Süddeutsche Zeitung

Gesunde Lebensmittel:Dünne Weisheiten dick aufgetragen

Viele Mythen über die positive Wirkung von Lebensmitteln kursieren deshalb, weil sie so schön in die Werbung passen. Kaffee zum Beispiel ist nicht schädlich - aber dass er auch noch gesund sein soll, ist vor allem ein Marketing-Gag.

Friedrich Pekus

Eigentlich hat Kaffee schon reichlich gute Eigenschaften: Er duftet, schmeckt, regt an und verschafft auch dann noch kleine Pausenrituale, wenn einem die Arbeit schon bis zum Hals steht.

Nun soll das stimulierende Heißgetränk aber auch noch gesund sein, ein Wellness-Drink geradezu, randvoll mit schützenden Antioxidantien. So zumindest bewirbt ein großer Kaffeehändler sein Produkt.

Fruchten kann diese Werbung nur, weil Gesundheits- und Lifestyle-Magazine ihr Publikum jahrelang mit der Botschaft von den "gesunden Radikalfängern" beackert haben.

Konsum gegen den Konsum

Die chemisch äußerst vielgestaltige Gruppe der Antioxidantien hat in den vergangenen Jahren den Ruf von Universalwächtern des leiblichen Wohls erhalten: Dem Herzinfarkt sollen sie vorbeugen, vor Krebs schützen, das Alter ausbremsen. Ihr Leumund bezieht sich auf eine simple chemische Eigenschaft: Sie reagieren mit freien Sauerstoffverbindungen, so genannten Radikalen.

Die fallen täglich im Körper an und können Zellstrukturen schädigen, wenn zu viele davon entstehen. "Dass Antioxidantien im menschlichen Organismus eine wichtige Funktion haben, steht fest", sagt Berthold Koletzko, Ernährungsmediziner von der Universität München, "ob aber ihre gezielte, zusätzliche Einnahme die Gesundheit tatsächlich fördert, ist unklar." Denn antioxidative Stoffe bildet der Körper zum Großteil selbst.

Was Lebensmittel beitragen können, steckt schon in der normalen Kost - und bei diesen Inhaltsstoffen ist auch noch unklar, wie viel davon überhaupt das Blut erreichen.

Diese Details lassen die Werbebotschaften der Lebensmittelkonzerne gern weg. So entstehen zwei Botschaften: Nicht nur ist Kaffee zum Beispiel keinesfalls schädlich wie lang gedacht - diese Erkenntnis steht auf festen Füßen. Der Konsum ist wegen der Antioxidantien sogar nützlich, was bunte Zeitschriften gern als neu bewiesen verbreiten - auch wenn die Beweislage sehr dünn ist.

Manche derartige Nachricht entstammt kommerziellen Marketing-Konzepten: Die Meldung vom Antioxidantien-reichen Kaffee etwa, die vor zwei Jahren die Runde machte, zitierte eine Untersuchung, die Kaffee als "Hauptquelle von Antioxidantien in den USA" ausgemacht hatte.

Geld von den Konzernen

Finanziert war diese Studie vom American Cocoa Research Institute, einem Ableger internationaler Schokoladen- und Kaffeekonzerne.

Auch andere Interessenverbände beschränken sich bei ihrer Werbeaktivität nicht darauf, Anzeigen zu schalten. Der deutsche Teeverband zum Beispiel beauftragt eine Public-Relations-Firma damit, Meldungen aus der Wissenschaft zu sammeln, die mit Tee in einen positiven Zusammenhang stehen.

Dieses hochselektive Potpourri mit der verkaufswirksamen Kernbotschaft "Tee ist gesund" schickt die PR-Agentur dann unter der Überschrift "Wissenschaftlicher Informationsdienst Tee" an Redaktionen.

"Das ist eine sehr verbreitete Praxis", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Franzisca Weder von der Universität Klagenfurt. "Viele Journalisten nehmen das inhaltliche Angebot gerne an, da sie ständig Themen liefern müssen." Was auf diese Weise in den Medien über den "krebsvorbeugenden Effekt" von Kaffee oder die "anti-entzündliche Wirkung" von Tee erscheint, ist zwar sachlich nicht falsch. Aber die positive Erwähnung des Produkts wurde häufig aktiv durch kommerzielle Interessen angebahnt.

Zudem stehen die Aussagen oft nicht mehr im richtigen Zusammenhang. Etwa sich die "gesundheits-dienlichen Hinweise" aus der Grundlagenforschung stammen, wo Wissenschaftler unter Laborbedingungen lediglich die biologischen Eigenschaften bestimmter Moleküle untersuchen.

Die verkündete "anti-aging-Wirkung" des Traubeninhaltsstoffes Resveratrol etwa beruht darauf, dass die Substanz in Hefezellen die Erbsubstanz vor Abbau schützt. Ob das ausreicht, um beim Weintrinker das Altern aufzuhalten, ist bloße Spekulation.

Auch der Kaffeehändler leitet die "Zellschutz fördernde" Wirkung seines Produkts aus einer Untersuchung ab, die bei zehn Probanden nach Kaffeekonsum den Anstieg eines Enzyms gemessen hat, das Mutationen in der Zelle repariert. Dabei ist völlig offen, wie relevant die biochemische Reaktion für den Gesamtorganismus ist und ob sie den Kaffeetrinker tatsächlich vor Krebs schützt.

Möglicherweise schädliche Wirkung

Manche Studien legen sogar nahe, dass "antioxidative Eigenschaften" auch schaden, wenn sie einseitig und übermäßig auf den Stoffwechsel wirken.

So belegte unlängst eine Untersuchung, dass die Einnahme antioxidativer Vitamin-Präparate des Leben verkürzen kann. Und Kapseln mit dem konzentrierten Inhalt von 50 Tassen grünem Tee greifen womöglich Leber und Nieren an, sagt eine neue Studie.

"Gesund ist eine ausgewogene Ernährung", sagt Berthold Koletzko. Die ist in Mitteleuropa normalerweise gewährleistet, auch ohne besondere Produktwahl des Konsumenten.

Dass das Geschäft mit Nahrungsergänzungsmitteln dennoch brummt, liegt an einem unterschwelligen Versprechen: Es ist die Verheißung, Folgen übermäßigen Konsums ließen sich durch weiteren Konsum verhindern, sagt Ulrich Förstermann, Pharmakologe von der Universität Mainz: "Das ist verlockend für den Kunden und natürlich die Hersteller. Damit wird sehr viel Geld verdient."

Lebensmittelkonzerne möchte gerne mitverdienen und versuchen darum seit geraumer Zeit, ihren Produkten ein Gesundheitsimage anzuhängen. Die Geschichte vom "gesunden Rotwein", die seit vielen Jahren diskutiert wird, gilt bei Lebensmittelkonzernen als Modell dafür, dass sich das Prinzip selbst auf Genussmittel ausweiten lässt.

Dabei fußte die Story lediglich auf einem Verdacht: Dass Rotweintrinker im Mittelmeerraum seltener Herzinfarkte bekommen als etwa die biertrinkenden Deutschen, könnte an den Antioxidantien im Wein liegen. Ob das eine aber tatsächlich mit dem anderen zu tun hat, weiß bis heute niemand.

Die Geschichte verschaffte dem Rotwein aber einen deutlichen Image- und Absatzgewinn. Die Winzerverbände müssen dann gar nicht mehr viel tun. "Es entstehen vielmehr Themenzyklen, die eine Eigendynamik haben", sagt Franzisca Weder.

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Quelle:
SZ vom 8.5.2007
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