Gesellschaft - München:Verband fordert detaillierte Straftaten-Erfassung

Bayern
Zahlreiche Menschen protestieren unter dem Motto "Wir haben das Recht, so zu leben wie wir sind" gegen Homophobie, Gewalt und Zwangsverheiratung. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa (Foto: dpa)

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München (dpa/lby) - Angesichts steigender Zahlen von Straftaten gegen die sexuelle Orientierung fordert der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Bayern eine genauere Erfassung durch die Polizei. Denn bisher erfasst die Statistik in Bayern laut Innenministerium nur allgemein den Straftatbestand. Demzufolge weiß man nicht, ob die Opfer beispielsweise homo-, bi-, transsexuell oder auch heterosexuell waren.

Nach Zahlen des Landeskriminalamts (LKA) wurden heuer bis Anfang Dezember schon 26 Straftaten gegen die sexuelle Orientierung im Freistaat registriert. Darunter waren sieben Gewaltdelikte. Beispielsweise waren Ende November drei Männer in einem Münchner U-Bahnhof Opfer eines schwulenfeindlichen Angriffs geworden. Im gesamten Vorjahr waren es nur elf Fälle, davon vier Gewaltverbrechen. Zuletzt höher lag die Fallzahl 2015 mit 32, darunter drei Gewaltdelikte.

"Die angegebenen Zahlen sind nur die Spitze eines großen Eisbergs", sagte LSVD-Vorstand Markus Apel. "Wir gehen davon aus, dass 80 bis 90 Prozent der homophob und transfeindlich motivierten Straftaten nicht zur Anzeige kommen." Die Gründe für nicht gestellte Strafanzeigen seien vielfältig. "Neben der Angst vor fehlender Sensibilität von Polizeibeamten, wissen viele Betroffene oftmals gar nicht, dass die erlebte Diskriminierung strafrechtlich relevant sein kann", sagt Apel. Auch bestünden in Bayern "eklatante Forschungslücken" bei dem Thema.

Berlin sei im Moment das einzige Bundesland, das jährlich Zahlen zu homosexuellen- und transfeindlicher Hasskriminalität veröffentlicht, erklärte Apel. Eine Reform der polizeilichen Erfassungssysteme sei auch in Bayern dringend notwendig, um das reale Ausmaß sichtbar zu machen.

Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte, die Angaben des LKA beruhten auf einem bundesweit einheitlichen kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität. Peter Schall, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sagte, für die Polizei sei es unerheblich, aus welcher Motivlage eine Straftat erfolge. "Das wird zwar soweit Angaben eines Tatverdächtigen erfolgen in den Ermittlungsbericht hineingeschrieben, da es ja dann für die Strafzumessung interessant ist - aber primär ist es Aufgabe des Gerichts, das auszuermitteln und zu beurteilen."

Der queerpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, Sebastian Körber, sagte am Freitag, die statistische und anonymisierte Erfassung der homosexuellen und transfeindlichen Hasskriminalität sei zwingend zu verbessern. "Zusätzlich brauchen wir aber auch digitale Anzeigeplattformen sowie Ansprechpersonen bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft." Betroffene müssten schnell und niederschwellig Taten anzeigen können. "Es ist unverantwortlich, dass die Staatsregierung noch immer keinen Handlungsbedarf sieht", so Körber.

Dass die Zahlen zuletzt stiegen, führt Apel zum einen auf eine erhöhte Anzeigenbereitschaft bei Betroffenen zurück. "Organisationen wie der LSVD versuchen seit Jahren mehr Menschen zur Anzeige von Straftaten zu motivieren", sagte er. "Ein weiterer Grund ist sicher die gesunkene Hemmschwelle von Gleichstellungsgegnern und Rechtsextremen, Minderheiten verbal und körperlich anzugreifen." Und nicht zuletzt mache mehr Sichtbarkeit eben auch angreifbarer. Schall erläuterte, dass es gerade in sozialen Medien Angriffe auf Schwule und Lesben oder anderweitig sexuell orientierte Menschen gebe.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Gleichstellung von queeren Menschen seien heute besser denn je, sagte eine Sprecherin des Familienministeriums etwa mit Blick auf die Ehe für alle. Allerdings betonte sie auch: "Wirkliche Gleichstellung wird aber erst gegeben sein, wenn sich Respekt und Akzeptanz für die Vielfalt der Lebensweisen auch in den Köpfen aller durchgesetzt haben."

Zudem verwies die Ministeriumssprecherin unter anderem auf mehr als 20 Beratungsstellen in Bayern für Menschen mit unterschiedlicher sexueller Identität und Orientierung. "Diese setzen sich vor Ort für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt ein."

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