Dieser Text stammt aus dem Familien-Newsletter der Süddeutschen Zeitung, der jeden Freitagabend verschickt wird. Hier können Sie ihn abonnieren.
Liebe Leserin, lieber Leser,
Ich gestehe Ihnen jetzt etwas: Ich bin Einzelkind. Nicht sonderlich verwöhnt, hat eine Umfrage im näheren Verwandtenkreis ergeben. Aber natürlich genoss ich als Kleinkind die ungeteilte Aufmerksamkeit meiner Familie. Als irgendwann ein erster Cousin auf die Welt kam, fand ich ihn ein paar Monate lang süß und dann zum Ausrasten nervig, weil er mit dem Polizei-Bobbycar durchs Wohnzimmer meiner Oma rollen durfte und ich nicht. (Ich war angeblich zu schwer und machte Streifen in den Teppich.)
Noch 32 Jahre später kann ich mich an den Wutanfall nach dieser Entthronung erinnern. Plötzlich nicht mehr Prinzessin, Teil 1. Die Wände erzitterten, und das nicht zum letzten Mal.
Näher als mit meinem Cousin – sorry, Timm – bin ich dem Geschwistergefühl nie gekommen. Heute habe ich selbst zwei Töchter, fünf und zwei Jahre alt, und merke, dass ich Informationen über Geschwisterkinder aufsauge wie ein Küchenschwamm die verkleckerte Frühstücksmilch. Ich will schließlich nichts falsch machen. Bei dem Versuch, mein Erfahrungsdefizit auszugleichen, stoße ich dann auf fadenscheinige Studien, die zum Beispiel behaupten, dass erstgeborene Töchter ein Leben lang unter ihrer frühen Verantwortung leiden und Mittelkinder grundsätzlich vernachlässigt werden.
Umso glücklicher war ich über das Interview meiner Kollegin Daniela Gassmann mit dem Schweizer Geschwisterforscher Jürg Frick, der viele dieser Studien kritisch einordnet. Und auch einen Text meiner Kollegin Christina Berndt, den ich kurz vor der Geburt meiner zweiten Tochter gelesen habe, versuche ich mir immer wieder in Erinnerung zu rufen. „Geschwisterstreit macht zuallererst sozial kompetent“, heißt es darin. Man kann diesen Satz sehr gut wie ein Mantra vor sich hinsagen, wenn im Kinderzimmer mal wieder geschrien, gehauen und getreten wird.
Was mir auch hilft: Mit Menschen zu reden, die selbst Geschwister haben. Das sind immerhin etwa drei Viertel der Bevölkerung. Und die erzählen dann zum Beispiel, wie sie vom großen Bruder klein gefaltet und unter den Küchenhocker gesteckt wurden. Heute verstehen sich die allermeisten trotzdem und haben gemeinsame Whatsapp-Gruppen.
Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie Geschwister? Welche Erlebnisse haben Ihre Beziehung geprägt? Und haben Sie das Gefühl, Ihre Eltern haben dabei eine maßgebliche Rolle gespielt? Schreiben Sie mir – gerne auch über Ihre Kinder und wie Sie ganz große Geschwisterstreitigkeiten lösen.
Ein schönes Wochenende wünscht,
Felicitas Kock