Ungeliebtes Unwissen:Nerv nicht, google lieber!

Ungeliebtes Unwissen: Noch Fragen? Dann wenden Sie sich bitte an die Suchmaschine Ihres Vertrauens.

Noch Fragen? Dann wenden Sie sich bitte an die Suchmaschine Ihres Vertrauens.

(Foto: artweise. / photocase.de)

Noch Fragen? Wenden Sie sich besser an eine Suchmaschine Ihres Vertrauens. Sie könnten sonst Ihren Mitmenschen auf die Nerven fallen - oder für faul gehalten werden.

Von Felicitas Kock

Als zum ersten Mal etwas für mich gegoogelt wurde, fühlte ich mich klein und dumm. Ich unterhielt mich mit einem Freund via Skype und fragte, wie nochmal der Leadsänger der Bright Eyes hieß. Es war mir entfallen, wie das manchmal so ist, wenn das Gehirn lieber die Namen von van der Vaarts Verflossenen speichert.

Als Antwort bekam ich keine Antwort, sondern einen Link, der mich zu einer Google-Ergebnisliste führte. Lmgtfy.com hieß die Seite. Keine neue Lesben- und Transgendergruppe, sondern das Kürzel für "Let me google that for you". Der Zweck: Andere Menschen so dezent wie mit einem digitalen Zaunpfahl darauf hinweisen, dass sie ihre Frage mit ein paar Klicks auch selbst hätten beantworten können.

Da ich die Seite damals noch nicht kannte, freute ich mich über die Neuentdeckung. Aber da war noch etwas anderes. Ein winziger Stich ins Selbstbewusstsein, das Gefühl, dem anderen überflüssige Arbeit bereitet zu haben. Klar, ich hätte auch selbst nachsehen können. Drei Worte, eingetippt in ein weißes Feld unter bunten Buchstaben. Eine Übung, die jeden Tag milliardenfach praktiziert wird: Zum Jahrtausendwechsel lag die Zahl der jährlichen Google-Suchanfragen weltweit noch im einstelligen Milliardenbereich. Heute liegt sie bei mehr als 2000 Milliarden, alternative Suchmaschinen wie Bing, Yahoo oder das chinesische Baidu nicht eingerechnet.

Wir befragen also kräftig das Internet und daran gibt es grundsätzlich wenig auszusetzen. Natürlich könnte man jetzt über die Vor- und Nachteile unbegrenzt zur Verfügung stehenden Wissens philosophieren, doch das würde erstens den Rahmen dieses Textes sprengen und zweitens haben Sie das sicher schon mal irgendwo gelesen. Stattdessen soll es hier um eine Randerscheinung des grenzenlosen Netzwissens gehen: um das Phänomen der unerwünschten Frage.

Früher hieß es, es gebe keine dummen Fragen. Das war damals schon gelogen. Wer nicht wusste, wie der Leadsänger der angesagtesten Band der Stadt hieß, wurde auch in den Achtzigern mit Augenrollen bedacht. Sobald die Frage aber schwieriger zu beantworten war, gab es statt kollektiven Augenrollens kollektives Schulterzucken. Es war normal, Dinge nicht zu wissen. Und entweder man rief dann jemanden an, der sich auskannte. Oder man guckte in der Brockhaus-Gesamtausgabe nach. Was da nicht stand, nun ja, das wusste man eben nicht.

Heute ist das anders. Jeder kann sich so gut wie jede Wissensfrage innerhalb kürzester Zeit selbst beantworten. Was dazu führt, dass viele Fragen gar nicht erst laut gestellt werden. Und wenn doch, sorgt das für Irritation. Eine Freundin berichtete kürzlich, wie sie ihren Bürokollegen eine Frage stellte - worauf diese mit einem genervten "Schau doch bei Google" reagierten.

Ist diese Antwort nun unhöflich oder für die heutigen Verhältnisse normal? Sind wir so weit, dass Wissensfragen lästig sind? Dass sie mitunter gar als Affront wahrgenommen werden? Tatsächlich muss der ahnungslose Fragesteller heute damit rechnen, Unbehagen auszulösen.

Wer schnell genug sucht, gewinnt

Weiß der Befragte die Antwort, ist er womöglich genervt, weil er sich die Zeit nehmen muss, etwas zu erklären, was der andere mit etwas Eigeninitiative auch selbst hätte herausfinden können.

Weiß der Befragte die Antwort nicht, fühlt er sich schnell bloßgestellt. Denn wenn es etwas gibt, das Menschen im Zeitalter der unbegrenzten Wissensmöglichkeiten die Schamesröte ins Gesicht treibt, dann das öffentliche Bekenntnis: "Ich weiß es nicht". Umgehen kann er das, wenn die Frage - wie heute üblich - nicht von Angesicht zu Angesicht gestellt wird, sondern am Telefon, via Skype oder Whatsapp. "Ja, klar, Sekunde", heißt es dann, und nach einer wieselflinken Suche im Netz ist die richtige Antwort parat.

Eine weitere Beobachtung: Bei Fragen in die Runde wurde früher der Mensch bewundert, der etwas wusste oder herleiten konnte. Heute ist es oft derjenige, der am schnellsten das Smartphone zur Hand, die Tastensperre ausgeschaltet und die geeigneten Begriffe ins richtige Feld getippt hat. Wenn dann noch der Netzanbieter stimmt: Herzlichen Glückwunsch!

Die Frage als Revolution für zwischendurch

Man kann das nun alles fürchterlich schwarz sehen. Wo kommen wir hin, wenn sich niemand mehr traut, Fragen zu stellen? Starren wir nicht ohnehin genug auf unsere Smartphones? Werden wir irgendwann unsere Gehirne ausschalten und Antworten nur noch aus dem Netz schöpfen?

Ja, man kann sich regelrecht echauffieren über diese gesellschaftliche Veränderung. Nur ändern wird das wenig. Und deshalb müssen Zweifel erlaubt sein, ob sich das Griesgrämen lohnt. Vielleicht sollten Sie stattdessen einfach mal wieder eine Frage stellen. Einfach so, dass alle es hören können. Es kann befreiend sein, aus dem Zwang zur Allwissenheit auszubrechen. "Was macht noch mal dieser Jean-Claude Juncker?" Das ist die kleine Revolution für zwischendurch, der Widerstand im Snack-Format. Und hin und wieder könnten Sie sogar einen Mitstreiter treffen, der Freude daran hat, Ihnen zu antworten (und mit antworten ist nicht das verschicken von Lmgtfy-Links gemeint).

Wenn Sie nicht der revolutionäre Typ sind, versuchen Sie es doch mit positivem Denken: Wenn jeder seine kleinen Antworten selbst sucht - bleibt dann nicht viel mehr Platz für die wichtigen Fragen des Lebens? Die persönlichen, die philosophischen, diejenigen, die einer Bewertung bedürfen. Ob man die Bright Eyes nun gut findet oder nicht, zum Beispiel. Ob der Sänger ernstgenommen werden kann oder ein Depp ist. Wie hieß der nochmal? Sekunde: http://lmgtfy.com/?q=S%C3%A4nger+Bright+Eyes.

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