Gründerin Bea Beste:Mit Pleiten und Neuanfängen kennt sie sich aus

Bea Beste

Béa Beste, 50, arbeitet heute als Beraterin und betreibt mit Tollabea einen der reichweitenstärksten Familienblogs in Deutschland.

(Foto: Malina Ebert)

Bea Beste ist eine der ganz wenigen Start-up-Gründerinnen. Sie erfand ein Bastelabo für Kinder, gründete eine Privatschulkette und betreibt einen der erfolgreichsten Familienblogs in Deutschland.

Von Barbara Vorsamer

Das Päckchen, das Béa Beste in die Pleite trieb, kam einmal im Monat. Darin: Pfeifenputzer, Wackelaugen, Kabelbinder, Aufkleber, Pappe und alles, was man sonst noch so braucht, um zum Beispiel eine Regenrassel zu basteln. Dazu eine Anleitung, die erklärte, was eine Regenrassel überhaupt ist und wie man damit spielt. Tollabox hieß das Päckchen, ein Bastelabo für Kinder. Für Béa Beste aber war es weit mehr als das: Es war ihr Herzensprojekt, ihr "Baby", ihr Neuanfang.

Für 20 Euro im Monat, so das Versprechen der Box, sollte die Entwicklung junger Kinder "in einer entscheidenden Phase der Gehirnentwicklung" allein durchs Spielen gefördert werden, ganz ohne Lern- und Einkaufsstress. Doch Kinder haben nicht immer Lust zu basteln - und Eltern nicht immer Zeit, ihnen zu helfen. Oft war die letzte Box noch unberührt, wenn DHL schon die nächste lieferte. Vier Jahre nach der Gründung musste Beste Insolvenz anmelden, 2015 war das. Heute sagt die 50-Jährige über diese Zeit: "Tollabox zu begraben, hat sich für mich angefühlt, wie ein Kind zu verlieren."

Ihre Vorträge tragen Titel wie "Aus Fehlern lernen" oder "Regretting Motherhood"

Béa Beste, die eigentlich Isabella heißt, sich selbst aber als Kind immer Béa nannte, steht in der Küche ihrer Berliner Dachgeschosswohnung und rührt ein pragmatisches Mittagessen zusammen: Blumenkohl, Ziegenkäsereste und Mikrowellenkartoffeln. Nebenher hält sie ihre Kochkünste für Instagram fest. Später am Tag wird sie mal wieder auf einer Gründerkonferenz sprechen. Ihre Vorträge tragen Titel wie "Aus Fehlern lernen" oder "Regretting Motherhood". Sie geht darin der Frage nach, ob es gut war, eine Business-Idee so zu lieben wie ein Kind, erzählt, welche Lehren sie aus ihren Niederlagen gezogen hat und wie sie es schafft, nach einem K.O.-Schlag immer wieder aufzustehen.

Mit Pleiten und vor allem mit Neuanfängen kennt sich die Frau mit dem braunen Kurzhaarschnitt und dem knallroten Lippenstift aus. Die Tollabox war nicht ihr erstes Unternehmen, das sie gründete und auch nicht ihr letztes. Beste gehört damit zur seltenen Spezies der Start-up-Gründerinnen. Laut Females Founder Monitor 2019 wurden auch im vergangenen Jahr nur 15 Prozent der Start-ups in Deutschland von Frauen gegründet. Bei 29 Prozent war immerhin wenigstens eine Gründerin im Team.

Béa Beste wächst in Bukarest auf. Ihr Vater stirbt, als sie zwölf ist. Wenig später beschleicht sie das diffuse Gefühl, dass es auch ihrer Mutter nicht gut geht. Sie durchwühlt die Schubladen und findet Röntgenbilder, Arztbriefe, versteht nichts. Sie geht damit zu einem Nachbarn, einem Arzt, und verlangte Aufklärung. "Er hat mich nur beschwichtigt", erzählt Beste. Diese Ungewissheit sei schlimmer gewesen, als alles, was danach kam. Und danach kam noch einiges.

Wie sich herausstellt, hat ihre Mutter Krebs, unheilbar. Die Chemotherapie schlägt ihr aufs Gemüt, sie wird schizophren. In einer dieser Phasen macht sie ihrer Tochter den Vorschlag, gemeinsam in den Tod zu gehen. Doch die will leben - zur Not auch alleine. Mit 15 Jahren flieht Beste aus dem kommunistischen Rumänien nach Deutschland, lässt ihre kranke Mutter alleine zurück. Ihre Flucht ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn stirbt die Mutter, bevor sie das Land verlassen hat, kann ihr die kommunistischen Zentralpartei einen Vormund stellen. Es habe damals außerdem das Gerücht gegeben, dass Waisen mit guten Schulleistungen in Anstalten landeten, um zu Spezialisten des rumänischen Geheimdienstes Securitate ausgebildet zu werden, erzählt Beste. Verwandte und auch ihre Mutter unterstützen die Flucht. Mit einem Koffer und ihrer Geburtsurkunde im Schuh besteigt sie an einem Augusttag 1984 eine Lufthansamaschine nach Berlin. Nur eine Woche später stirbt ihre Mutter.

