Gleichstellung für Schwule und Lesben:"Revolution per Gerichtsbeschluss"

'Kiss-In' gegen Homophobie

Per Gerichtsurteil gegen Homophobie: Mit dem Ehegattensplitting für eingetragene Lebenspartnerschaften ist die Gleichstellung einen Schritt weiter.

(Foto: dpa)

Mit dem Urteil zum Ehegattensplitting kommt die Gleichstellung Homosexueller einen Schritt weiter. Doch hält die Gesellschaft dabei mit? Im Interview spricht der Sexualforscher Jakob Pastötter über die gesellschaftliche Akzeptanz und das Image von Schwulen und Lesben und erklärt, warum in Deutschland Gesetze so oft die Revolution ersetzen müssen.

Von Violetta Simon

Jakob Pastötter, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, ist Experte für Sexualwissenschaft. Im Gespräch mit Süddeutsche.de erklärt der Kulturanthropologe und Psychologe, wie sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die gesellschaftliche Akzeptanz auswirkt.

SZ.de: Mit dem Ehegattensplitting für eingetragene Lebenspartnerschaften ist die Gleichstellung homosexueller Paare einen Schritt weiter. Nur hat es wieder einmal das Bundesverfassungsgericht richten müssen. Wie finden Sie das?

Jakob Pastötter: Nicht immer ist es von Nachteil, wenn Dinge von oben verordnet werden - wenngleich das vom demokratischen Verständnis her durchaus problematisch ist. Mir wäre es lieber, die Veränderung käme "von unten", aus der Gesellschaft heraus. Aber das hat in Deutschland Tradition - wir gehen nicht auf die Straße. Wir bekommen die Revolution per Gerichtsbeschluss zugeteilt. Denken Sie nur an die Liberalisierung des Pornografiegesetzes.

Dann lässt sich unsere Gesellschaft Toleranz gesetzlich verordnen?

Buchstäblich, ja. Weil wir Deutschen autoritätsgläubig sind. Und vergessen Sie nicht: Wir haben selbst die deutsche Einheit kraft Bismarck verordnet bekommen. Das Deutsche Reich hätte anders ausgesehen, wenn die Revolution 1848 Erfolg gehabt hätte. Wir sind es gewohnt, dass wir von oben etwas "geschenkt" bekommen.

In Politik und Medien wird die Debatte zum Thema weitgehend politisch korrekt geführt. Dennoch besagen Studien, dass ein Drittel der Bevölkerung Vorbehalte gegen Homosexualität hat, und dass 50 Prozent aller homo- und transsexuellen Menschen sich diskriminiert fühlen. Wie sieht es denn nun in der Realität aus?

Da muss man nach Schichten und Altersgruppen unterscheiden. Für die Bundesrepublik lässt sich sagen, dass die Gesellschaft als Ganzes immer toleranter gegenüber Homosexuellen geworden ist. Generell gilt: Je gebildeter, je weltoffener, je lustbetonter, je jünger jemand ist, desto weniger hat er in der Regel Probleme mit Homosexualität. Er ist sich seiner eigenen Identität sicherer, weil er im Laufe der Zeit gelernt hat, dass ihn Andersdenkende nicht bedrohen. Das gilt natürlich auch für die Gesellschaft: Ideologische oder religiöse Normen werden heute auf den Prüfstand der eigenen Erfahrungen gestellt.

Dann gibt es also keinerlei Widerstände in Bezug auf das neu geregelte Ehegattensplitting?

Objektiv betrachtet liegt es ja im Interesse der Steuerzahler: Beim Single muss der Staat einspringen, bei einer Ehe hilft der Partner. Und denjenigen, die sich daran stören, ist das Thema nicht wichtig genug. Nehmen Sie die EU-Gesetzgebung: Man ärgert sich vielleicht über die Einführung des Euros und dass die Eliten einem etwas aufdrücken. Aber solange es sich auf den eigenen Geldbeutel nicht zu sehr auswirkt, ist nicht viel dahinter. Wir wehren uns nur gegen Dinge, die uns ernsthaft wehtun. Es sei denn, man ist aus ideologischen Gründen dagegen.

