Landtag - Wiesbaden:Schutz für Schwangeren-Beratungen vor Abtreibungsgegnern

Wiesbaden (dpa/lhe) - Die hessische Landesregierung will schwangere Frauen mit einem Erlass vor Belästigungen von Abtreibungsgegnern bewahren und hat damit auf Rufe nach einem Gesetz reagiert. Das Innenministerium formulierte als oberste Versammlungsbehörde für die Städte und Gemeinden eine Weisung, um Konflikten vor Beratungsstellen, Arztpraxen und Kliniken vorzubeugen. Dies teilte das Ministerium am Donnerstag auf Anfrage mit. Zuvor hatte die "Frankfurter Rundschau" darüber berichtet.

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Wiesbaden (dpa/lhe) - Die hessische Landesregierung will schwangere Frauen mit einem Erlass vor Belästigungen von Abtreibungsgegnern bewahren und hat damit auf Rufe nach einem Gesetz reagiert. Das Innenministerium formulierte als oberste Versammlungsbehörde für die Städte und Gemeinden eine Weisung, um Konflikten vor Beratungsstellen, Arztpraxen und Kliniken vorzubeugen. Dies teilte das Ministerium am Donnerstag auf Anfrage mit. Zuvor hatte die "Frankfurter Rundschau" darüber berichtet.

Auslöser für die Weisung aus Wiesbaden ist: Abtreibungsgegner haben wiederholt vor Beratungsstellen und Praxen Mahnwachen abgehalten oder demonstriert. Laut der Handreichung des Ministeriums vom 20. August dürfen aber keine ratsuchenden Frauen mehr vor Beratungsstellen angesprochen, bedrängt oder belästigt werden. Zudem dürfen ihnen keine Gespräche oder Infomaterialien aufgezwungen werden.

Abtreibungsgegner müssen dem Erlass zufolge auf Abstand gehalten werden. "Im Regelfall sind die Örtlichkeit einer Versammlung räumlich so weit von der Beratungsstelle entfernt festzulegen oder bestimmte Bereiche auszunehmen, dass kein Sicht- oder Rufkontakt mit der Beratungsstelle mehr besteht", erklärte ein Ministeriumssprecher mit Verweis auf das Papier. Ein solcher Eingriff in das Versammlungsrecht sei "in der Regel zulässig, wenn nicht sogar geboten", um das Persönlichkeitsrecht der Frauen zu schützen.

Im Erlass des Ministeriums wird das Recht der Frauen herausgehoben, "vertraulich und auf Wunsch auch anonym" beraten zu werden. "Eine auf Erzeugung von Schuldgefühlen abzielende und in dieser Weise belehrende Einflussnahme" diene "weder dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes noch dem Selbstbestimmungsrecht der Frau".

Der Erlass ist laut Ministerium nun an die Regierungspräsidien verschickt worden. Hessen sei das erste Land, das mit einer Regelung reagiere, sagte ein Sprecher. Der Erlass sei eine untergesetzliche Regelung. Er tritt per 20. August in Kraft.

Laut dem Ministerium ist eine wie von der Linke-Fraktion geforderte, räumlich definierte Schutzzone nicht realisierbar. Die oppositionelle Linke begründete ihren Gesetzesvorstoß damit, dass zunehmend auch in Hessen religiöse Fundamentalisten solche Einrichtungen belagerten. Sie schlägt deshalb vor: "In einem Umfeld von ca. 150 Metern werden zu Öffnungstagen von Beratungs- oder Behandlungsstellen Versammlungen beschränkt, sofern sie sich thematisch auf die Aufgaben der Schwangerschaftskonfliktberatung beziehen."

Zuvor hatten bereits Rechtsexperten Zweifel geäußert, ob der Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist. Aus Sicht des Juraprofessors Bernd Grzeszick von der Universität Heidelberg verletzt er unter anderem die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in unzulässiger Weise. Der Rechtsexperte verweist in seiner Stellungnahme auf andere Verbotsmöglichkeiten. Auch der Deutsche Juristinnenbund in Hessen schrieb: "Höchst fraglich ist bereits, ob das Land ein derartiges Spezialgesetz erlassen darf." Der Mainzer Juraprofessor Friedhelm Hufen hat dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Um etwaigen Tücken eines gesetzlichen Verbots auszuweichen, ist nun der Erlass verfasst worden, der den Kommunen die Richtung vorgibt. "Der Vorschlag der Koalition sei schnell umsetzbar und so rechtssicher wie möglich" sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Matthias Wagner laut "FR". Außerdem biete er eine umfassendere Lösung als eine starre 150-Meter-Grenze. Die Linke wertete den Erlass des Ministeriums als Erfolg. Beuth müsse aber prüfen, "ob der Erlass dem eigentlichen Gesetzesvorbehalt zur Beschränkung der Versammlungsfreiheit standzuhalten vermag".

Die Gießener Ärztin Kristina Hänel sagte zuvor, dass sie die Gesetzesinitiative der Linke-Fraktion unterstütze. "Frauen wollen ja gerade eben in dieser sehr intimen und unangenehmen Situation nicht gesehen und erkannt werden", schrieb Hänel in einer Stellungnahme zu einer Expertenanhörung am (heutigen) Donnerstag im Landtag. "Für sie entspricht der Gang in die Praxis einem Spießrutenlaufen." Ärztin Hänel selbst nimmt in ihrer Praxis Abtreibungen vor und sieht sich deshalb Anfeindungen und sogar Morddrohungen ausgesetzt. Für Ärzte und Praxismitarbeiter gebe es durch Demonstrationen von Abtreibungsgegnern auf dem Gehweg eine "real gefühlte" Bedrohung.

Hänel war bundesweit bekannt geworden, weil sie sich für eine Änderung des Abtreibungsrechts einsetzt. Sie hatte auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informiert und wurde deshalb wegen Verstoßes gegen den Paragrafen 219 a verurteilt, der dies als unerlaubte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbat. Der Paragraf wurde mittlerweile nach langer Diskussion ergänzt, das Urteil gegen Hänel wegen der geänderten Rechtslage aufgehoben.

Die FDP im Landtag kritisierte, dass die Landesregierung einen Schnellschuss gemacht habe. "Durch den Erlass wird nichts verbessert. Es muss eine gesetzliche Regelung erfolgen - diese würde eine wirkliche Trendwende bringen." Daher sei die Koalition aufgefordert, schnellstmöglich eine rechtssichere Regelung auf den Weg zu bringen. Der Erlass stelle lediglich eine Handreichung dar.

Auch die SPD als größte Oppositionspartei pocht auf eine gesetzliche Regelung: Es stelle sich die Grundsatzfrage, ob ein Ministerialerlass ausreiche, um die Einschüchterungsaktionen von Abtreibungsgegnern zu unterbinden, oder ob dazu ein parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren nötig sei. Immerhin berühre eine entsprechende Regelung das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Zudem bestehe durch den Erlass die Gefahr unterschiedlicher örtlicher Regelung.

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