Grippe-Wirkstoff gelangt in Umwelt:Tamiflu im Abfluss

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Tamiflu gilt als Waffe gegen eine mögliche Vogelgrippe-Epidemie beim Menschen. Doch es könnte bereits Vögel mit resistenten Viren geben.

Christina Berndt

Wenn die Vogelgrippe den Menschen angreift, gibt es nur zwei Waffen. Und die eine nutzt sich schon ab, obwohl sie noch gar nicht richtig eingesetzt wurde. Wirklich dringend benötigt werden Grippe-Medikamente, sobald die nächste große Grippewelle um die Welt geht - zum Beispiel ausgehend von dem derzeit in Asien grassierenden Vogelgrippevirus H5N1.

In so einem Ernstfall aber könnte das Grippemittel Tamiflu vom Hersteller Roche schon wirkungslos sein. Dass immer häufiger Grippeviren entstehen, gegen die das Mittel nichts mehr ausrichten kann, hatten Meldungen aus aller Welt bereits befürchten lassen.

Doch nun kommen schwedische Wissenschaftler noch mit einer neuen Warnung. Demnach ist die aktive Komponente von Tamiflu ausgesprochen widerstandsfähig. Sie wird von Menschen, die das Mittel eingenommen haben, unverändert ausgeschieden und übersteht dann sogar die Abwasserreinigung in Kläranlagen, berichten Chemiker und Virologen von den Universitäten in Uppsala, Umea und Kalmar (Public Library of Science One, Bd.10, S.e986, 2007).

Enten als Brutstätte

Auf diese Weise, warnen die Forscher, kann Tamiflu in seiner aktiven Form in Gewässer gelangen. Eben dort aber trifft es auf Wasservögel, welche als die ursprünglichen Wirte der Vogelgrippe gelten. "In infizierten Enten könnten so resistente Viren entstehen, die mit den Fäkalien in die Umwelt gelangen", sagt der Studienleiter Björn Olsen.

Seit Jahren sorgen sich Grippeexperten, dass sich das unter Vögeln hochansteckende und meist tödliche Grippevirus vom Typ H5N1 zu einem Erreger wandelt, der unter Menschen einen Seuchenzug antritt. Das hat viele Regierungen dazu gebracht, für die Bevölkerung die beiden einzigen verfügbaren Grippemittel millionenfach einzulagern, Tamiflu und Relenza vom Konkurrenten GlaxoSmithKline.

Tamiflu, das im Gegensatz zu Relenza nicht inhaliert werden muss, sondern einfach als Tablette geschluckt werden kann, hat dadurch solche Berühmtheit erlangt, dass auch Privatpersonen es in ihren Kühlschränken horten.

In Japan ist die Angst vor der Vogelgrippe und die Begeisterung für Tamiflu inzwischen so groß, dass viele Menschen das Medikament schon einnehmen, wenn sie nur einen Schnupfen haben. Denn das Mittel hat einen entscheidenden Nachteil: Es wirkt nur, wenn es sehr schnell nach der Ansteckung eingenommen wird - am besten noch vor dem Auftreten der ersten Grippe-Symptome.

Der allzu schnelle Gebrauch aber rächt sich bereits. Immer wieder müssen japanische Ärzte feststellen, dass ihre Patienten an einer Grippe leiden, die sich nicht mehr mit Tamiflu behandeln lässt.

Schon im Jahr 2004 berichteten Wissenschaftler von der Universität Tokio, dass während einer Behandlung ausgesprochen schnell Resistenzen entstehen. Bereits vom vierten Behandlungstag an fanden die Forscher mutierte Viren, denen Tamiflu nichts mehr ausmachte.

"Die meisten Tamiflu-resistenten Virenstämme sind bisher jedoch bei Patienten entdeckt worden, die selbst gar nicht mit dem Medikament behandelt worden waren", gibt Björn Olsen zu bedenken. Sie haben sich mit den Viren womöglich bei behandelten Grippe-Patienten angesteckt, wie zuletzt von sieben Personen aus Japan berichtet (Journal of the American Medical Association, Bd.297, S.1435, 2007). Die Viren könnten aber auch in der Umwelt entstanden sein - entweder spontan, wie schon in Australien geschehen, oder eben durch Tamiflu aus dem Abfluss.

Wie groß der Beitrag des Abwassers ist, kann derzeit niemand sicher sagen. "Die Publikation aus Schweden wurde bisher nur in die Public Library One gestellt, sie wurde von keinem Wissenschaftler begutachtet", betont der Influenza-Experte Stephan Becker vom Robert-Koch-Institut. Gleichwohl sei die Entdeckung eine weitere Mahnung, Tamiflu nur im Notfall zu nehmen - und zu verschreiben. In Japan, sagt Jerker Fick aus der schwedischen Arbeitsgruppe, geben Ärzte das Mittel bereits jedem dritten Grippe-Kranken.

© SZ vom 10.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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