Kolumne: Vor Gericht:Der Arsène Lupin von Berlin

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(Foto: sz)

Wissam R. klaute eine 100-Kilo-Goldmünze aus einem Museum und wahrscheinlich viele Juwelen aus einem anderen. Über einen Verbrechertypus, den man sonst nur in Filmen sieht.

Von Verena Mayer

Wer auf der Zuschauerbank eines Gerichtssaals sitzt, hat viel Zeit, um die Angeklagten zu beobachten. Um darüber nachzudenken, was wohl in ihnen vorgeht und was dazu geführt hat, dass sie jetzt hier sitzen. Manchmal empfindet man Entsetzen, manchmal Mitleid. Hin und wieder kann man aber auch nicht fassen, was man da gerade beobachtet hat.

Als ich Wissam R. das erste Mal sah, war er Anfang 20. Er trug Jogginghosen und Turnschuhe und lief mit federndem Gang zur Anklagebank, als wäre er auf dem Weg ins Fitnessstudio versehentlich in einem Schwurgerichtssaal gelandet. Weil er so jung war, musste er nicht in Haft sitzen.

Das alles stand in großem Widerspruch zur Tat, für die er später verurteilt wurde. Wissam R. war 2017 zusammen mit einem Cousin durch ein Fenster ins Berliner Bode-Museum geklettert, hatte mit einer Axt eine Vitrine eingeschlagen und eine 100 Kilo schwere Goldmünze gestohlen. Das alles in 16 Minuten - so lange war der Wachmann in einem anderen Teil des Museums unterwegs. Dementsprechend voll war die Zuschauerbank. Die halbe Weltpresse wollte wissen, wer hinter einem solchen Coup steckt.

Merkwürdiger Zufall: Zwei so ähnliche Kunstdiebstähle, dachte ich mir

Dann kam dieser Verhandlungstag Ende 2019. Kurz nachdem die Nachricht um die Welt gegangen war, dass Diebe durch ein Fenster ins Grüne Gewölbe in Dresden eingestiegen waren, mit einer Axt eine Vitrine zerschmettert und Juwelen im Wert von 113 Millionen Euro mitgenommen hatten. Wissam R. schlenderte wie immer zu seinem Platz und hörte sich an, was sein Verteidiger über ihn sagte. Dass er höflich und zuverlässig sei, aber auch etwas langsamer als andere. Ich weiß noch, was mir durch den Kopf ging, als ich zur Anklagebank guckte. Dass das ja ein großer Zufall sei, zwei so ähnliche Kunstdiebstähle. Während der eine vor Gericht verhandelt wird, passiert draußen schon der nächste.

Es war offenbar kein Zufall. Ein Jahr später wurde Wissam R. wegen des Juwelendiebstahls im Grünen Gewölbe verhaftet. Er steht deswegen gerade in Dresden vor Gericht. Und mir wurde plötzlich klar, was ich da über Monate beobachtet hatte. Einen jungen Mann, der Stunde um Stunde schräg links von mir auf der Anklagebank saß. Einmal hielt er mir die Tür zum Gerichtssaal auf. Und während er so dasaß plante er mutmaßlich schon den nächsten Coup. Als wäre er der Arsène Lupin aus Berlin.

Ich kann mit dem Begriff "Meisterdieb" nichts anfangen. Diesen Verbrechertypus gibt es nur in Romanen und Filmen. Ich finde es auch hochproblematisch, sich von Verbrechen faszinieren zu lassen, die vermeintlich genial sind und keine Opfer haben. Denn natürlich gibt es hier Opfer, den traumatisierten Wachmann zum Beispiel oder den Besitzer der Goldmünze, die zersägt und eingeschmolzen wurde. Dennoch war ich den Geschichten über Meisterdiebe wahrscheinlich nie näher als in diesem Gerichtssaal.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))

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