Gewaltrausch:Sie nannten ihn Psycho

Illustration Gewalt/Bandido

Früher hat er bis aufs Blut gekämpft. "Das war krank", sagt er heute.

Er war Skin, Hooligan, Bandido und Aufpasser im Bordell - den Schmerz spürte er immer erst nach dem Kampf. Kann sich einer ändern, der jahrelang im Gewaltrausch war? Eine Begegnung.

Von Katrin Langhans

Als er 14 Jahre alt ist, fängt er an mit dem Tod zu rechnen. Jonathan Schenk, kahler Kopf, breite Schultern, konzentrierter Blick, steht in einem Mob aus Hooligans. Er ist einer der Jüngsten, einer der Kleinsten, 1,73 groß, 58 Kilo schwer. Die Angst, vielleicht zum letzten Mal zu kämpfen, mischt sich mit der Euphorie, sich mit anderen Hooligans zu messen. Adrenalin schießt durch Schenks Körper. Aber er ist ganz ruhig. Hellwach. Er sucht sich einen als Gegner, der die Augen zu Schlitzen formt. Bei dem jedes Knie, jede Schulter nach vorne strebt - als würde der Körper von einem unsichtbaren Band festgehalten. Schenk rast los und tritt, springt, schlägt auf seinen Gegner ein. Er hört sich selbst laut atmen. Hört Schreien, Weinen und Nasen brechen wie Hühnerknochen. Er fühlt in seiner Faust den Widerstand fremder Körper. Er spürt, wie ein Schlag seine Rippe trifft, aber fühlt keinen Schmerz. Als die Polizei kommt, löst sich der Mob.

Schenk, Glatze, Dreitagebart, heute 45 Jahre alt, 91 Kilo schwer, sitzt im Café und weicht weder Fragen noch Blicken aus. Er formt die Hand kurz zur Faust, so wie damals. Seine Sätze kommen schnell und flüssig, als hätte er viele Stunden damit verbracht über seine Zeit als Schläger nachzudenken. Und wären da nicht die feinen Narben unter den Totenkopf- und Tribal-Tattoos auf seinen Händen und Armen, man würde ihm seine Vergangenheit nicht ansehen. Weich sind die Gesichtszüge, freundlich und offen der Blick. 24 Jahre lang hat er sich geprügelt, als Boxer, Skin, Hooligan, Aufpasser im Bordell und Bandido. Warum? "Mit dem Kämpfen ist es ähnlich wie mit einem Kind, das anfängt zu laufen. Man merkt, dass man was kann und will besser werden", sagt er. "Das ist die ursprünglichste Art sich zu messen: Mann gegen Mann." Für ihn war jede Schlägerei ein Wettkampf, eine Chance, als Sieger gefeiert zu werden. Und in der Szene gefürchtet und geachtet zu sein. "Man kann das schlimm oder positiv bewerten, aber ich war immer bei klarem Bewusstsein." Und auch wenn er brutal war, gab es für ihn Regeln: "Ich hab nie nachgetreten und nie eine Waffe benutzt, wenn der andere nicht damit anfängt." Heute steht Schenk, der eigentlich anders heißt, an Türen vor Diskotheken und erklärt als Anti-Gewalttrainer Jugendlichen, wie man Probleme mit Worten löst. Er spricht von Deeskalation, Empathie und Respekt. Es scheint, als hätte er die Gewalt in seinem Leben domestiziert. Bis dahin war es ein weiter Weg.

Seine Vorbilder: Mike Tyson und Helmut Schmidt

Die Schmerzen nahm Schenk immer erst nach dem Kampf wahr. Erst dann spürte er, wie Blut über seine verschwitzte Faust lief, wie seine Brust schmerzte. Wie ihm das Atmen schwerfiel und die Rippe sich wölbte, vermutlich gebrochen. Wie sein Körper zitterte und der Hals pochte. Erst dann fiel die Anspannung von ihm ab wie tote Haut. Weil er beim Kampf immer so ruhig blieb, nannten sie ihn Psycho.

Schenk hatte in seiner Jugend zwei Vorbilder: Mike Tyson, weil er kompromisslos kämpfte, und Helmut Schmidt, weil er ehrlich war. Mit 14 Jahren begann Schenk, der mit seinem Bruder beim Vater aufwuchs, zu boxen und rasierte sich eine Glatze. In der Straßenbahn sprachen ihn Jugendliche an, die vier, fünf Jahre älter waren als er. Schenk sehe aus wie einer von ihnen und solle mal zum Treffen der Oi!-Skins kommen. Schenk fühlte sich wohl unter den Jungs, kam häufiger, hing ab und hörte Ska und Böhse Onkelz. Ab und zu klatschten sie Punks, prügelten Migranten oder fuhren mit Hooligans auf Fußballspiele. Schenk kämpfte auch, wenn er alleine unterwegs war. Keiner sollte sagen, der bringt's nur mit seinen Jungs. Einmal rannte er in eine Billardhalle, weil dort ein Türke spielte, der ihn beleidigt hatte. Er schnappt sich zwei Kugeln und sagte: Ich bring euch alle um. Die Männer stürmten hinaus. Das sprach sich herum.

