: Manche Menschen sehen in Grenzgängern wie Euch nur Verrückte.

Böhm: Naja, das muss man relativ sehen: Eine gewisse Risikobereitschaft brauchst Du. Wir sind aber keine absolut Kranken, die sich laufend in Lebensgefahr bringen. Der Alpenverein würde uns nie unterstützen, wenn wir verrückte Freaks wären. Wir machen diesen Sport und leben wahnsinnig intensiv. Ich könnte ohne dieses Ausgefülltsein nicht mehr leben, das ist ein ganz großer Teil von meinem Glück.

Haag: Ich kann Kritik schon verstehen, es sind sicher Leute darunter, die einen lieben Menschen in den Bergen verloren haben. Wobei ich da ja selbst dazugehöre. Ich denke, jeder muss einfach das machen, was ihm taugt.

SZ: Klassische Bergsteiger kritisieren, dass Ihr für Eure Speedbegehung ja auch deren Infrastruktur benutzt.

Haag: Das hängt von den Bedingungen ab. Klar benützen wir Fixseile, wenn welche angebracht sind. Logistisch und mental ist es eine Erleichterung, wenn schon eine vorgeebnete Autobahn da ist. Aber wir sind auch deswegen zum Manaslu, weil dort weniger los ist.

Böhm: Speedbegehungen gibt es ja nur wegen dieser relativen Zugänglichkeit. Zu Messners Zeiten ging es noch darum, überhaupt auf den Berg zu kommen. Speedbergsteigen ist der momentane Stand der Evolution des Bergsteigens.

SZ: Wird es irgendwann nur noch Speedbergsteiger geben?

Böhm: Nein. Das ist die Formel 1, die absolute Hochleistungssparte des Bergsteigens. Es wird nie viele Menschen geben, die das machen.

Haag: Die Kombination aus Speedbergsteigen und Skiabfahrt, die muss man auch echt mögen. Nicht nur können.

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