Glaubensbekenntnis:Louis Lewitan

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Eigentlich spricht der jüdische Psychologe in der Öffentlichkeit nicht über seinen Glauben. Religion ist für ihn Privatsache mit der man andere Menschen nicht behelligen sollte. Für uns macht er aber zum Glück eine Ausnahme.

Protokoll von Ronen Steinke

Im jüdischen Glauben ist der Zweifel erlaubt. Die Frage spielt aus meiner Sicht eine größere Rolle als die Antwort. Der Dialog ist Teil des Selbstverständnisses. Nur wenn ich den Zweifel zulasse, kann ich mich überhaupt auf den Weg machen, Weisheit zu erlangen. Das ist eine Kultur, die mir gefällt: Auch in der Psychologie steckt für mich ja alle Kunst in Fragen. Die Kunst besteht nicht darin, jemanden zu überführen, sondern ihn dazu zu bringen, sich zu öffnen, sich selbst Fragen zu stellen. Es muss nicht immer eine fein ziselierte, intellektuelle Frage sein, die besten Fragen entstehen einfach aus einer Sensibilität für die Situation heraus. Manche gute Gespräche beginnen einfach mit: "Na?" Die jiddische Variante davon heißt: "Nu?" Dazu gibt es eine geniale Geschichte von Ephraim Kishon: die 680 unterschiedlichen Arten, "Nu?" zu fragen. Offen: "Nu?" Druckvoll: "Nu!!" Oder vertraut: "Nuuuuu . . . ?" Eine Silbe nur!

Das Jiddische ist überhaupt sehr schön pointiert. Ich liebe es, das ist die Sprache meiner Kindheit, neben dem Französischen. Meine Eltern sprachen untereinander Jiddisch. Es ist eine wunderbar bildreiche Sprache, sehr literarisch, in der viel zusammenfließt: Deutsch, aber auch Hebräisch. Das hat mir später sicher geholfen, ein schlechtes Deutsch zu sprechen.

Ich war elf Jahre alt, als wir in Bayern ankamen. In meiner Klasse wurde jeden Morgen gebetet, ein Kruzifix hing an der Wand. Ich war der einzige Jude und war außen vor. Irgendwann kam der besorgte Schuldirektor und erkundigte sich, was denn los sei, warum ich mich dem Gebet verweigerte. In Frankreich wäre das undenkbar gewesen. An öffentlichen Schulen gab es keinen Religionsunterricht, man wuchs auf, ohne zu wissen, welcher Religion die Mitschüler angehörten.

Ich unterhalte mich nie über meinen Glauben in der Öffentlichkeit. Dass ich mich dem jüdischen Volk zugehörig fühle, kann ich natürlich sagen. Ebenso dass ich mich zu seiner Geschichte und seinen Werten bekenne. Jede Religion verdient Respekt und Toleranz, aber man muss damit nicht andere behelligen. Aus diesem Grund bin ich auch kein Freund religiöser Prozessionen in den Straßen. Das ist immer eine Inbesitznahme öffentlichen Raums, das hat etwas Beherrschendes, egal welche Religion es tut.

Wer fragt, bleibt geistig rege. Meine Erfahrung ist: Die größten Gesprächs-Killer sind jene Fragen, die schon die Antwort enthalten. "Ist es nicht so, dass . . . ?" Wer so manipulativ fragt, der sucht nur die Bestätigung seiner Vorurteile. Als Coach setze ich stattdessen auf völlig offene Fragen, das setzt viel eher einen interessanten Dialog in Gang als eine messerscharfe Beobachtung oder ein Kommentar. Dazu gibt es eine alte Geschichte, die das eigentlich schön auf den Punkt bringt. Ein Priester wendet sich an seinen Freund, einen Rabbiner. "Werter Rabbiner, erlauben Sie mir folgende Frage: Warum antworten Juden auf eine Frage immer mit einer Gegenfrage?"

Der Rabbiner überlegt und sagt mit einem Lächeln: "Warum nicht?"

Louis Lewitan, 1955 geboren in Lyon, arbeitet als Psychologe und Coach in München. Er ist einer der Interviewer in der Zeit Magazin-Reihe "Das war meine Rettung".

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