Problem PID: Urteil des BGH:"Auch das kränkste Leben ist wertvoll"

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Haben Eltern Anspruch auf ein gesundes Baby? Der renommierte Medizinethiker Giovanni Maio hält Gentests an Embryos für einen schlimmen Fehler - weil die Starken über den Wert des Lebens der Schwachen bestimmen.

Sarina Pfauth

Darf man Embryonen mit genetischen Defekten aussortieren? Der Bundesgerichtshof klärt heute, ob es einem Arzt erlaubt ist, befruchtete Eizellen zu untersuchen, bevor er sie einsetzt. Ein Gespräch mit Giovanni Maio, Professor für Medizinethik und Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg. Maio ist berufenes Mitglied des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer und wurde im Jahr 2002 von der Bundesregierung in die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung berufen. Er hat Medizin und Philosophie studiert.

Neugeborenes Baby in einer Klinik: "In dem Moment, in dem man Embryonen testet, bevor man sich für sie entscheidet, nimmt man Menschen nicht in ihrem So-Sein an." (Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Professor Maio, angenommen, Sie wären Richter: Würden Sie einen Arzt verurteilen, der Embryonen danach auswählt, ob sie gesund sind oder nicht?

Giovanni Maio: Ich würde es auf jeden Fall nicht für gut befinden und dafür sorgen, dass ein Arzt so etwas nicht unternimmt.

sueddeutsche.de: Was finden Sie falsch an der Präimplantations-Diagnostik (PID)?

Maio: In dem Moment, in dem man Embryonen testet, bevor man sich für sie entscheidet, nimmt man Menschen nicht in ihrem So-Sein an, sondern erst dann, wenn sie gefallen und die Qualitäten erfüllen, die man von ihnen fordert. Im Grunde ist das eine Abkehr der bedingungslosen Annahme eines jeden Menschen. Das ist ein großes ethisches Problem: Dass wir Menschen in einem solchen Fall nur unter Vorbehalt annehmen.

sueddeutsche.de: Was ist verwerflich daran, dass Menschen gesund sein wollen - und gesunde Kinder bekommen möchten?

Maio: Wir leben in einer Zeit, in der die Leistungsfähigkeit und das Hineinpassen in eine Wettbewerbs- und Leistungsgesellschaft das zentrale Gut des Menschen ist. Dementsprechend wird nach diesem Kriterium auch das Leben vor der Geburt selektiert. Das hat nichts mit der Unmoral der Eltern zu tun, sondern mit einem gesamtgesellschaftlichen Denken, das im Grunde nur das gesunde, leistungsfähige Leben akzeptiert. Alles andere wird negativ bewertet. Damit geraten viele werdende Eltern in Zugzwang.

sueddeutsche.de: Warum?

Maio: Sie können sich nicht mehr frei für ein behindertes Kind entscheiden, weil sie Angst haben, dass das Umfeld diese Entscheidung für nicht gut befindet. Die Paare haben Angst, dass sie angeprangert werden, wenn sie sich für ein Leben entscheiden, das nicht den Maßstäben entspricht, die die Leistungsgesellschaft vorgibt. Denn die Tests nicht in Anspruch zu nehmen, bedeutet ja, dass die Gesellschaft für das behinderte Kind aufkommen muss. Es wird immer mehr als unverantwortlich angesehen, wenn ein Kind zur Welt kommt, das nicht gesund ist. Man muss sich zunehmend rechtfertigen für ein Kind mit Behinderung. Und das ist ein großer Rückschritt einer Gesellschaft hin zu einer Entsolidarisierung und Negativbewertung des nicht leistungsfähigen Lebens. Die Sorge vieler Eltern gilt sicherlich nicht nur ihrem Ruf - sondern auch der Zukunft ihres Kindes.

sueddeutsche.de: Dürfen Paare, die - wie in dem verhandelten Fall - erblich vorbelastet sind und bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass auch ihre Kinder krank sein werden, aus ethischer Sicht Nachwuchs bekommen?

