Geschichte des Rauchens:Laster auf der Kippe

Das Jahrhundert der Zigarette liegt hinter uns: Ihr Aufstieg und Fall ist eine kleine Geschichte Amerikas.

Viola Schenz

Damit hat Jennie Lasher dann doch nicht gerechnet. 30 Tage Gefängnis. Dafür, dass sie in Gegenwart ihrer Kinder geraucht hatte. Aber das neue Gesetz des Staates New York kennt keine Gnade. Wer die Moral Minderjähriger dermaßen gefährdet, soll büßen.

Marlene Dietrich; Foto: Getty Images

Marlene Dietrich 1930

(Foto: Foto: Getty Images)

Wir schreiben das Jahr 1904, Amerikas erste landesweite Anti-Rauch-Bewegung überrollt den Kontinent. Schon zehn Jahre vorher hatte der Staat Washington den Verkauf von Zigaretten für illegal erklärt. Ihm folgten North Dakota, Iowa und Tennessee. Was war los? Die Progressiven waren los. Eine Bewegung von Gutmenschen und Amerikaverbesserern, die in den verkommenen, überbevölkerten Großstädten aufräumen wollten.

Land und Leute sollten geschützt werden: vor schlechten Schulen, vor unhygienischen Fleischfabriken, vor ausbeuterischen Unternehmern, korrupten Politikern - und vor dem Morast aus Alkohol, Tabak und anderem Laster. An vorderster Front marschierten Journalisten: ,,Der Abstieg Spaniens begann, als sich die Spanier Zigaretten aneigneten'', mahnte die New York Times 1884. ,,Sollte diese üble Praxis unter erwachsenen Amerikanern anhalten, steht der Untergang des Landes kurz bevor.''

Kampagnen wiederholen sich gerne. In diesem Fall exakt ein Jahrhundert später. 2003 erließ Bürgermeister Michael Bloomberg ein Rauchverbot in den Restaurants und Bars seiner Stadt. Die Wirte quittierten es newyorkisch, also rotzig, füllten knallrote Feuerwehr-Metalleimer vor ihren Kneipen mit Sand, steckten ein Schild in die Mega-Aschenbecher und schrieben drauf: Donate your butts to Mayor Bloomberg! - Spenden Sie Ihre Kippen Bürgermeister Bloomberg! Wobei Butt im Amerikanischen sowohl Kippe als auch Hintern bedeuten kann.

Moderner Tabak für modernen Krieg

Der Protest währte nicht lang. Bald gewöhnten sich Wirte und Gäste an die verordnete frische Luft. Derweil erklärte auch die andere Küste, Kalifornien, wo eigentlich der Zigarrenfreak Schwarzenegger regiert, dem Tabak den Krieg. Das rauchende Amerika geriet von den Rändern her unter Beschuss.

Dieser Tage feiern die Anti-Raucher Amerikas eine Art Zehnjähriges. Im Sommer 1997 einigten sich Politik und Tabakindustrie darauf, Nikotin-Liebhabern das Leben unerträglich zu machen. Seit dieser Zeit treibt die Bewegung die irrsten Blüten. Einige kalifornische Gemeinden, darunter Santa Monica, verbieten das Paffen an Strand und Pier, Bergkaffs wetteifern gar um den Titel ,,Smoke-free Ski Resort'', in Maryland erwogen Politiker allen Ernstes, das Rauchen im eigenen Garten zu verbieten, wenn sich Nachbarn durch den Anblick gestört fühlen. Die Geschäftsführer der Firma Weico im Staate Michigan beschließen, nur noch Nichtraucher zu beschäftigen und diesen regelmäßig auf eventuelles heimliches Qualmen hinterherzuschnüffeln.

Und wenn man die Teufelsstängel aus der Gegenwart verbannen kann, warum dann nicht auch aus der Vergangenheit? Warum nicht zum Beispiel Hollywood im Nachhinein von seinem Sündenfall befreien? Zigarettenszenen aus den Schwarz-Weiß-Filmen heraus operieren, den Qualm retouchieren? Die Frage hatte sich schnell erledigt, es wäre nicht viel Filmmaterial in den Studio-Archiven übriggeblieben. Stattdessen sollen zukünftig Filme, in denen auch Zigaretten auftreten, eben mit Pornos gleichgesetzt und für nicht jugendfrei erklärt werden.

Was für ein Absturz! Die Zigarette hatte seit den 20ern den American Way of Life geprägt, es zur Ikone des 20. Jahrhunderts gebracht. Das hatten selbst die Progressiven in ihrem Eifertum nicht verhindern können. Alles Mögliche vermasselte ihnen damals die Moralkampagnen: Krieg, Emanzen, Alkoholverbot - und Filme. Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, kippte nämlich die Stimmung gegen die Tabakaustreiber. Konnte man den Boys da drüben, 3000 Meilen fern der Heimat, wirklich ihren letzten Genuss verbieten? Wäre nicht genau das unmoralisch, geradezu kampfgeistzersetzend? Ja, wäre es.