Gutes Stichwort. Homophobie ist - genau wie Fremdenhass - schließlich nicht finanziell motiviert ...

Richtig. Mit Ideologie ist in Deutschland jedoch sicher kein Blumentopf zu gewinnen. Das ist nicht nur politische Korrektheit, der Zahn der Intoleranz wurde uns 1945 gezogen. Damit kann man höchstens alte Hunde hinter dem Ofen hervorlocken.

Wie reagiert die Kirche?

Mit dem gesetzlichen Beschluss hat die Kirche nicht einmal mehr die konservativen Parteien hinter sich. Wird sie nun nachziehen?

In der Kirche fahren mittlerweile auch nur noch wenige eine radikale Linie. Religiöse Vorschriften werden stärker hinterfragt - das gilt (zum Ärger des Vatikans) sogar für die aktiven Katholiken. Ein Priester, der trotzdem öffentlich behaupten würde, Schwule seien des Teufels, den würde man auslachen und sagen: Und wie sieht es bei Euch aus?

Jakob Pastötter

Jakob Pastötter Jakob Pastötter, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung.

Mit anderen Worten: Gegner haben keine glaubwürdigen Plattformen mehr?

Genau. Selbst von der NPD weiß man inzwischen, dass sich dort viele homosexuelle Mitglieder tummeln. Da wird ein Männlichkeitskult vorgelebt, da wird Sicherheit vermittelt. Gerade Schwule, die sich nicht outen wollen, verhalten sich häufig homophob.

Wie kann die Gesellschaft die Akzeptanz von Homosexualität erhöhen?

Indem sie positive Beispiele präsentiert. Da sind vor allem die Medien gefragt. Sie können vermitteln, wie positiv gleichgeschlechtliche Eltern für die Erziehung der Kinder sind. Indem sie über diese Familien berichten und zeigen, dass sich Kinder darin wohl fühlen. Dass sie keine Anpassungsschwierigkeiten haben oder Probleme mit ihrer Sexualität bekommen. Weil da ein Paar die Verantwortung füreinander und für das Kind trägt.

Auf dem Schulhof gilt "schwul" noch immer als Schimpfwort. Sind Kinder wirklich so intolerant?

Für Teenager ist nicht Schwulsein das Problem - es ist das Normalsein. Einerseits will man seine Individualität entdecken, will aber nicht anecken und stigmatisiert werden. Jugendliche versuchen dem zu entsprechen, was die Mehrheit macht. Sie suchen krampfhaft nach einer Geschlechtsidentität, streben nach einer Art idealer und vollkommener Männlichkeit oder Weiblichkeit. Schwulsein steht dabei als Synonym für unmännlich. In ihrer Wahrnehmung bedroht es das Männlichkeitsideal. Wenn man einen Schwulen kennt, den man mag, sieht das freilich gleich ganz anders aus.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung ist auch vom Image Homosexueller geprägt - und macht sie sich auch zu Nutze: Ein VW-Werbespot etwa zeigt ein schwules Paar im Minivan.

Schwule haben ein extrem positives Image, sie gelten als weltoffen, freundlich, liberal, intellektuell, modisch, witzig, kultiviert und trendy.

Ansprechen wollte VW speziell diese Zielgruppe jedoch nicht konkret ...

Weil sie dafür von der Anzahl her zu gering sind. Viele Unternehmen wollen damit nicht erreichen, dass nur Schwule ihr Produkt nutzen. Sondern es als stylisches Element positionieren und sich ein weltoffenes Image verleihen.

So wie Victoria Beckham, die öffentlich von schwulen Männern schwärmt?

Schwule haben in der Tat ein Image als Frauenversteher. Mit denen, so die Vorstellung, kann man besser über Männer ablästern als mit der besten Freundin - weil sie mehr über sie wissen. Und sie sind sexuell unbedrohlich.

Ist dieses Bild denn wünschenswert?

Es lässt zumindest auf einen Normalisierungseffekt schließen, und in dieser Hinsicht kann man sich nichts Besseres wünschen. Der normale Schwule, der nicht mit Victoria Beckham befreundet ist und vielleicht noch in einem Dorf lebt, hat davon allerdings wenig. Der wird das eher sonderbar finden.

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