Geschichtsstunde:Der letzte Kaiser von China

Manches Erbe will man lieber nicht annehmen: Das Kind auf dem Drachen-Thron in der Verbotenen Stadt hatte keine Wahl.

Von Markus Mayr

Das Kind hörte nicht auf zu schreien. Es saß auf einem prachtvollen Thron in einer 35 Meter hohen Halle, bekam täglich neue Kleider aus gelber Seide. Köche kochten Tag und Nacht für es. Aber der zweijährige Aisin Gioro Puyi war untröstlich. Ihm gefiel der Rummel um seine Person überhaupt nicht. Er wollte nicht der jüngste Kaiser von China sein.

Vielleicht hatte es der Zweijährige geahnt: Grund zum Schreien gab es genug. Von der Witwe seines Onkels, des vorherigen Kaisers, war Puyi zum Nachfolger für den Drachenthron auserwählt worden.

Die Tante wollte weiter im Hintergrund die Fäden ziehen. Puyi sollte eine Art Marionette sein.

Aber nicht nur das: Der Kaiser von China lebte in der sogenannten Verbotenen Stadt - normale Menschen durften sie nicht betreten. Nicht einmal Puyis Eltern bekamen die Erlaubnis, bei ihrem Sohn im Palast zu leben. Dabei hatte der 9 000 Zimmer.

Puyi wurde im Jahre 1908 zum Kaiser von China gekrönt. Spielen durfte er wo, wann und wie lange er wollte. Er hatte Diener, Anziehfrauen, Leibärzte. "Sohn des Himmels" wurde er von seinen Untertanen genannt. Aber ohne Freunde und Familie, vollkommen abgeschottet vom Rest der Welt, fühlte sich Puyis Leben eher wie die Hölle an.

So erschien es wie eine Erlösung, als 1912 das Kaisertum in China abgeschafft wurde. Da war Puyi sechs Jahre alt. Doch es sollte noch Jahre dauern, ehe der kleine Kaiser die Verbotene Stadt und damit seinen goldenen Käfig verlassen durfte. Als er sieben Jahre alt ist, trifft er erstmals einen Gleichaltrigen. Mit 16 muss er gegen seinen Willen heiraten. Der Palast wird mehr und mehr zum Kerker. Wie sehr sich die Welt außerhalb der hohen Mauern verändert, davon bekommt Puyi kaum etwas mit.

Doch dann geht alles ganz schnell: am 5. November 1924, Puyi ist 18 Jahre alt, fordert ihn der Präsident der Republik China auf, seinen Palast innerhalb von drei Stunden zu verlassen. Puyi flieht nach Japan. Alles, was der kindliche Kaiser geerbt hatte, muss er zurücklassen. Vor allem aber: die Hoffnung, ein mal im Leben Kind sein zu dürfen.

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