Glaubensbekenntnis:Joshua Cohen

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Der Schriftsteller aus New Jersey zählt zu den radikalsten Erzählern der modernen amerikanischen Literatur - im Glaubensbekenntnis berichtet der 36-Jährige, wie sehr ihn seine jüdische Erziehung geprägt hat. Das gilt auch für seinen Beruf, das Schreiben.

Protokoll von Hannes Vollmuth

Jede Generation hat das Privileg, an der eigenen Zeit zu verzweifeln, überwältigt zu sein von den Möglichkeiten, abgestoßen von dem Irrsinn der Epoche, das Gefühl zu haben, kurz vor der Apokalypse zu stehen. Manche denken, Religion könnte dieses Endzeitgefühl abfedern, Trost spenden und einen vorbereitet auf das Absurde dieser Welt. Nur tut sie das nicht. Religion macht etwas anderes.

Bevor ich kläre, was Religion vermag, muss ich mich aber fragen: Was ist Religion überhaupt? Ich meine, es gibt die klassischen Religionssysteme: Judentum, Islam, Christentum. Und dann gibt es neue Formen, zum Beispiel die Technik-Religion unserer Tage, die Sehnsucht nach der Erlösung durch eine App. Jeder meint etwas anderes, wenn er Religion sagt. Ich kann also nur für mich sprechen: Das Judentum, mit dem ich aufgewachsen bin, bedeutet in erster Linie, dass sich Dinge durch die Jahrhunderte ziehen, bleiben. Traditionen, die Halt geben. Selbst mir.

Ich besuchte eine Jeschiwa, eine jüdische Schule. Zu Hause feierten wir den Sabbath, wir lernten Hebräisch, lasen in der Thora, die prophetischen Bücher, den Talmud. Bis 13 war mein Leben durch und durch religiös geprägt. Dabei war ich als Kind gar nicht religiös, weder begeistert darüber, was mir meine Religionsgemeinschaft bot, noch besonders gottesgläubig. In der Jeschiwa zum Beispiel starrte ich aus dem Fenster, angezogen von allem, was draußen vor sich ging. Und ich mochte auch nur die Gebete, die einen schönen Text oder eine ansprechende Melodie hatten. Erst als ich das Schreiben für mich entdeckte, fühlte ich zum ersten Mal etwas Religiöses, etwas Heiliges, auch wenn mein Umfeld das anders sehen würde.

Damals habe ich ein Jahrzehnt lang versucht, den Erwartungen meiner Eltern zu entsprechen, ich sollte Musiker werden, aber weder war ich talentiert genug, noch wollte ich tatsächlich Musiker sein. Heute bin ich Schriftsteller. Und auch wenn ich niemals darüber eine Aussage treffen würde, ob Gott für mich existiert oder nicht, weiß ich trotzdem, dass das Judentum und seine Grundsätze immer noch mein Leben prägen. Mit derselben Verpflichtung und Disziplin, mit der ich früher zum Beispiel gebetet habe, setzte ich mich heute an den Schreibtisch. Früher betete ich drei Mal am Tag, ob ich Lust hatte oder nicht. Heute schreibe ich jeden Tag, ob ich Lust habe oder nicht, ob das, was ich schreibe, etwas taugt oder nicht. Ich stehe auf, schreibe und probiere Sätze, bis ich am Abend wieder ins Bett gehe. Ich ringe und kämpfe jeden Tag. Ich stoße an die Grenzen meiner Vorstellungskraft und Fantasie, auch an meine Ignoranz und meine Unwissenheit. Aber genau darum geht's: um das ständige Ringen mit sich und der Welt, das einem ein lebendiges Gefühl gibt. Die Hingabe, mit der ich jeden verdammten Tag meine Arbeit verrichte, ist heute mein Gottesdienst.

Joshua Cohen , 36, ist Schriftsteller, lebt in New Jersey und gehört zu den radikalsten Erzählern der modernen amerikanischen Literatur. Gerade erschien "Solo für Schneidermann" auf Deutsch. Der Roman wurde vom preisgekrönten Übersetzer Ulrich Blumenbach übertragen.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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