Sie sei "Edupreneurin", sagt Beste - eine Wortschöpfung aus "education" und "entrepreneur"

Bei Verwandten in Karlsruhe muss Beste ganz von vorne anfangen. Sie merkt schnell: der Westen ist nicht das, was sie sich vorgestellt hat, kein duftendes Schlaraffenland. Aber ihr gefällt, dass sie auf offener Straße "Ceaucescu ist ein Schwein" schreien kann und nichts passiert (außer, dass die Leute komisch gucken und ihr das Herz bis zum Halse klopft). Sie lernt schnell Deutsch, macht Abitur und heiratet jung, weil sie in Westberlin studieren will und sich mit ihrem rumänischen Pass nicht in die von der DDR umzingelte Stadt traut. Mit 21 wird sie schwanger. Ungeplant. Die Ehe hält nicht lange.

Während ihre Kommilitonen abends um die Häuser ziehen, sitzt Beste daheim, alleine mit Kind. Doch sich einfach mit Situationen abzufinden, ist nicht ihr Ding. Nicht nach allem, was sie schon erlebt hat. Über ihre Jugend sagt Beste heute, sie habe sie stark gemacht fürs Leben. "Bei Sorgen erinnere ich mich immer an die ersten Monate in Deutschland und sage mir: Wenn ich das geschafft habe, schaffe ich alles."

Ihr kommt die Idee, einen "Jugendforschungsmonitor", also junge Trends, an eine Werbeagentur zu verkaufen. Ab jetzt wird sie fürs Ausgehen bezahlt. Nach dem Studium arbeitet sie bei Sat 1, dann sechs Jahre als Beraterin bei Boston Consulting. 2005 kommt ihr die nächste Idee: Mit 36 gründet sie zusammen mit einem Unternehmer die Privatschulkette Phorms. Der rote Faden, der sich durch all ihre Projekte zieht, ist das Lernen. Beste selbst bezeichnet sich als "Edupreneurin", eine Wortschöpfung aus "education" und "entrepreneur". Auf diesem Gebiet sprudelt sie über vor Ideen und Plänen, hat nie "nur Plan B, sondern immer Plan A bis Z." Überhaupt sprudelt viel aus ihr heraus, sie erzählt oft verschiedene Geschichten parallel, immer wieder muss man sie daran erinnern, was gerade noch mal die Frage war. Eine Mitarbeiterin sagt über sie: "Die nimmt keine Drogen. Die ist so."

Mit dem Schicksal zu hadern ist nicht ihr Ding. Im Nachhinein schon gar nicht

Warum also leitet sie die Privatschulkette heute nicht mehr? Phorms sei schnell gewachsen, bei 2500 Schülern und 360 Mitarbeitern hätte es Prozessoptimierer und Diplomaten an der Spitze gebraucht, sagt Beste heute selbstkritisch. "Ich bin beides nicht. Ich hätte früher einen gestandenen Manager an meiner Seite gebraucht, um große Teile des operativen Geschäfts abzugeben." Sie selbst hätte sich stattdessen auf das Kreative und Innovative fokussieren sollen, denn, so Beste selbstbewusst: "Ich bin eine Gründerin. Ich kann aus nichts etwas machen." 2011 verlässt sie das Unternehmen.

Traurigkeit und Selbstmitleid sind in ihren Erzählungen selten zu spüren, auch dann nicht, als sie von der Flucht aus Rumänien erzählt oder von der Tollabox-Pleite, dem "verlorenen Kind". Ein paar "regrets" hier, ein "da hätte ich kaltschnäuziger sein müssen" da. Aber sie hadert nicht mit dem Schicksal. Nur wenige Tage nach der Insolvenz von Tollabox tritt sie einen Beraterjob in Nairobi an. Immer weiter, nach vorne, "adelante" heißt das auf Spanisch. Beste hat einen Zweitwohnsitz auf Teneriffa.

Als Beraterin arbeitet sie auch heute noch. Nebenher betreibt sie die Website "Tollabea". Die ging ursprünglich mal online, um den Launch der Tollabox zu begleiten. Heute ist die Seite mit einer Viertelmillion Besuchen im Monat und 125 000 Facebook-Fans einer der reichweitenstärksten Familienblogs in Deutschland. Und natürlich hat sie auch schon wieder ein neues Projekt im Kopf. "CanAreas" soll ein Austauschprogramm für spanische Pädagogen werden. Denn in Deutschland werden Erzieher händeringend gesucht, auf den kanarischen Inseln finden sie trotz Ausbildung keinen Job. Doch im Moment liegen die Pläne noch in der Schublade eines Ministeriums, die Finanzierung steht noch nicht.

Béa Beste versucht, Geduld zu haben (fällt ihr schwer) und optimistisch zu sein (fällt ihr leicht). Sie sitzt unter ihrer mit Sinnsprüchen behängten Lampe und sagt: "Solange ich zwei Hände und ein Hirn habe, wird es mir gut gehen."

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