"Das war krank"

Während er erzählt, runzelt Schenk die Stirn, ein wenig, als würde er sich über sich selbst wundern. "Das war krank. Wenn ich heute mein jüngeres Ich träfe, würde ich sagen: Junge, das ist eine Geschichte, wo du dich auf ganz dünnem Eis bewegst. Ich hätte mein Leben verlieren oder strafrechtlich verfolgt werden können." Hätte die Warnung denn was geändert? Er bejaht, als Junge habe er nach jemandem gesucht, der ihm was vom Leben erzählt. Nach einer kurzen Pause aber sagt er: "Vielleicht".

Wenn Schenk mit gebrochener Nase oder Wunden nach Hause kam, erzählte er seinem Vater, einem Fabrikarbeiter, und seiner Großmutter, das sei beim Boxen passiert. Nur der große Bruder kannte Schenks Ruf und bat ihn um Hilfe, wenn er in der Klemme steckte. Erst als die Oma starb, zog sich Schenk aus der Szene zurück. Er wollte bei der Familie sein und fühlte sich trauernd nicht wohl bei den Jungs. Schenk wurde Schreiner, heiratete und eröffnete ein Jalousiengeschäft. Weiberfastnacht war er überglücklich: Seine Tochter Sara kam zur Welt.

Er wird Aufpasser im Bordell

Am Wochenende fuhr Schenk manchmal das Taxi einer Freundin, als Zubrot. An einem Abend saßen auf der Rückbank drei Typen mit Rolex-Uhren am Arm, das Geld in Hunderterbündeln in den Taschen. Fahr uns die ganze Nacht von Club zu Club, sagten sie. Lass das Taxameter laufen und feiere mit. Vor einer Diskothek schlugen sich die Männer mit den Türstehern, weil sie nicht rein durften. Schenk prügelte mit und floh erst, als die Polizeisirenen erklangen. Die drei Männer fragten Schenk, ob er nicht Lust hätte, in Hamburg Geld als Wirtschafter zu verdienen. Schenk fragte, was ein Wirtschafter sei und erfuhr, dass diese Männer in Bordellen auf die Mädchen aufpassen und mit Fäusten dafür sorgen, dass Freier bezahlen. Schenk war von da an eine Woche zu Hause, eine Woche in Hamburg. Er ging mit seiner Tochter Sara auf den Spielplatz, holte sie vom Kindergarten ab und las ihr Geschichten vor. In Hamburg stürmte er fünf, sechs Mal die Nacht in die Zimmer der Prostituierten und schlug Freier, die nicht zahlen wollten. Die Anweisung: erst schlagen, dann reden. Am Anfang hatte Schenk, 24 Jahre alt, Hemmungen Männer anzugreifen, die so alt waren wie sein Vater. Aber Hemmungen, sagt er, kann man abtrainieren.

"Ich bin nah am Wasser gebaut, ich hab Mitgefühl"

"Alles wird irgendwann Routine. Das passiert ganz unterbewusst", sagt Schenk. "Ich sehe mich nicht als brutalen Menschen. Ich bin nah am Wasser gebaut, ich hab Mitgefühl." Aber das Bordell war sein Zuhause, die Mädchen seine Familie, die er beschütze. "Klar ist das aus der heutigen Sicht pervers, einfach draufzuhauen", sagt er und schüttelt kaum merklich den Kopf, als wäre er sich selbst fremd. Schenk ist einer, der sich im Restaurant mit dem Rücken zur Wand setzt. Er geht nicht gern in Diskotheken, zu unübersichtlich. Nur einmal verliert er die Kontrolle. Er wird am Bauch angeschossen und fällt in Ohnmacht. Erst im Krankenwagen wacht er wieder auf. Kurz darauf kommt seine Frau zu Besuch, schaut sich an, wie er arbeitet, weint und sagt: Hamburg oder ich. Schenk entscheidet sich für die Familie. Dann lässt er seine Harley reparieren, lernt einen Bandido kennen und der Kreis aus Gewalt und Lügen geht von vorne los. Seine Frau und er lassen sich scheiden. Die Tochter, Sara, will zu ihm. Schenk tritt aus dem Club aus, wird zusammengeschlagen, sagt zur Polizei: Nichts passiert. Seitdem ist Ruhe.

Sieben Jahre ist das her. Wenn man ihn heute reden hört, von einer Waage, die langsam ins Positive kippt, weil er heute Jungs hilft, wie er einer war, dann möchte man ihm glauben. Auch wenn er Reue zeigt und sich laut fragt, was wohl aus den Opfern geworden ist. Aber kann man 24 Jahre einfach abstreifen? Die Videos und Fotos von seinen Schlägereien hat Schenk vor drei Jahren gelöscht. Weil andere gut finden könnten, was für ein harter Typ er war. Aber auch, um sich selbst zu schützen: Er hat Angst, dass er sich wieder in der Rolle des Schlägers gefällt.

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