Geschmackssache: Britischer Pudding:Schwer verführerisch

Englische Desserts sind kompliziert, unmodern, kalorienreich und unfassbar köstlich - zu Besuch im einzigen Pudding-Club der Welt.

Wolfgang Koydl

Zunächst das Wichtigste vorweg, um Missverständnisse zu vermeiden: Mit seinem deutschen Gegenstück hat der britische Pudding nur den Namen gemeinsam. Eine schaumig-lockere Vanille- oder Schokoladenkreation aus der Doktor-Oetker-Tüte ist er nicht, sondern ein solides, seriöses und meist stopfendes Gericht mit dem Brennwert einer Voll-Mahlzeit. Leicht ist an ihm gar nichts. Nur, damit das klar ist.

Pudding England

Der britische Pudding: Mit seinem deutschen Gegenstück hat er nur den Namen gemeinsam.

(Foto: AP)

Das mag auch der Grund sein, weshalb Pudding-Maitre Steven selbst dann nicht freundlicher schaut, als er seine Gäste ermahnt, doch den Spaß nicht zu vergessen. "Wir sind schließlich nicht zur Arbeit hier, sondern zum Vergnügen", knurrt er wenig überzeugend. Das Gelächter, das ihm entgegen schlägt, ist entsprechend nervös, wie von Menschen, die gleich eine aberwitzige Achterbahn besteigen werden und nun quasi im Vorgriff Magengrimmen entwickeln.

Und einen Angriff auf den Magen planen diese 75 Männer und Frauen, die im Speisesaal des Three Way House Hotels im lieblichen Cotswolds-Dorf Mickleton nahe der Shakespeare-Stadt Stratford-upon-Avon zusammengekommen sind. Sieben Puddinge wollen sie an diesem Abend verspeisen, üppig begossen mit Sahne, Schoko-Sauce oder warmem Custard, jener sämig-süßen Vanillecreme, bei der sich bloßer Blickkontakt auf den Hüften niederschlägt.

Hier in den Cotswolds, wo Englands Landschaft postkartenenglisch putzig ist wie eine Märklin-Eisenbahn, liegt das Hauptquartier des Pudding Club, der in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiert. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die glorreiche britische Institution des Puddings zu verteidigen, die ähnlich anderen glorreichen britischen Institutionen wie Pub, Doppeldeckerbus oder Afternoon Tea akut gefährdet zu sein scheint.

Der Feind kommt auch diesmal, wie kann es anders sein, von der anderen Seite des Ärmelkanals. "Der Abstieg des Puddings begann in den 70er Jahren mit der Invasion kontinentaleuropäischer Desserts", erzählt Club-Präsident Peter Henderson über den Gründungsmythos. "Tiramisu, Profiteroles, Creme Caramel, Mousse au Chocolat", zählt er verächtlich auf. "Keiner machte sich mehr die Mühe, einen ordentlichen Sticky Toffee Pudding oder einen Banana and Cinnamon Sponge zu kochen. Zuhause gar nicht, aber auch kaum mehr in Restaurants."

Geduld plus Zeit plus zahlreiche Zutaten

Die Gründe lagen auf der Hand: Im Gegensatz zum deutschen Pudding lässt sich sein britischer Vetter eben nicht mal schnell mit etwas Pulver und Milch in einer Schüssel anrühren. Seine Herstellung erfordert Geduld, Zeit und zahlreiche Zutaten, die mitunter wirken, als ob man in Küche und Speisekammer zusammengerafft hätte, was gerade zur Hand war: Melasse und Mehl, Brotkrumen und Trockenobst, Marmelade und Eier, und in vielen Fällen, gleichsam als unverzichtbarer Kitt dieses Sammelsuriums, größere Menge Rindernierenfett. Das alles wird zusammengerührt und - entweder in einer Puddingform oder eingehüllt in einem Musselin-Tuch - gedämpft oder gekocht.

Historisch reichen die Wurzeln des Puddings ins Frühmittelalter zurück, etymologisch bis ins alte Rom - das lateinische botellus (Wurst) soll für den Pudding Pate gestanden haben. Dass englische Puddings überhaupt bis heute überlebt haben, so sagt Peter Henderson nur hinter vorgehaltener Hand, ist einem Deutschen zu verdanken. Herzog Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg, der 1714 den englischen Thron bestieg, habe sich in London voll Heimweh nach dampfenden Pudding-Gerichten verzehrt, wie sie auf den Inseln damals aus der Mode geraten waren, und brachte sie wieder auf den Tisch.

