Dem Geheimnis auf der Spur:Mit dem Latein am Ende

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Die zehn Buchstaben am Schäferdenkmal im Park des englischen Landsitzes sind bis heute nicht entschlüsselt. Wofür stehen die geheimnisvollen Lettern?

Von Florian Welle

Englische Gärten mit ihren geschwungenen Grünflächen, locker hingetupften Baumgruppen und malerischen Brücken, Grotten, Tempeln und Ruinen prägen bis heute unseren Blick auf die Natur. Ihre Wege laden zum Flanieren ein, ihre stimmungsvollen Szenarien sind Augenweide und dienen der Erholung. Außer man wandelt vielleicht gerade durch den Park von Shugborough Hall in der Grafschaft Staffordshire.

Der Landsitz, der seit 1624 im Besitz der Familie Anson war und heute vom National Trust verwaltet wird, birgt nämlich in seiner mit mehreren Monumenten bestückten Gartenanlage ein kryptologisches Rätsel, das zahllosen Personen Kopfzerbrechen bereitet hat. Obwohl das Kryptogramm aus gerade mal zehn Buchstaben besteht, ist es eines der vertracktesten der Welt. Oder ist es am Ende gerade deshalb noch immer ungelöst, weil es so kurz ist? Die zweizeilige Buchstabenfolge lautet: O U O S V A V V. Die untere Zeile besteht nur aus einem D und einem M. Die beiden Konsonanten sind weit auseinander angeordnet, ganz so, als würden sie den acht oberen Buchstaben eine Klammer geben wollen. Zudem ist zwischen jedem der Buchstaben ein deutlich sichtbarer Punkt eingraviert. Nur das letzte V in der ersten Zeile besitzt keinen.

Wer die Inschrift leibhaftig sehen möchte, der muss im Park das sogenannte Shepherd's Monument aufsuchen, das zwischen 1748 und 1756 errichtet wurde. Das von viel Grün eingehegte Denkmal beeindruckt durch einen von zwei dorischen Säulen flankierten Portikus. Entscheidender jedoch ist das Innere.

Es beherbergt ein von einem grobschlächtigen, verwittert anmutenden Bogen umschlossenes zweiteiliges Relief des flämischen Bildhauers Peter Scheemakers. Über der kleineren Tafel mit besagtem Kryptogramm, fällt eine zweite, hochaufragende Bildtafel auf. Ihr Motiv entspringt nicht einem Einfall Scheemakers, sondern beruht auf einem in der Kunstgeschichte viel diskutierten Gemälde: "Die arkadischen Hirten" von Nicolas Poussin. Es zeigt eine Frau und drei Männer, die um ein monumentales Grab stehen beziehungsweise knien und sich in die darauf eingravierte Inschrift "Et in Arcadia Ego" vertiefen. Poussin schuf zwei unterschiedliche Versionen dieses Bildthemas.

Scheemakers lehnte sich für sein Relief an die zweite, um 1637 gemalte Fassung an. Deren Atmosphäre ist pastoraler, meditativ-beruhigter als die erste und verzichtet auf den zuvor auf das Grab gelegten Totenschädel als wohl allzu eindeutigem Symbol irdischer Vergänglichkeit. Scheemakers nahm sich Freiheiten. So thront bei ihm ein nicht gerade kleiner Sarg auf dem Grabmonument. Vor allem aber gibt sein plastisches Werk Poussins Motiv spiegelverkehrt wieder.

Sieht man auf die vielen Vorschläge zur Lösung des Rätsels, fällt auf, dass die meisten sie isoliert vom Bildgeschehen betrachten. Während die einen darauf beharren, dass es sich um ein Anagramm handelt, favorisieren andere die These einer Verschlüsselung durch Buchstabenersetzung. Wieder andere huldigen dem Initialismus, gehen also davon aus, dass jeder Buchstabe für einen bestimmten Wortanfang steht. Bleibt die Frage, ob es sich um Lateinisch oder Englisch handelt.

So schlug vor Jahrzehnten der Autor Oliver Stonor als Lösung den Satz "Optimae Uxoris Optimae Sororis Viduus Amantissimus Vovit Virtutibus" vor. Wäre die Grammatik nicht falsch, könnte man seiner Anregung möglicherweise folgen. Schließlich starb 1760 Elizabeth Anson, Gemahlin von Admiral George Anson, der ihr hier mit "beste aller Ehefrauen" huldigt. Voraussetzung wäre aber, dass man die Buchstaben nachträglich in das noch zu Lebzeiten von Elizabeth fertiggestellte Monument eingefügt hätte. Zu einem ganz anderen Ergebnis kam in jüngerer Zeit der Linguist Keith Massey. In Anlehnung an Johannes 14,6 regte er den Satz "Oro Ut Omnes Sequantur Viam Ad Veram Vitam" an, ungefähr "Ich bete, dass alle dem Weg zum Wahren Leben folgen mögen".

Wie die meisten, die es mit Latein versuchen, stehen auch bei Massey das D und das M für das bei römischen Gräbern typische "Dis Manibus", den Totengeistern. Eine Nachfahrin der einstigen Besitzer, die 1988 gestorbene Margaret Countess of Lichfield, wollte sich an Zeilen aus einem Gedicht über eine römische Hirtin namens Alicia erinnern, das ihr ein Pfarrer als Kind beigebracht hatte und in dem es angeblich hieß: "Out Your Own Sweet Vale, Alicia, Vanishes Vanity." Problem: Es wurde nie ein Beleg für das Gedicht, in dem die Eitelkeit aus Alicias Tal verschwindet, gefunden. Andere interpretieren die Buchstaben als lateinische Zahlen, die auf ein besonderes Datum der Weltgeschichte deuten sollen. Oder sehen in ihnen die Koordinaten für einen Schatz, den der Admiral einst auf einer Insel zurücklassen musste.

Hängen Buchstaben und Relief doch enger zusammen, als viele vermuten? Doch auch diejenigen, die das Relief in die Überlegungen miteinbezogen haben, kamen kein echtes Stückchen weiter. So ließen sie sich von der Spiegelverkehrtheit inspirieren und lasen die Buchstaben also rückwärts. Und endeten damit genauso im Wald wie vor wenigen Jahren der Autor Dave Ramsden, der am Ende eines ziemlich willkürlich wirkenden Entschlüsselungsprozesses den Namen " Magdalen" entziffert haben wollte. Eine Anspielung auf Maria Magdalena? Da ist es nicht mehr weit zu denen, die vor dem Hintergrund des pseudowissenschaftlichen Buches "Das Heilige Blut und der Heilige Gral" von 1982, in dem kurz Shugborough Hall und das Monument erwähnt werden, gleich die Templer, den Gralsmythos oder die Freimaurer ins Spiel bringen.

© SZ vom 07.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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