Maio: Zunächst einmal ist jedes Leben, auch das kränkeste, zunächst einmal eine Gabe und in sich wertvoll. Wenn ein Leben beispielsweise bei Krankheiten wie Chorea Huntington oder Mukoviszidose nicht die Lebenserwartung hat, die ein anderes Leben haben könnte, ist das natürlich eine Herausforderung. Aber es heißt nicht, dass das gesamte Leben deshalb unter einem negativen Stern steht. Zu sagen: Das ist ein krankes Leben, deshalb soll es gar nicht sein, halte ich für einen Denkfehler. Wenn wir wüssten, dass wir morgen sterben, würden wir ja auch nicht sagen, dass unser Leben völlig umsonst war. Die Gefahr besteht, dass wir Starken uns anmaßen, zu sagen, dass das andere Leben nicht sein soll, weil es aus unserer Perspektive weniger wertvoll ist. Wir dürfen aber grundsätzlich über den Wert eines anderen Lebens nicht befinden.

sueddeutsche.de: Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass jedes Leben wertvoll ist?

Giovanni Maio ist Professor für Medizinethik und Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg. (Foto: oH)

Maio: Das ist eine Grundannahme, ohne die man keine gute Ethik betreiben kann. Selbst aus einer Klugheitswahl heraus können wir nicht wirklich wollen, dass es ein gutes und ein schlechtes Leben aus der Perspektive eines Dritten geben kann - denn dann könnte es sein, dass ich irgendwann selbst in eine Situation gerate, wo ein Dritter sagt, dass das Leben, das ist führe, nicht gut genug ist und es besser wäre, wenn ich nicht mehr wäre. Jeder Mensch, der lebt, hat doch von sich aus das Bedürfnis anerkannt zu sein als Mensch und nicht erst dadurch, dass er etwas kann, leistet oder so ist, wie andere es sich wünschen. Das ist letztlich die Grundlage der Menschenwürde, die in unserem Grundgesetz verankert ist.

sueddeutsche.de: Und diese Würde ist in Gefahr?

Maio: Die PID stellt diesen Gedanken vollkommen auf den Kopf und bewertet dieses Leben. Ethik-Theorien, die das Leben nicht nach seiner Existenz, sondern nach seiner Qualität bewerten, halte ich für gefährlich - weil sie dazu führen können, dass die Wertmaßstäbe der breiten Masse einer Minderheit übergestülpt werden. Es ist eine Errungenschaft der Aufklärung, dass jeder Mensch gleich ist.

sueddeutsche.de: Kritiker fürchten, die PID würde irgendwann auch in Deutschland Designerbabys ermöglichen. Wunschlisten für Haarfarbe bis IQ: Halten Sie diese Angst für begründet?

Maio: Heute schwerwiegende Krankheiten, morgen ästhetische Gesichtspunkte - die Erfahrungen im Ausland zeigen, dass die Ausweitung der Indikation für Embyonen-Tests kommen würde. Das ist ganz normal, dass die Eltern dann, wenn sie denn die Möglichkeit bekommen, das Kind vorher zu testen, überlegen: Warum nur Krankheiten? Warum denn nicht was anderes auch? Das ist kaum mehr aufzuhalten. Ich würde die Präimplantations-Diagnostik aber nicht wegen zukünftiger Risiken für unmoralisch halten. Selbst wenn die PID nur für schwerwiegende Krankheiten erlaubt wird, ist das auch ein grundlegender Fehler.

sueddeutsche.de: Aber wieso sollte PID nicht erlaubt sein, wenn doch jede werdende Mutter sich beim Frauenarzt völlig unkompliziert für Pränataldiagnostik anmelden kann?

