Süddeutsche Zeitung

Gesundheitsmythen:Dicke Lügen

Manche Mythen rund um das Essen halten sich offenbar ewig - die meisten davon sind aber nur schlechte Ausreden für Übergewicht.

Werner Bartens

Bewusst essen ist ganz schön anstrengend. Man kann Trennkost auftischen, sich nach seiner Blutgruppe oder der Mondphase ernähren - aber gesund und genussvoll ist das nicht unbedingt. Mit ein paar hartnäckigen Ernährungsirrtümern sollte schleunigst aufgeräumt werden, damit Essen wieder Spaß macht.

Schwere Knochen

"Schwere Knochen" sind eine ebenso beliebte wie absurde Erklärung für überflüssige Pfunde. Übergewicht ist keineswegs eine Frage des Skelettsystems. Die Knochen machen nur etwa acht bis neun Prozent des Körpergewichts eines Schlanken aus, bei bulligen Typen maximal zehn Prozent. Sie sind bei allen Menschen im Verhältnis zur Körpergröße ungefähr gleich schwer. Wenn ein 1,90 Meter großer Mann 90 Kilogramm wiegt, bringen seine Knochen höchstens neun Kilo auf die Waage. Trotzdem wird der Hinweis auf einen massigen Körperbau immer wieder als Entschuldigung für Hüftringe und Übergewicht angeführt.

Fazit: Ganz schlechte Ausrede

Viel auf einmal essen macht dick

Die Mythen rund um das Essen sind nicht auszurotten. Besonders der Zeitpunkt, der Mondschein und die Menge sind immer wieder Anlass für abenteuerliche Spekulationen. Dabei ist die wichtigste Regel ganz einfach: Der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme ist ziemlich egal. Entscheidend ist die Gesamtbilanz, also die Menge der aufgenommenen Kalorien. Wer über den Tag verteilt viel isst, nimmt genauso viel oder wenig zu wie jemand, der auf einmal dieselbe Menge Kalorien zu sich nimmt.

Fazit: Die Gesamtmenge macht's

Esse morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettler

Wie unsinnig dieser Rat ist, zeigt das Essverhalten in den Mittelmeerländern. Menschen in Italien, Spanien oder Frankreich essen abends besonders viel und frühstücken kaum. Und dennoch sind sie im Durchschnitt schlanker als die Deutschen.

Fazit: Schluss mit der Monarchie

Üppiges Essen am Abend macht dick

Entscheidend ist die Gesamtmenge der Kalorien - siehe oben. Es gibt keine Tages- oder Nachtzeit, zu der Essen besonders ansetzt. Wer allerdings tagsüber normal isst und dann abends nochmals kräftig zulangt, braucht sich über zusätzliche Pfunde nicht zu wundern. Und wer tagsüber normal isst und die Mahlzeit abends weglässt, nimmt natürlich auch ab. Womöglich entstand die Vorstellung, dass Essen am Abend dick macht, weil man glaubte, dass die Verdauung und die Stoffwechselvorgänge ruhen, wenn der Mensch sich ausruht oder schläft. Doch gerade das Gegenteil ist der Fall. In Ruhe ist der Teil des die inneren Organe versorgenden Nervensystems, der sogenannte Parasympathikus, aktiver. Er reguliert die Entspannung und die Verdauung.

Fazit: Essen, wann es schmeckt

Dicke wissen, dass sie dick sind

Anscheinend nicht alle. In einer britischen Befragung von mehr als 2000 Männern zeigte sich, dass ein erheblicher Teil der Herren das eigene Hüftgold und den für alle anderen offensichtlichen Bauchspeck leugnete. Von den erwachsenen Herren waren 65 Prozent übergewichtig. Aber nur 40 Prozent waren auch der Ansicht, dass sie zur Gruppe der Dickleibigen gehörten. "Frauen sind auch übergewichtig", sagt Jane Wardle aus London, die Leiterin der Studie. "Aber von ihnen wissen deutlich mehr, dass sie ein Gewichtsproblem haben." Und das Problem zu erkennen, sei schließlich der erste Weg zur Besserung.

Fazit: Manchmal hilft ein Spiegel

Niedriges Cholesterin ist gesund und verlängert das Leben

Ein niedriger Cholesterinspiegel mag in den meisten Fällen ein Zeichen für gute Gesundheit sein. Andererseits kann er auch auf bestimmte Krankheiten hinweisen: Leberschäden, Schilddrüsenüberfunktion, Mangelernährung und chronische Blutarmut. Im Alter ist ein niedriger Cholesterinspiegel sogar ungünstig: Ältere Krankenhauspatienten und Heimbewohner jenseits der 75 leben länger, wenn sie hohe Cholesterinspiegel aufweisen. Sehr niedrige Cholesterinwerte erhöhen das Risiko, früher zu sterben. Bei älteren Patienten spricht ein sinkender Cholesterinspiegel für eine schlechte Prognose. Niedrige Cholesterinwerte gehen außerdem mit einer erhöhten Selbstmordrate einher. Die genaue Ursache für diese Beobachtung ist nicht bekannt.

Fazit: Nicht von der Cholesterin-Hysterie anstecken lassen

Dicke sind gute Futterverwerter

Ein "guter Futterverwerter" zu sein, soll wohl bedeuten, dass die wenige Nahrung, die man zu sich nimmt, "immer schnell ansetzt". Oft heißt es dann noch, dass man "gar nicht so viel esse". Die Übergewichtigen, so scheint es, sind immer Opfer der Umstände: "schwere Knochen", "die Gene" - oder eben ein Stoffwechsel, der nicht so mitmacht, wie er das bei den Ranken und Schlanken dieser Welt tut. Forscher aus Großbritannien haben diesen gern gepflegten Mythos untersucht. Die Wissenschaftler aus Cambridge maßen bei Erwachsenen Energiezufuhr und -verbrauch und analysierten Energieumsatz und Stoffwechsel. Das Ergebnis war - zumindest für die Dicken - niederschmetternd. Mit jeder Gewichtsklasse nahmen Energieverbrauch und -umsatz kontinuierlich zu. Auch die Stoffwechselfunktion zeigte eine ständige Steigerung von den Normalgewichtigen hin zu den besonders Übergewichtigen. Die Gleichung ist ganz einfach: mehr Essen, mehr Stoffwechsel.

Fazit: Schlechte Ausrede für Fortgeschrittene

Mehrere kleinere Mahlzeiten am Tag machen nicht so dick wie drei größere

Immer wieder hört man die Empfehlung, mehrere kleine Zwischenmahlzeiten zu sich zu nehmen, das sei besser, als bei Frühstück, Mittagessen und Abendessen "zuzuschlagen". Einzuwenden ist dagegen nichts, vielleicht ist es geselliger, und das Völlegefühl stellt sich nicht so schnell ein - ebenso wenig wie Hunger in den langen Pausen zwischen den großen Mahlzeiten. Als Vermeidungsstrategie gegen Übergewicht sind Zwischenmahlzeiten jedoch nicht geeignet. In Studien wurde gezeigt, dass eine definierte Essensmenge mehr Energie im Körper freisetzt, wenn sie in kleine Mahlzeiten zerteilt und zu verschiedenen Zeitpunkten gegessen wird - und daher dicker macht -, als wenn sie auf einmal verzehrt wird. In der Praxis zeigte sich zudem, dass es in verschiedenen Studien mit mehreren Tausend Probanden keinen Unterschied in der Energieaufnahme innerhalb von 24 Stunden gab - egal ob die Teilnehmer schlemmten oder nur nippten.

Fazit: Wie es euch gefällt

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Quelle:
SZ vom 1.2.2008
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