Geschlechterdebatte um Barbiehaus:"Pink bedeutet erst mal nichts"

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Die Genderforscherin Melanie Groß lehrt als Professorin an der FH in Kiel und ist Mitbegründerin des Feministischen Instituts Hamburg. (Foto: N/A)

Da sollen aufgeklärte Kinder zu emanzipierten Erwachsenen werden - und dann das: Ausgerechnet in Berlin öffnet ein Barbiehaus, Hort weiblicher Klischees. Doch ist die rosa Hölle wirklich ein Problem? Gespräch mit Genderforscherin Melanie Groß über Stereotype und Identität.

Von Violetta Simon

Nun ist es also passiert: Berlin hat ein Barbiehaus. In dem schrillen, pinken Plastikungetüm können Mädchen sich schminken lassen und alles über das Leben einer Plastikpuppe erfahren, die physikalischen Gesetzen zufolge aufgrund ihrer überdimensionalen Brüste und der winzigen Füße umfallen würde. Doch ist das Barbiehaus wirklich nur eine Hölle in rosa - oder kann das mit dem pinken Traum funktionieren? Melanie Groß ist Professorin an der FH Kiel und lehrt Erziehungs- und Bildungswissenschaften. Die Expertin für Genderforschung ist Mitbegründerin des Feministischen Instituts Hamburg. Im Gespräch mit Süddeutsche.de erklärt die promovierte Wissenschaftlerin, warum sie selbst bei der eigenen Tochter nicht immer in der Lage ist, die Codierung der Geschlechter außer Kraft zu setzen .

SZ.de: Wirft ein Projekt wie das Barbiehaus die pädagogische und soziokulturelle Entwicklung in Sachen Gleichstellung nicht um Jahre zurück?

Melanie Groß: Dieses Projekt verwundert nicht wirklich, sondern ist als Phänomen erklärbar. Das Barbiehaus reiht sich ein in eine massive Regulierung der Geschlechter, wie wir sie täglich erleben.

Wie macht sich diese Regulierung bemerkbar?

Sie wird an vielen Stellen sichtbar: In Berufsbildern, Kinderbüchern, Werbung, Spielzeuggeschäften oder in der Kinderbekleidungsindustrie. Gehen Sie mal durch die Geschäfte: Da spitzen sich die Geschlechtersterotype zu auf Tarnfarben oder Pink - Farben, die als typisch männlich oder weiblich wahrgenommen werden. Dabei möchte ich anmerken, dass ich es problematisch finde, grundsätzlich alles, was pink, also weiblich codiert ist, abzuwerten. Schwierig wird es, wenn Mädchen und Jungs keine Möglichkeit haben, sich vielfältig zu entwickeln.

Was hält uns davon ab?

Dass uns die Gesellschaft sozial kontrolliert oder sanktioniert. Wenn sie Ihr Baby nicht rosa oder blau kleiden, werden die Leute fragen: Ist das ein Mädchen oder ein Junge? Warum ist es so angezogen? Sie müssen sich ständig erklären, wenn sie gegen die geschlechtsspezifische Kleiderordnung verstoßen. In den 80ern gab es da beispielsweise noch mehr Spielräume, da hatten Jungs oft lange Haare und Mädchen trugen auch Grün, Braun oder Dunkelblau.

Dabei haben wir uns in Sachen Gleichberechtigung doch weiterentwickelt - warum legen wir gerade jetzt so viel Wert auf geschlechtsspezifische Merkmale?

Mit der Freiheit - mehr Wahlmöglichkeiten, weniger Tradition - steigt die soziale Verunsicherung der Gesellschaft. Indem wir die Geschlechterbilder verfestigen, versuchen wir, unsere identitäre Sicherheit zu untermauern, zu verdeutlichen, wer wir sind. Andere Aspekte sind die geschlechtliche Arbeitsteilung und die Vermarktbarkeit: Die Industrie hat ein Interesse an Profitmaximierung und der Erschließung von Neukunden. In der Hoffnung, noch mehr Käufer zu finden, verkauft man dann eben pinke Überraschungseier für Mädchen und welche mit Zombies für Jungs.

Welche Rolle spielen die Eltern dabei?

Die legen den Grundstein. Wenn Eltern das Bedürfnis haben, dass ihr Kind auf der Straße als Mädchen oder Junge erkannt wird, bedienen sie sich der Attribute dieser Geschlechter und regulieren die Kinder. Die übernehmen diese Stereotype im Laufe der Zeit. Pink oder Glitzerzeug an sich bedeutet erst mal nichts, es gefällt Jungs ebenso wie Mädchen - oder auch nicht. Es hat nur eine gesellschaftliche Konnotation erfahren. Somit werden sie bei einem Jungen das Interesse für Barbies oder rosafarbene Kleidung nicht weiter fördern, es möglicherweise aus Angst um seine "Männlichkeit" sogar sanktionieren.

Ist es denn nicht so, dass Mädchen Puppen und Versorgungs-Rollenspiele lieben und Jungs Autos und Ballspiele, selbst wenn deren Eltern ihnen das bewusst nicht nahebringen?

