Ein Paar im Restaurant. Sie wählt Wasser und Salat, stochert auf dem Teller herum und nimmt kleine Häppchen zu sich. Er bestellt Steak, dazu ein kühles Bier und lässt es sich schmecken. Das kann man sehen - und manchmal leider auch hören. Dieses klischee-behaftete Bild bezeichnet die Ernährungs-Soziologin Monika Setzwein als "Inszenierung der Geschlechter".
Mit anderen Worten: Das unterschiedliche Essverhalten ist keineswegs nur Ausdruck eines biologischen Phänomens, sondern der Versuch, seine geschlechtliche Identität auszudrücken. Klar, dass diese Form des sozialen Settings bei einer Verabredung außer Haus eine stärkere Rolle spielt als beispielsweise unter Freunden.
"Frauen und Männer sprechen, bewegen, kleiden sich nicht nur verschieden, sie essen auch anders", sagt Setzwein. Ein typisch weibliches Gericht sei etwa der Salat mit Pute oder anderem hellen Fleisch. Er vermittelt die Information: Ich achte auf mich, ernähre mich leicht und gesund. Zur Darstellung männlicher Eigenschaften eigne sich das Holzfällersteak perfekt: Schon der Name assoziiert einen Mann, der zupacken kann, das Fleisch wird am Stück präsentiert, es ist groß, dunkel und stammt von einem höherstehenden Säugetier.
Seit sich die Auffassung von gesunder Ernährung verändert hat und vegetarische Lebensmittel immer mehr Anerkennung erfahren, verschwimmt die Differenzierung zwar zunehmend. Dennoch lassen sich die meisten Lebensmittel ganz eindeutig einem Geschlecht zuordnen.
Als weiblich gilt nach wie vor Obst mit erotischer Konnotation wie Kirschen oder Erdbeeren, aber auch Milchprodukte und Süßigkeiten - der Begriff "Naschkatze" meint fast immer eine Frau. Im Einkaufswagen eines Mannes hingegen erwarten wir Bier, Wurst, scharfe oder deftige Kost.
Von männlichem und weiblichem Fleisch
Rind und Schwein zu essen gilt also als männlich, helles - und damit "minderbewertetes" - Fleisch zu verzehren, als weiblich. Auch wenn uns diese frauenverächtliche Unterscheidung befremden mag, können wir uns von diesen geschlechtsspezifischen Zuordnungen nur schwer befreien.
Das hat historische Gründe: Als man seine Nahrung noch selbst beschaffen musste, stand Fleisch unmittelbar mit dem Vorgang des Tötens in Verbindung. "Fleisch zu verzehren, demonstrierte Macht - Macht über die Natur, über die Frau", erklärt Setzwein.
Auch wenn wir heutzutage keine Schweinehälften mehr nach Hause schleppen: Fleisch von Säugetieren wird nach wie vor höher bewertet als Fisch oder Geflügel. Es ist nicht nur teurer, sondern erfährt auch mehr Wertschätzung. Schon wegen seines höheren Eiweißgehalts wird dunkles Fleisch noch immer mit Potenz in Zusammenhang gebracht.
Warum ist das so? "Frauen achten beim Essen auf andere Kriterien als Männer", sagt Setzwein. Eine Frau wolle in erster Linie Lebensmittel, die nicht dick machen und gesund sind. Männer ließen öfter ihren Geschmack entscheiden, sie seien genussorientierter.
Dieses Verhalten ist gelernt: Untersuchungen haben ergeben, dass Mädchen und Jungen in Sachen Ernährung eine unterschiedliche Sozialisation erfahren. Jungs werden darin unterstützt, aufzuessen, mit Lieblingsgerichten bekocht, sollen groß und stark werden. Mädchen hingegen werden eher dazu angehalten, auf ihre Figur zu achten. Ein Mädchen, das ein Dessert verlangt, wirkt "maßlos" und wird schneller sanktioniert. Ein Junge, der zulangt, hat eben einen gesunden Appetit.
Die Werbung ist Schuld
Schuld an diesem Ideal ist nach Meinung der Soziologin nicht zuletzt die Werbung. In den Medien werde ein Körperbild vermittelt, das immer mehr mit unserer Ernährung in Zusammenhang stehe, sagt Setzwein. Auf diese Entwicklung haben zahlreiche Unternehmen zunächst mit Light-Produkten reagiert.
Doch inzwischen gibt es einen neuen Trend: So genannte "Genderfood"-Produkte sollen den speziellen Bedürfnissen weiblicher wie männlicher Kunden entgegenkommen. Da wäre zum Beispiel die Antifalten-Konfitüre "Norélift" aus Frankreich, der fettarme Schokoriegel "Lunabar" mit 25 Vitaminen und Mineralstoffen aus Kanada, das "Men' s and Woman' s Bread" aus den USA oder das Mineralwasser "Contrex" von Nestlé in einer weiblich anmutenden, schlanken Flasche.
Als echter Renner gilt das Diätgetränk Cola light, das seit 1983 beinahe ausschließlich von Frauen getrunken wird - die männliche Antwort, Coke Zero, ließ bis zum Sommer 2006 auf sich warten.
Der Reiz am Kalorienzählen hört beim gemeinsamen Essen allerdings auf: Begnügt sie sich im Restaurant mit Blattsalat und Wasser, demonstriert sie zwar Gesundheitsbewusstsein, verhält sich damit aber weiblicher als ihm lieb ist. Die meisten Männer finden es gut, wenn eine Frau genießen kann und sich nicht immer selbst beschneidet.
Sie assoziieren damit, dass sie auch in anderen Bereichen eine Genießerin ist. Natürlich hat alles seine Grenzen: "Mit einem herzhaften Biss in eine fettige Haxe oder ein blutiges Steak kann weder er noch sie beim anderen punkten", warnt Setzwein.
Essen und Erotik
Dass zwischen Essen und Erotik eine Verbindung besteht, ist nach Ansicht der Expertin eine Tatsache: "Abgesehen von zahlreichen Lebensmitteln mit aphrodisierender Wirkung sind beim Essen dieselben Organe wie beim Austausch von Zärtlichkeiten involviert - der Mund ist eine erogene Zone."
Und in der Kunst, etwa bei Stilleben, verkörpern Nahrungsmittel wie etwa Austern, Passionsfrüchte oder Zuckerwerk, Sinnlichkeit. Auch unsere Umgangssprache ist voll von solchen Andeutungen wie zum Beispiel "Sahneschnitte", "vernaschen" oder jemanden "zum Fressen gern haben".
Aber nicht nur was wir essen, sondern auch wie wir es tun, wird registriert: Männer und Frauen erwarten nämlich, dass das Essverhalten des anderen mit ihrem Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitsbild korrespondiert. Selbst Monika Setzwein hat da so ihre Vorstellungen: "Ich erwarte von meinem Mann, dass er jederzeit meine Reste wegputzen kann".