Wird der deutsche Arbeitnehmer nach der Bundestagswahl dazu gezwungen, mindestens einmal pro Woche Brokkoliauflauf und Karottensalat zu essen? So zumindest wollten es einige verstehen, als die Bundestagsfraktion der Grünen am Montag ankündigte, in deutschen Betriebskantinen künftig einen fleischlosen Tag einführen zu wollen.
"Man muss nicht jeden Tag zwei Burger essen", sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt und versuchte damit den durchschnittlichen Fleischkonsum der Bundesbürger von jährlich 60 Kilogramm pro Person allgemein verständlich darzustellen. Kein Problem, 60 Prozent der Deutschen seien zu weniger Fleischkonsum bereit, verkündete Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Das erregte Widerspruch.
"Grüne wollen uns das Fleisch verbieten", schrieb die Bild-Zeitung, der Künast am Sonntag ein erstes Interview zum Thema "Veggie Day" gegeben hatte - und schob sogleich ein paar krachige Zitate von Rainer Brüderle nach: "Was kommt als nächstes? Jute-Day, Bike-Day, Green-Shirt-Day?", fragte der Spitzenkandidat der FDP. Auch Bundesernährungsministerin Ilse Aigner wandte sich postwendend gegen den Vorstoß der Grünen: "Wir halten generell wenig von Bevormundungen. Am Ende brauchen wir eine ausgewogene Ernährung. Da gehört Fleisch dazu", sagte ein Ministeriumssprecher.
Zehnmal mehr Vegetarier als vor 20 Jahren
Ungeachtet der programmierten Kritik tragen sich die Grünen schon länger mit den Fleischlos-Plänen. Bereits im Ende April beschlossenen Programm für die Bundestagswahl heißt es: Da der hohe Fleischkonsum Massentierhaltung erzwinge, sollten "öffentliche Kantinen Vorreiterfunktionen übernehmen". Ein Veggie Day solle "zum Standard werden."
Ein solcher Beschluss passt augenscheinlich gut in die Zeit. Wer heute über Essen spricht, redet auch über Nachhaltigkeit; und der Anteil der Vegetarier in Deutschland hat sich in den vergangenen 20 Jahren verzehnfacht; sieben Millionen Menschen sind es dem Vegetarierbund Deutschland (Vebu) zufolge heute, etwa 800.000 leben sogar vegan.
Der Vorschlag, dass öffentliche Kantinen dieser Entwicklung Rechnung tragen, wurde bereits von diversen Verbänden und Umweltschützern wie Ex-Beatle Paul McCartney ("fleischfreier Montag") unterstützt und auch vielerorts schon lange - und mit weniger Tamtam - umgesetzt.
So führte die belgische Stadt Gent bereits 2009 einen Veggie Day ein. Alle städtischen Kantinen beteiligen sich daran, viele Schulen und auch manche Firmenkantine. Infoveranstaltungen und Informationsmaterial begleiten die Aktion bis heute, die der Stadt den Ruf als "Hauptstadt der Vegetarier" eingebracht hat.
Die Kampagne habe die Mentalität der Menschen in Gent verändert, sagt Tobias Leenaert von der Vereinigung "Ethisch-Vegetarische Alternative", in einer Umfrage gäben 15 Prozent der Genter an, dass sie seit Beginn der Aktion weniger Fleisch essen als früher, ergänzt der Mitinitiator des Veggie-Tages. In Gent gebe es heute doppelt so viele Vegetarier wie in anderen belgischen Städten.
Städte in aller Welt haben das Modell inzwischen kopiert. Als erste deutsche Stadt hat Bremen vor drei Jahren den "fleischfreien Donnerstag" eingeführt. So sind im Ernährungsplan des städtischen Trägers Kita-Bremen, der dort fast 50 Prozent der Kinder betreut, sogar zwei vegetarische sowie ein Fischtag vorgesehen, sagt ein Sprecher der Bremer Sozialbehörde. Die Stadt ließ den Essensplan vom Bremer Institut für Prävention und Sozialforschung ausarbeiten, Widerspruch aus den Familien habe es so gut wie keinen gegeben, so der Sprecher. "Den Eltern war nur wichtig, dass alles frisch zubereitet wird."
Auch viele Kantinen kochen an einzelnen Tagen längst ohne Fleisch. Beim Sportartikelhersteller Puma wurde der "Meat-free Monday" 2009 eingeführt. Vor allem will die Firma dadurch den Kohlendioxid-Ausstoß des Unternehmens bis 2015 um ein Viertel senken. Siemens praktiziert einmal im Monat den sogenannten Terra-Tag, an dem die 50 Kantinen des Konzerns vor allem vegetarische Gerichte auf den Speiseplan setzen. Durch den Verzicht auf rund 4000 Kilogramm Fleisch spare man mehr als 13 Tonnen CO2 ein, heißt es.
Doch die Grünen tun gut daran, auf Freiwilligkeit zu setzen: "Es wird ja niemandem etwas verboten", beeilte sich Renate Künast am Montag zu betonen. Schließlich gibt es viele Kritiker des neuen Vegetarismus-Booms. Erfolgreich, heißt es, sei der Veggie Day vor allem in Firmen, die jung und weiblich seien.
Ohnehin bezweifeln Ernährungswissenschaftler, dass ein fleischloser Tag pro Woche gesundheitliche Vorteile bietet. "Ernährungsphysiologisch ergibt das wenig Sinn", sagt Gerhard Rechkemmer, Präsident des Bundesinstituts für Ernährung. Allzu leicht könne der eine Tag durch übermäßigen Fleischkonsum an den anderen Tagen konterkariert werden.
Zwar räumt Rechkemmer ein, dass in Deutschland grundsätzlich zu viel Fleisch gegessen werde - nämlich doppelt so viel wie empfohlen. Problematisch sei dabei vor allem, dass die Deutschen so viel Wurst essen - und damit einen hohen Anteil an gesättigten Fetten und an Fett überhaupt. "Viel Fleisch bedeutet meist eine hohe Energiezufuhr", so Rechkemmer. Einen Aufruf zum völligen Fleischverzicht spricht er dagegen nicht aus. Das Eiweiß sei besonders wertvoll, auch enthalte Fleisch leicht verfügbares Eisen und Vitamine. "Fleisch hat durchaus ernährungsphysiologische Qualitäten", betont er.
Die Qualitäten von Fleisch möchte man auch in vielen Uni-Kantinen nicht missen. An der Freien Universität Berlin, die die erste vegetarische Mensa der Republik hat, gründete sich bereits eine Gruppe gegen die "Bevormundung durch die Pflanzenfresser". Und an der TU Dresden demonstrierten männliche Studenten am Veggie Day mit dem Slogan: "Wir wollen Fleisch!"