Der Rekord: 23 Puddinge an einem Abend

Streng genommen ist Hendersons Pudding Club keine geschlossene Gesellschaft mit festen Regeln, Monatsbeiträgen und einem Mitgliederverzeichnis. Eher handelt es sich um den Marketingtrick eines findigen Provinzhotels. Der Popularität indes tut dies keinen Abbruch: Jede Woche gibt es hier mindestens ein Pudding-Dinner, manchmal zwei. Bislang war, wie Henderson stolz bekräftigt, jedes dieser Abendessen praktisch ausverkauft - 25 Jahre lang.

Insgesamt 150 Puddingrezepte stehen auf der Karte: Klassiker wie Toffee Apple (mit Biskuit und karamellisierten Äpfeln), oder Jam Roly Poly (mit Himbeermarmelade gefüllte Teigrolle); leichtere Sommerkost wie Sussex Pond (mit einer Zitrone gefüllt) oder Gooseberry Fool (mit Stachelbeeren, Wein und Sahne); und Ausgefalleneres wie Pineapple Upside Down (mit karamellisierter Ananas), Summer Eton Mess (mit Erdbeeren, Baiser und Sahne) oder Rhubarb and Ginger Sponge (mit Rhabarber, Ingwer und Biskuit). Die Auswahl wechselt jede Woche, damit es auch für regelmäßig einkehrend Gästen nicht eintönig wird.

Diese Gäste reisen aus dem ganzen Land an - von Devon bis Schottland, von Wales bis Kent. Im Sommer stoßen Neugierige aus Japan Amerika hinzu, wo Anglo-Puddings viele Anhänger haben. Der Club unterhält daher jeweils eine Art von Dependance in New York und Tokio. Bewohner der weltweiten Pudding-Diaspora können sich online eindecken.

Im Saal hat sich mitunter die Aufmerksamkeit auf die Küchentür gerichtet, wo jeder einzelne Pudding des Abends nun seinen großen Auftritt hat: "Heißen Sie mit mir willkommen den Favoriten aller Zeiten, den Bread and Butter Pudding", dröhnt Stevens Stimme durch den Raum. Applaus und Löffelgetrommel auf den Tischen begrüßen die dampfende Schüssel. "Ein dreifaches Hurra für den klebrigen Toffee und Dattel-Pudding." Der ganze Saal erhebt sich von den Tischen. "Für Schokoholiker der glitschige Schokoladenpudding." Der Beifall wird frenetisch, und klingt erst wieder ab, als "Spotted Dick" angekündigt wird. "Den mag man innig oder gar nicht", gesteht Steven zu. Nur der Name der Trockenobstbombe mit Vanillesoße ruft ein schmutziges Grinsen hervor, kann ihn doch anzüglich als "pickeliger Pimmel" übersetzen.

Und zum Frühstück? Pudding!

Einen Dämpfer erhält die Begeisterung, als Steven die "Regeln und Taktiken" des Abends erklärt. Dass man Gürtel und Hosenbund lockern soll, versteht sich von selbst. Doch die Gesichter werden länger, als er mitteilt, dass jeder Esser nur einen Teller erhält, der leer gegessen werden müsse, bevor man sich die nächste Portion des nächsten Puddings abholen dürfe. "Ich schlage vor, dass Sie schon anfangs um kleine Portionen bitten", erklärt er leicht. "Der Rekord", fügt er dann hinzu, "liegt bei 23 Puddingen an einem Abend."

Der Blick, den er über die Gäste schweifen lässt, macht deutlich, dass er niemanden heute hier für fähig hält, diesen Rekord zu gefährden. Damit freilich bringt Steven Faktoren ins Spiel, die Briten stets zu Höchstleistungen anstacheln: Wettbewerb und Machismo. Verschwörerische und abschätzende Blicke wandern rings um die Tische, Hemdknöpfe werden geöffnet, Lippen geleckt und Löffel gezückt. Sieben Puddinge? Ein Klacks!

Drei Stunden später ist von Aufbruchstimmung nicht mehr viel zu spüren. Alle hängen schlaff auf ihren Stühlen. In den Tellern häufen sich Reste, viele Abstimmungskarten, auf denen man die Puddinge bewerten sollte, sind nur zur Hälfte ausgefüllt. Nur Brian aus Doncaster stolziert schon wieder vom Tresen zurück, einen vollen Teller auf dem Kopf balancierend. Es ist seine dritte Portion Lord Randall's Apricot and Marmalade Sponge, und sicher hat es ihm geholfen, sie alle mit hinreichend Alkohol wegzuspülen.

Anne dagegen ist in Gedanken schon weiter, beim Frühstück am nächsten Morgen. Full English, versteht sich: Spiegeleier, Speck, Bratkartoffeln und abermals Pudding. Black Pudding - zu deutsch: gebratene Blutwurst. Die freilich hat mit Dr. Oetkers Gala Karamell oder Schoko Mandel höchstens die Farbe gemeinsam.

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