Die Aneignung der Geschlechterrollen hat viele Facetten - vieles können wir gar nicht einfach so außer Kraft setzen. Die symbolische Repräsentation von Mann und Frau, die Lieder, die Kinderbücher, sie alle sind codiert nach einem System der kulturellen Zweigeschlechtlichkeit. Einem System, in dem klar ist, dass Frauen Krankenschwester werden und keine KFZ-Mechatronikerin. Diese Codierung ist so komplex, dass selbst ich als Feministin nicht in der Lage bin, sie vom eigenen Kind fern zu halten, zumindest gelingt es nur partiell. Es gibt beispielsweise nur wenige Kinderbücher, die eine andere Realität zeigen.

Aber wäre das überhaupt sinnvoll? Schließlich würden Ihre Kinder dann in unserer Gesellschaft nur anecken.

Das ist in der Tat ein Problem - Kinder müssen diese allgegenwärtige Codierung kennen und sich darin bewegen können. Das ist ein Drahtseilakt, weil es Faktoren gibt, auf die wir keinen Einfluss haben: Kita, Schule, Pubertät, wechselseitige Regulierung unter Kindern, Plakate mit Werbung, auf denen nackte Frauen oder Männer in Anzug zu sehen sind. Diese Faktoren zeigen ihnen, dass sie sich einen Platz in der Gesellschaft suchen müssen. Wenn sie Glück haben, wachsen sie in einem Milieu auf, das ihnen eine größere Freiheit zugesteht - etwa als Mädchen in einer Skaterkultur oder als Junge in einer Gothic-Szene, wo Weiblichkeit hochstilisiert wird. Dann haben sie die Möglichkeit, Geschlechteridentität anders zu leben.

Was, wenn Kinder auf einer einsamen Insel aufwüchsen, fern von all diesen Codierungen? Würden Jungs dann Sandburgen bauen und Mädchen sie mit Muscheln verzieren?

Ich würde die These von angeborenen Verhaltensweisen in Frage stellen. Es ist auch schwer, das zu untersuchen, weil man das Ganze immer durch die Brille der eigenen gesellschaftlichen Normen betrachten würde. Kulturanthropologen wie Ina Rösing, die in den Anden geforscht hat, kennen Völker, die bis zu zehn Geschlechter unterscheiden. Und in Argentinien kann man sein Geschlecht auf einem Amt ändern lassen. Da stellt sich die Frage, ob wir mit unserer zweigeschlechtlichen Kenntnis überhaupt in der Lage sind, zu verstehen, dass es auch Mehrfachzugehörigkeiten und nicht eindeutige Zuordnungen gibt.

Der österreichische Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung darauf hingewiesen, dass die Annäherung der Geschlechter das Aussterben unserer Kultur zur Folge hätte.

Grundsätzlich geht es nicht darum, Identitäten abzuschaffen, sondern darum, Einschränkungen aufzuheben. Es geht um Anerkennung der Vielfalt, um Kritik an dieser rigiden Zweigeschlechtlichkeit, die viele Menschen als gewaltförmig empfinden, weil sie sich verbiegen müssten, um sich einzugliedern. Die Gesellschaft muss Räume schaffen, Nischen, mehr Angebote für Männlichkeit und Weiblichkeit.

Also sollten Männer wie Frauen und Frauen wie Männer sein dürfen?

Auch das. Wir wissen, dass die Differenz im Hinblick auf Fähigkeiten, Vorlieben, Kompetenz unter verschiedenen Frauen größer ist als zwischen Männern und Frauen. Wir tun aber so, als wäre das nicht der Fall. Damit machen wir es den Menschen verdammt schwer, hineinzupassen. Ich plädiere dafür, die Vielfalt anzuerkennen. Die Profifußballerin hat ebenso ihren Platz wie die KFZ-Mechatronikerin, die Pink mag, oder eben die Verkäuferin, die vielleicht Frauen liebt. Sampeln sie das mal durch, wieviele Varianten sie da haben können.

Finden sie, dass unsere Gesellschaft genug für diese Vielfalt tut?

Nein - wenn wir Twitterbeiträge wie #aufschrei anschauen, dann wird klar, dass wir uns nicht in einem problemfreien Raum bewegen. Andererseits gibt es in der Popkultur oder bei TV-Serien mehr Angebote. In Daily Soaps etwa ist die Geschlechternormierung nicht mehr so eindeutig - da kommt inzwischen kaum mehr eine aus ohne schwules oder lesbisches Paar, das gehört einfach dazu. In "Six Feet Under" zum Beispiel ist die einzige Beziehung, die Bestand hat, die zwischen zwei Männern. Es gibt also durchaus viele Zwischentöne, die Nischen zulassen für Mädchen und Jungs.

Eine Frage noch zum Barbiehaus: Handelt es sich um einen rosaroten Traum, in dem sich Mädchen ausleben können - oder eher um eine Hölle in Pink, die haltlose Geschlechterbilder verfestigt?

Es ist beides. Für Kinder wie für uns Erwachsene, auch für mich als Geschlechterforscherin. Wenn man das ganze Pink und die abartigen Körpernormen ausklammert, ist die Installation, in der man sich dort ausleben kann, ein Traum. Zur Hölle wird es dann, wenn es das einzige Identitätsangebot ist, das wir unseren Kindern bieten.

Und, würden Sie das Barbiehaus besuchen?

In einer gesellschaftlichen Landschaft mit vielen Optionen, zum Beispiel, einer Skaterbahn, die Mädchen-Contests veranstaltet, einem Festival mit Frauenbands oder einem Programmiererinnentreffen, bin ich entspannt beim Barbiehaus. Dann kann ich da sogar durchgehen.

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