Süddeutsche Zeitung

Kolumne Vor Gericht:Das Justizpersonal? "Eher durchwachsen"

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Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, sagte man früher, um auszudrücken, wie machtlos der Mensch im Angesicht der Justiz ist. Heute aber gibt es das Internet - und dort werden Richter und Prozesse gnadenlos bewertet.

Von Verena Mayer

Die Machtlosigkeit, die der Mensch empfindet, wenn er mit der Justiz zu tun hat, ist Stoff unzähliger Romane und Filme. Gefühlt das halbe Werk von Franz Kafka handelt davon, wie man Richtern, Anwälten und Gerichtsdienern ausgeliefert ist oder eines Tages verhaftet wird, ohne zu wissen, warum. Besonders bedrückend ist es für den Mann aus der Geschichte "Vor dem Gesetz". Der steht vor der offenen Tür, hinter der sich das Gesetz befindet, und will einfach nur hinein. Doch der Türhüter lässt ihn warten. Tage, Monate, Jahre.

Genau so erleben viele Menschen die Justiz: als undurchschaubares System, gegen das man nicht ankommt. Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, lautet das alte Sprichwort. Immerhin gibt es inzwischen Möglichkeiten zurückzuschlagen. Man macht das, was man tun würde, wenn man sich von Fluglinien oder Hotelpersonal schlecht behandelt fühlt: Man beschwert sich im Internet.

Für die meisten deutschen Landgerichte kann man auf Google bis zu fünf Sterne vergeben und die Bewertung begründen. Was erstaunlich viele Leute tun, allein das Berliner Landgericht listet 51 Rezensionen. Darin geht es nicht nur um die Architektur ("sehr unübersichtlich"), die Ausstattung ("kein Wlan") oder das Justizpersonal ("eher durchwachsen"). Die User thematisieren auch, was sie vor Gericht erlebt haben. "Als Zeuge wird man wie ein Täter behandelt", heißt es da. Oder: "Jetzt kommt der Hammer: Die Klage wird abgewiesen!!"

Einer formuliert sarkastisch, dank des Gerichts hätte er jetzt für die nächste Zeit eine "kostenlose Übernachtungsmöglichkeit"

Manche nutzen den Platz für eine Art letztes Wort: "Ich war unschuldig, ihr Ottos." Andere machen einen Witz, so wie die Person, die vier Sterne für ein Landgericht mit der Begründung vergibt: "Nette Bedienung, gute Toiletten und hab' kostenlose Übernachtungsmöglichkeit für die nächste Zeit bekommen."

Meistens aber schreiben sich die Leute ihre Wut von der Seele. Ihre Kommentare legen die Schwächen des Systems offen, die veralteten Strukturen, die überlasteten Kammern. "Hier werden Termine abgesagt, und ein Jahr muss man wegen angeblichen Sterbefalls eines Richters warten", heißt es über ein Zivilgericht. Fast philosophisch wird über Recht und Gerechtigkeit nachgedacht: "Es wird das Menschliche übersehen und nicht berücksichtigt. Auch auf Beweise wird nicht eingegangen. Das Gericht entscheidet ungerecht, weil es sich mit der menschlichen Lage nicht beschäftigen will."

Das hätte Franz Kafka vermutlich nicht anders formuliert. Seine Geschichte "Vor dem Gesetz" endet damit, dass der Mann, der davor steht und wartet, am Ende so kaputt ist, dass er zusammenbricht und stirbt. Leider, ohne eine Bewertung abgegeben zu haben. Einer von fünf Sternen, nie mehr wieder.

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