Von Penthesilea hieß es, sie "Sei in den scyth'schen Wäldern aufgestanden,/ Und führ' ein Heer, bedeckt mit Schlangenhäuten./ Von Amazonen, heißer Kampflust voll,/ Durch der Gebirge Windungen heran,/ Den Priamus in Troja zu entsetzen." So erzählt Odysseus das erste Zusammentreffen zwischen der Amazonenkönigin Penthesilea und dem Achilleus vor den Toren Trojas in Heinrich von Kleists Drama "Penthesilea" von 1808.
Die Idee, dass es im Osten, in fernen Skythenlanden am Fuß des Kaukasus ein Volk gebe, das aus weiblichen Kriegern bestehe, die sich nur zur Zeugung von Kindern mit Männern träfen, die dann geborenen Mädchen behielten, die Knaben aber weggäben oder sogar töteten, hat die Antike sehr fasziniert. Für die Griechen waren es natürlich wilde Barbarinnen. Die stellten die göttlich-gesittete, also griechische Mann-Frau-Ordnung auf den Kopf und boten so eine für jede Projektion geeignete Gegenwelt irgendwo im Osten jenseits der Zivilisation.
Zu den vielen Geschichten gehört die von den an Armen und Beinen invalid gemachten Männern, die so nur zu Dienstleistungen für die herrschenden Frauen, aber nicht mehr zum Kampf taugen. Auch jene grausame Mär gibt es, dass die Amazonen ihren kleinen Mädchen die rechte Brust verstümmelten, damit sie beim Bogenschießen nicht behindert würden. Alle bildlichen Darstellungen allerdings zeigen sie mit unverletzten Brüsten und keineswegs als männerzerstörende Wilde. Vielmehr sieht man da edle Kriegerinnen, die sich rüsten, hoch zu Ross sitzen und so gut zu kämpfen verstehen, dass nur die Superhelden wie Herakles, Theseus oder eben Achill mit ihnen fertigwerden.
Achill verliebt sich übrigens nach griechischer Überlieferung in dem Moment in Penthesilea, als er sie tödlich verwundet hat. Bei Kleist ist es umgekehrt, die Amazonenkönigin tötet Achill und folgt dann wehklagend dem Geliebten nach. Ob Homer oder Herodot, Diodor oder Strabon, um nur die bekanntesten Schriftsteller zu nennen, alle erwähnen die Amazonen, die "Männergleichen", wie es kurz und knapp bei Homer heißt. So sagenhaft und legendär sie ihnen erschienen, dennoch glaubte man damals tatsächlich zu wissen, woher sie ungefähr kamen.
Doch handfeste Belege für die Existenz eines so beschriebenen weiblichen Kriegervolkes gibt es letztlich nicht. Selbst Bedeutung und Herkunft des Namens ist nicht völlig geklärt. Auch beim Fluss, der heute Amazonas heißt, ist nicht gesichert, ob der Name die Umdeutung eines indigenen Wortes durch die europäischen Eindringlinge ist oder deshalb so heißt, weil die Europäer glaubten, indigene, also wilde "Amazonen" gesehen zu haben.
Ungeachtet all dieser Zweifel machten die Amazonen eine große Rezeptionskarriere quer durch die Geschichte. Griechische und römische Bildhauer schufen herrliche Statuen der stolzen Penthesilea oder Reliefs, die sie im Kampf mit Achill zeigen. Auch Antiope, eine andere berühmte Amazone, die in der Theseus-Sage auftaucht, wurde in Marmor gehauen. Auf griechischen Vasen und in römischen Mosaiken kehren die Amazonenschlachten und ihre namhaften Heldinnen immer wieder. Die Maler späterer Zeiten und ihre Auftraggeber liebten das stets auch erotisch flimmernde Thema. Fürstinnen und Königinnen ließen sich gern als gerüstete Kriegerinnen darstellen, als schöne Frauen, die dennoch männergleich zu Schwert und Lanze greifen können. Bei Franz von Stuck sitzt sie dann als nackte Schönheit auf dem Pferd, nur mit dem Helm bekleidet, und holt zum Speerwurf aus.
Springreiterinnen werden heute ganz offiziell Amazonen genannt. In der Populärkultur dürfen sie als hochattraktive Kämpferinnen schon gar nicht fehlen: Wonder Woman, Xena, die TV-Kriegerin, die nicht nur Herakles liebt, sondern auch lesbische Züge nicht verleugnet; natürlich Lara Croft, die offensiv ihren Sex-Appeal ausspielt, und all die wehrhaften, nur beim Titelhelden schwach werdenden Bond-Girls. Die Reihe lässt sich mühelos fortsetzen.
Jenseits dieser gewaltigen Flut aus mythischen Bildern, barocken Verklärungen und modernen scheinemanzipatorischen oder gar anzüglichen Kraftfrauvorstellungen haben Archäologen seit Ende des 19. Jahrhunderts bis heute bedeutende Funde gemacht, die eine ziemlich gute Ahnung davon geben, was einst die Griechen zu ihren Amazonenmythen angeregt haben könnte.
Für das Nomadenleben in den Steppen mussten Frauen jagd- und kampffähig sein
Herodot lässt die Amazonen mit jungen Skythen zusammentreffen in den Steppen nördlich des Schwarzen Meers. Man gewöhnt sich aneinander, und so gehen die einst so freien und unabhängigen Amazonen mit ihren skythischen Männern auf im neuen Volk der Sauromaten. Das klingt halbwegs plausibel, bleibt gleichwohl mythisch.
1927 wurde in Georgien das bisher älteste Grab einer skythischen "Amazone" freigelegt. Sie war sitzend bestattet, ein Kurzschwert auf den angehockten Knien, neben ihr eine Lanzenspitze, ein Eisendolch, aber auch Schmuck, Tongefäße und der Unterkiefer eines Pferdes. Seitdem sind an die hundert weitere Frauengräber mit Waffenbeigaben entdeckt worden. Für das nomadische Leben in den Steppen nördlich des Kaukasus mussten auch Frauen jagd- und kampffähig sein. Dabei trugen sie auch Männerkleidung. Dennoch liebten sie Schmuck, hübsche Kopfbedeckungen und Stiefelchen.
Als griechische Siedler nach Kleinasien bis ans Schwarze Meer vorstießen, kamen sie vielfach mit Skythen in Berührung. Bei denen sahen sie sicher auch solcherart bewaffnete Reiterinnen. Vielleicht entstand aus Erzählungen von Rückkehrern also so die Sage von den wilden Amazonen.