Zigaretten wurden Teil der Truppenration, freiwillige Helfer des National Cigarette Service Committee sorgten dafür, dass die Stängel demokratisch gerecht und kostenlos an die Einheiten verteilt wurden. ,,Tabak mag zwar keine Lebensnotwendigkeit sein'', meinte die New York Times im Mai 1918, ,,aber er macht die Entbehrungen des Kriegs erträglicher als alles andere.'' Das Tabak-Unternehmen Bull Durham war sofort mit einem Werbeslogan zur Stelle: ,,When our boys light up, the Huns will light out.'' Eine halbe Million Boys kehrte bald von jenen Entbehrungen in Europa zurück. Wer vorher nicht nikotinsüchtig gewesen war, jetzt war er es.

Zigaretten waren wie geschaffen für den Schützengraben: immer greifbar, leicht zu handhaben, schnell zu genießen - ,,moderner'' Tabak für ,,modernen Krieg'', schreibt der Medizinhistoriker Allan Brandt in seinem gerade erschienenen 600-Seiten-Monumentalwerk ,,The Cigarette Century''. Da traf es sich gut, dass Amerika moderne Zeiten ins Haus standen, und James Bonsack spät, aber immerhin von ihnen profitierte. Der Tüftler aus dem Tabak-Staat Virginia hatte sich 1881 seine automatische Zigarettenrollmaschine patentieren lassen. Sie verwandelte unförmige Tabakblätter leicht in ein massenkonsumkompatibles Produkt - praktisch, billig, trendig.

Nur Vorgestrige zogen sich danach noch mit zeitraubenden Zigarren in ihre Raucherzimmer zurück, lediglich Hinterwäldler kauten Tabak und spuckten ihn aus. Die Zigarette stand für den öffentlichen Genuss-Quickie im Hier und Jetzt der urbanen Golden Twenties - an der Bushaltestelle, in der Fabrikpause, an der Ladentheke. Sie stand für sozialen Fortschritt. Niemals wieder sollte einer Jennie Lasher Gefängnis drohen, nur weil sie sich als Frau mal eine angesteckt hatte. Hier schlug die Stunde des Edward Bernays.

Bernays entdeckte früh sein Marketingtalent - und das immer mächtiger werdende Konsortium British American Tobacco entdeckte Edward Bernays. Der benannte ihr Produkt kurzerhand in Freiheitsfackel um. Mit dem Appell ,,Frauen! Zündet noch eine Freiheitsfackel an! Frauen! Bekämpft das nächste Sextabu!'' startete das PR-Genie den ersten Werbefeldzug für die erste weibliche Zigarettenmarke. Aus Suffragetten machte er Flapper: Mehrere Dutzend bezahlte Demonstrantinnen staksten am Ostersonntag 1929 skandalträchtig New Yorks Fifth Avenue runter und pafften Lucky Strikes.

Laster auf der Kippe

Hollywood war Feuer und Flamme

Die Zigarette triumphierte über die sozialen Muster. ,,Eine gewaltige Barriere zwischen den Geschlechtern war eingebrochen'', notierte der Historiker Frederick Lewis Allen 1931. ,,Die Sitte, sie nach dem Dinner zu trennen, wurde zu einem leeren Ritual. Gastgeber, die ihren männlichen Gästen Zigarren bereitgestellt hatten, fanden diese unberührt.'' Männer rauchten jetzt lieber zusammen mit den weiblichen Gästen - und diesen frechen, kleinen, schlanken Dingern, diesen Zigaretten. Wo könnte man auch eleganter anbandeln als bei der Bitte um Feuer? Während der Prohibition, als Amerika nur heimlich oder vor Augen korrupter Polizisten soff, übernahmen Zigaretten in der Öffentlichkeit die Rolle des Alkohols. Statt anzustoßen zündete man sich eine an. Niemand profitierte mehr vom Alkoholverbot als Mafia und Tabakkonzerne wie Big Tabacco.

Ein anderer von Bernays Geniestreichen ließ die Zigarette Filmkarriere machen. ,,Man kann mit einer Zigarette eine Menge sagen, was man sonst nur mit sehr vielen Worten ausdrücken kann'', schrieb er Regisseuren und Produzenten. Seine Idee: die Zigarette zum Teil des Drehbuchs machen. Der Held, der sich eine anzündet, um sich besser in Szene zu setzen vor dem entscheidenden Gespräch mit seinem zukünftigen Schwiegervater. Der Schurke, der hastig ein paar Züge nimmt, um Nervosität zu vertuschen. Der Spieler im Casino, der seine letzten Tausend auf eine Karte setzt und verliert - und die Zigarette fällt unangezündet aus der zitternden Hand. Ein rauchendes Paar im Bett - und dem Filmpublikum war klar, was der Szene vorausgegangen war. Hollywood war Feuer und Flamme.

