Gleichberechtigung:Warum es eine neue Debatte über Abtreibung braucht

Deutschland Berlin 16 09 2017 Gegendemonstranten stehen hinter einer Absperrung Unter dem Motto

Eine Gegendemonstration bei einer Demonstration von Abtreibungsgegnern in Berlin

(Foto: Markus Heine/Imago)

Über Schwangerschaftsabbrüche wurde lange nicht mehr gestritten. Es wäre mal wieder an der Zeit.

Von Susan Vahabzadeh

Das Thema Abtreibung scheint keines mehr zu sein, Debatten darüber werden in Deutschland kaum mehr geführt. Zudem ist die Zahl der Abbrüche deutlich gesunken: 1996 wurden noch 130 000 gezählt, im Jahr 2015 waren es nur noch 99 000.

Doch auch in Deutschland ist die Möglichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft frühzeitig zu beenden, nicht garantiert. Man vergisst das leicht, aber Schwangerschaftsabbrüche sind hier nicht legal, sondern bleiben lediglich straffrei, wenn sie bis zur zwölften Woche vorgenommen werden und der Schwangeren in einer Beratung bescheinigt wurde, dass sie ausreichende Gründe hat, um abzutreiben. Ein Spätabbruch - der ethisch, körperlich und psychisch deutlich problematischere Eingriff - wird unter bestimmten Umständen ebenfalls durchgeführt.

Dass es in Deutschland meistens irgendwie möglich ist, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden, verstellt den Blick darauf, dass eine Erlaubnis kein Recht ist. Eine Erlaubnis kann zurückgenommen werden. Eine Erlaubnis garantiert nichts.

Auf Umwegen, die nichts mit Gesetzen zu tun haben, aber doch viel mit Politik, sind Schwangerschaftsabbrüche in den vergangenen Jahren wieder komplizierter geworden. Vor allem in ländlichen Gegenden ist es oft nicht mehr möglich, einen Arzt zu finden, der den Eingriff durchführt. In Niedersachsen müssen Frauen teilweise mehr als 100 Kilometer weit fahren, um eine Klinik zu erreichen. Im selben Bundesland, in einem Klinikum in Dannenberg, kam es zu einem Eklat, als ein neu eingesetzter Chefarzt auf eigene Faust seinen Ärzten Abtreibungen untersagte. In Bayern werden nach aktuellem Stand Schwangerschaftsabbrüche von Privatkliniken nur in zwei von sieben Regierungsbezirken durchgeführt. Die Möglichkeit, eine Schwangerschaft zu beenden, wird nicht vom Staat garantiert, sondern ist abhängig vom jeweiligen Träger einer Klinik. Private und kirchliche Träger können und dürfen Frauen diese Möglichkeit versagen.

Die Realität zeigt: Es ist noch nie gelungen, egal, in welcher Gesellschaft, Schwangerschaftsabbrüche abzuschaffen. Verbote führen nirgends dazu, dass die Zahlen sinken, sie treiben nur das Sterberisiko von Frauen extrem in die Höhe.

Es kann keine Gleichberechtigung ohne ein Abtreibungsrecht geben. Und darüber sollte man diskutieren. In einer Gesellschaft, die gleichberechtig sein will, muss eindeutig geklärt sein, wer die Kontrolle über den Körper einer Frau hat - nämlich sie selbst.

Süddeutsche Zeitung Familie
SZ Familie

Dieser Text stammt aus dem Magazin SZ Familie.

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