Maio: Diese Begründung ist kein Argument, weil diese Behauptung einfach nicht stimmt: Der Schwangerschaftsabbruch ist in den allermeisten Fällen rechtswidrig. Der Gesetzgeber sieht zwar von Strafe ab, aber nur, weil es beim Schwangerschaftsabbruch einen großen Konflikt gibt. Die Frau befindet sich in einer existentiellen Not, deshalb soll sie, so der Gedanke hinter dem Gesetz, nicht auch noch bestraft werden. Man muss ihr helfen und sie beraten. Eine PID ist eine ganz andere Sache: Da wird ein Gentest an einem Embryo gemacht, ohne dass die Frau schwanger ist. Sie ist in keiner Konflikt- oder Notsituation, sondern kalkuliert ganz kühl: Will ich ein solches Kind oder ein anderes? Das ist eine völlig andere Kategorie.

sueddeutsche.de: Ein Schwangerschaftsabbruch wird in weiten Teilen der Bevölkerung aber als Freiheitsrecht wahrgenommen.

"Heute schwerwiegende Krankheiten, morgen ästhetische Gesichtspunkte - die Erfahrungen im Ausland zeigen, dass die Ausweitung der Indikation für Embyonen-Tests kommen würde." Das Monitorfoto zeigt die Injektion einer Samenzelle in eine Eizelle mittels Mikropipette bei einer künstlichen Befruchtung. (Foto: dpa)

Maio: Ja, als ob man es sich aussuchen kann, ob man ein Kind behält oder nicht. Deshalb kommt man auch auf die Idee, PID gut zu finden. Aber all dieses Denken ist nur Resultat der Grundüberzeugung, dass wir als starke Menschen verfügen dürfen über den schwachen, ungeborenen Menschen oder den Menschen im Reagenzglas.

sueddeutsche.de: Wie soll eine Gesellschaft mit diesen Fragen umgehen?

Maio: Was wir zuallererst brauchen, ist eine Gesellschaft, in der auch kranke und behinderte Menschen, die angewiesen sind auf die Hilfe Dritter, wissen, dass sie willkommen sind - und nicht nur geduldet. Es ist das größte Manko, auch des Gesetzgebers aber auch der gesellschaftlichen Atmosphäre, dass dieses Solidaritätsdenken nicht vermittelt wird. Das Wohl und die Humanität unserer Gesellschaft hängt nicht davon ab, welche konkrete Regel wir wo haben, sondern sie hängt davon ab, mit welcher Grundeinstellung wir dem schwachen Leben begegnen. Und da muss viel nachgeholt werden.

sueddeutsche.de: Was könnte ein Freispruch des Arztes aus Ihrer Sicht für die Zukunft bedeuten?

Maio: Wir sind auf dem Weg dahin, dass Menschen zunehmend verantwortliche Elternschaft so begreifen, dass sie denken: Als verantwortungsbewusste Eltern dürfen wir kein behindertes Kind bekommen. Das halte ich für fatal. Nichtwissen ist deshalb ein großes Gut, weil es sichert, dass wir jedem Leben eine Chance geben. Wenn jetzt bei diesem BGH-Urteil eine Liberalisierung der PID eingeläutet würde, dann wäre das sehr bedenklich. Es würde bedeuten, dass die PID angeboten werden würde. Die Eltern würden wiederum den Anspruch auf diesen Test anmelden - und dann würde es keine Bremse mehr geben.

sueddeutsche.de: Was würden Sie sich wünschen?

Maio: Dass der Gesetzgeber das Embryonenschutzgesetz neu formuliert und die PID ausdrücklich verbietet. Das Gesetz ist alt, es stammt von 1990, damals war die PID schon in der Diskussion, wurde aber nicht aufgenommen in das Gesetz - deshalb gibt es diese Unsicherheit. Man müsste ein deutlicheres Verbot der PID verankern. Sie zu erlauben, würde das gesamte Embryonenschutzgesetz vollkommen auf den Kopf stellen. Man dürfte Embryonen dann wegwerfen und Eltern dürften frei über sie verfügen. Der Embryo wäre nicht mehr geschützt, und das Gesetz damit hinfällig. Ich bin kein Politiker - aber ich wünsche mir als Ethiker, dass es soweit nie kommen wird.

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