Humphrey Bogart mit Malteser Falke, aber ohne Zigarette? Undenkbar. Von Marlene Dietrich, Bette Davis bis Gloria Swanson - Filmdiven und blauer Dunst wurden eins. Zur Mitte des Jahrhunderts listete das große Kulturmagazin Atlantic Monthly Affekte und Emotionen auf, die eine Zigarette auf Bühne und Leinwand als Requisite erzielen konnte. Es war die Hochzeit amerikanischer Rauchkultur: Fernsehmoderatoren, die nicht nur darauf bestehen, dass sie selbst, sondern auch ihre Gäste mit Kippen vor laufende Kameras treten. Ärzte, die in TV-Spots und auf Billboards zwischen Kindern sitzen und sagen: ,,Ärzte rauchen mehr Camels als jede andere Zigarette!''

Die erste umfassende Studie, die 1950 den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs herstellte, blieb in dermaßen ekstatischen Zeiten nahezu unbeachtet. So konnten sich führende Zigarettenproduzenten auch drei Jahre Zeit lassen, bis sie mit einer lässigen PR-Kampagne jeglichen Zusammenhang bestritten. Amerikas Rauchseligkeit ging weiter, knapp die Hälfte der Erwachsenen zündete sich regelmäßig eine an, als 1964 ein zweiter Bericht aus dem Gesundheitsministerium die Politiker diesmal Warnhinweise auf den Packungen vorschreiben ließ.

Diesmal reagierte Big Tobacco prompt: Seine PR-Strategen erweiterten die Brigade der Lobbyisten auf dem Kapitolshügel in Washington, sie führten Filter ein und ,,Lights'' und Werbekampagnen mit dem Marlboro Man oder Joe Camel, die Lebensgefühle verbreiten sollten und amerikanische Uralttugenden - Freiheit, Individualismus, Unabhängigkeit.

Heute sind's die Schokoriegel

Ein Drittel der Amerikaner qualmte sich durch die Achtziger und Neunziger, als Interna nach draußen sickerten: Jahrzehntelang hatten Tabakproduzenten eigene Studien über die Suchtgefahr von Nikotin verheimlicht und außerdem ihre Marken mit Extranikotin angereichert, um ihren Konsumenten ,,vollen Genuss'' zu garantieren, also sie noch abhängiger zu machen.

Die ersten Kettenraucher, Lungenkrebskranken und Hinterbliebenen reichten Klagen gegen die Konzerne ein, ganze Bundesstaaten schlossen sich an. 1997 einigen sich beide Seiten auf einen Vergleich: Die Bundesstaaten ziehen ihre Klagen zurück, die Konzerne zahlen ihnen in den folgenden 25 Jahren 246 Milliarden Dollar für die Krankenkassenkosten, die das Rauchen ihrer Bürger verursacht haben. Sie verpflichten sich außerdem, Zigarettenautomaten abzubauen und fast jegliche Tabakwerbung einzustellen. Nach dem Milliardendeal stieg der Preis pro Packung um 45 Cents. Der Marlboro Man - zwei seiner Darsteller waren in der Zwischenzeit an Lungenkrebs gestorben - wurde aus Marlboro Country vertrieben, aus dem Land, dessen wirtschaftlicher Aufstieg vor einem halben Jahrtausend mit dem Tabakanbau begann.

Anstelle von Zigarettenautomaten locken jetzt also Süßigkeiten-, Limo- und Kaffeeautomaten. Die Industrie lässt das kalt. Egal, in welche Maschinen die Leute ihre Münzen stecken - die Chance ist groß, dass ihr Geld am Ende beim selben Empfänger landet: Philipp Morris, der größte Hersteller von Tabakwaren, gehört zum Altria-Konzern, und zum Altria-Konzern gehört - wenn auch des besseren Images wegen inzwischen ausgelagert - Kraft Foods, der weltweit zweitgrößte Nahrungsmittelhersteller vor allem von Snacks, Schokoriegeln und Fertiggerichten.

Früher kam man nicht ohne Fluppe aus, heute nicht ohne Latte Macchiato-to-go-Pappbecher. Es kann schon sein, dass auch das auf Lungen, Leber und Herz schlägt oder fett macht. Prohibition und Gesundheitskampagnen mögen kommen und gehen, aber die Unternehmen, die diese unsere Lust zu befriedigen wissen, bleiben - genauso wie unser innerer Schweinehund.

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