Glaubensbekenntnis:Nina Ruge

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Die Fernsehmoderatorin und Buchautorin hat festgestellt, dass Krisen gut sind. Wer denkt, dass das Glück keine Krisen kennt, irrt.

Protokoll von Laura Hertreiter

Die meisten Leute glauben, Glück bedeute, keine Krisen zu erleben. Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Ich habe früh gelernt, dass gerade schwierige Situationen Trainingsfeld sein können für inneres Wachstum. Ich war ein scheues Kind, am liebsten am Rockzipfel der Mutter. Bei uns zu Hause herrschte keine Unbeschwertheit. Meine Mutter hatte zu sehr mit ihrem Schicksal einer schweren Krebserkrankung, mein Vater mit seiner brutalen Lagerhaft als sogenannter Halbjude während der Nazizeit zu kämpfen. Die beiden sprachen nie drüber - um meine Schwester und mich zu schützen.

So kauerte also ein schuppiges Tier hinter dem Vorhang unserer Wohnung, Vorname: Angst, Nachname: Verdrängung - und machte mich zu einem extrem ängstlichen Kind. Doch letztlich wies es mir den Weg zu innerer Stärke. Meine Reise nach innen begann, als ich zwölf war. Damals schrieb ich mir den Satz an die Wand: ,Wo die Angst ist, geht es lang.' Und erfand mich radikal neu. Aus dem ängstlichen Kind wurde ein Teenager, der alles einriss, was von den Alten kam. Dabei wurde mir schnell klar: Erfolg ist toll. Ich hatte größte Lust am Studium, am Beruf, an neuen Herausforderungen. Und zugleich wurde mir so oft schmerzhaft klar: Das kann nicht alles sein. Erfolg im Außen ist super, aber er wärmt nicht von innen. Und so entdeckte ich die andere Seite in jedem von uns, die durch Worte nicht erreichbar ist. Als Mitglieder der modernen Wissensgesellschaft lernen wir ja nie, wo sie wurzelt, die tiefe Bewusstheit für das Geschenk des Lebens. Wir lernen nicht, uns früh unsere Endlichkeit zum Freund zu machen, die uns hilft, mit großer Kraft im Jetzt zu sein. Wir lernen das nie, weil dieses Bewusstsein mit Worten nicht zu definieren ist. Es wohnt auf einer anderen Ebene als der des Verstandes. Und unsere stillschweigende Übereinkunft lautet ja: Ich denke, also bin ich. Und ohne Denken bin ich nichts. Ich bin also mein Denken. Seit mehr als 40 Jahren befinde ich mich auf einem anderen Weg. Ich preise das Geschenk unseres Verstandes und trainiere mich zugleich in einem neuen Bewusstsein. Klingt merkwürdig, ich weiß. Letztlich haben alle Religionen das zum Ziel: uns die Tür zu dem zu öffnen, was der Verstand nicht zu fassen weiß.

Wieso ich dann vom neuen Bewusstsein spreche? Als ich vor drei Jahren den Impuls verspürte, meine Erfahrung der lebenslangen Suche in einem Buch aufzuschreiben, war der nächste Erkenntnisschritt getan. Wenn wir etwas lernen wollen, was wir über lange Zeit ignoriert haben, dann braucht es regelmäßiges Üben. Nur dann programmieren wir uns und die Verschaltung unserer Neuronen um. Also trainiere ich mich selbst täglich mit kleinen Übungen für ein Leben im Jetzt - neben dem genussvollen scharfen Denken. Deshalb ist mein Buch ,Der unbesiegbare Sommer in uns' auch ein Übungsbuch geworden, das helfen soll, die Seite in uns finden, von der sein Titel in einer zugegeben blumigen, von Albert Camus geklauten Metapher spricht: "Mitten im tiefsten Winter entdeckte ich, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt."

Nina Ruge , 59, ist Fernsehmoderatorin, Buchautorin und Journalistin.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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