José Xavier Orochena hat ein Wort, um die Situation zu beschreiben: brutal. "Die Kinder können sich nicht wehren und die Mütter haben keine Ahnung, was ihre Söhne und Töchter essen. Oder wie es ihnen geht, wo sie schlafen. All die Sachen, die du als Elternteil doch wissen möchtest. Wenn ich mit ihnen spreche, beginnen sie sofort zu weinen." Nach etwas Nachdenken ergänzt er: "Das ist die schwierigste Sache, mit der ich bislang zu tun hatte."
Orochena ist Anwalt in New York und vertritt inzwischen 19 Eltern aus Zentralamerika, die in den vergangenen Monaten an der amerikanisch-mexikanischen Grenze von ihren Kindern getrennt wurden. Seitdem US-Präsident Donald Trump am 20. Juni per Präsidialerlass einen symbolischen Schlussstrich unter die von seiner Regierung ausgelöste Grenzkrise zog, nimmt die öffentliche Aufmerksamkeit langsam und stetig ab. Doch die Krise ist noch lange nicht zu Ende.
Am heutigen Dienstag wird sich dies erneut zeigen: Das ist der Stichtag, den ein Richter der US-Regierung gesetzt hat, um alle getrennten Kinder unter fünf Jahren wieder zu ihren Eltern zu bringen. Erst am Montag veröffentlichte das Justizministerium, um wie viele es sich überhaupt handelt: 96 Babys und Kleinkinder. Zugleich räumte die Regierung ein, die Forderung nicht erfüllen zu können. Mehr als 40 Betroffene sollen vorerst weiter in den Auffanglagern für Jugendliche bleiben.
In einigen Fällen steht die Hintergrundüberprüfung der Eltern noch aus, in anderen der Prozess wegen illegaler Grenzübertretung, der in der Regel mit einer 30-tägigen Gefängnisstrafe im Abschiebelager endet. Ein einziges Kind konnte bislang niemandem zugeordnet werden, und, menschenrechtlich besonders brisant: In neun Fällen haben die USA die Eltern bereits abgeschoben, die Kleinkinder blieben allein im fremden Land zurück.
Ein Einjähriger muss vor Gericht erscheinen
Der einjährige Johan aus Honduras wurde am Freitag vor ein Einwanderungsgericht in Phoenix gebracht. Während der Junge aus seiner Milchflasche trank, entschied ein Richter auf Antrag des Baby-Anwalts auf "freiwillige Ausreise": Der Einjährige wird nun nach Honduras geflogen, wohin sein Vater bereits vor Kurzem abgeschoben worden war.
An solch kafkaesken Momenten mangelt es in der "Null-Toleranz"-Grenzpolitik nicht. Die Houstoner Anwältin Ruby Powers, die betroffene Eltern vertritt, beschreibt die vergangenen Wochen so: "Wir haben schnell gemerkt, dass die Regierung einen Plan für die Trennung hatte - aber dass sie auch einen Plan brauchen, um die Familien wieder zusammenzubringen, scheint ihnen nicht in den Sinn gekommen zu sein."
So können Hilfsorganisationen und Anwälte aus Datenschutzgründen nicht über die Registrierungsnummer nach dem Verbleib der Kinder suchen. Weil es an Schlafplätzen mangelt, wurden manche Kinder Tausende Kilometer durchs Land nach Florida und New York geflogen. Teilweise sind vier Behörden gleichzeitig an dem Prozedere beteiligt. Auch wenn die zuständigen Stellen Berichte über schlechte Kommunikation, Aktenvernichtung und Chaos von sich weisen, ist die Unsicherheit bei den Betroffenen groß.
Wie gut die US-Regierung die Rückabwicklung ihrer Politik organisieren kann, wird sich am 27. Juli zeigen. An diesem Tag muss sie laut Richterspruch auch die mehr als 2000 Kinder und Jugendlichen mit ihren Eltern zusammenbringen, die älter als fünf Jahre sind. "Das wird nicht hinhauen", prophezeit Anwalt Orochena. "Das ganze System ist überhaupt nicht darauf ausgelegt, Familien wieder zusammenzubringen oder sich um sie zu kümmern."