Geschichte des Kaufhauses:Paläste für den Kaufrausch

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Alles unter einem Dach: Eine kurze Geschichte des Kaufhauses, das den Laufsteg der Mode demokratisiert hat

Alexander Jürgs

Mouret hatte nur eine einzige Leidenschaft: sich der Frau unterwerfen. Er wollte, dass sie in seinem Haus Herrscherin sei, er hatte ihr diesen Tempel erbaut, um sie dort in seiner Gewalt zu haben. Seine ganze Taktik bestand darin, sie mit galanten Aufmerksamkeiten zu benebeln, einen schimpflichen Handel mit ihren Begierden zu treiben, die Verwirrung ihrer Sinne auszunutzen."

Harrods: Paradebeispiel eines Kaufrausch-Palastes (Foto: Foto: AP)

So beschreibt Emile Zola den Kaufhausdirektor Octave Mouret, Protagonist seines Romans "Das Paradies der Damen". Der Roman, 1883 erschienen, war das erste literarische Werk, das sich dem damals neuen Phänomen des Kaufhauses widmete. Der Lebemann Mouret regiert über das "Paradies der Damen", ein neuartiges und prächtiges Pariser Warenhaus, das die Kunden verzaubert. Die Konkurrenz, die Einzelhändler mit ihren Spezialgeschäften, treibt es in Verzweiflung oder in den Ruin.

Aus der Perspektive der einfachen Verkäuferin Denise Baudu berichtet Zola beeindruckend bildreich vom Aufstieg der neuen Konsumtempel, von in Rauschzustände verfallenen Damen, deren Gier nach Neuheiten und Luxus unstillbar ist, vom Glamour der fein dekorierten Schaufenster, den großzügigen Verkaufsflächen und bequemen Aufzügen oder von Klatsch und Fehden in den Rayons, den einzelnen Abteilungen des Hauses. Das Kaufhaus erscheint in Zolas Roman wie ein erster Windstoß der Moderne, der das urbane Leben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durcheinanderwürfeln wird. Der Kaufhausdirektor, der große Lenker dieses neuen Unternehmens, wird zum universellen Verführer der Frauen: Wenn es ihm gelingt, die Damenwelt in verrückten Aufruhr zu versetzen, wird sich sein Haus ganz automatisch in eine Goldgrube verwandeln.

"Geile Straße des Handels"

Den Octave Mouret aus Zolas Roman gab es tatsächlich: Aristide Boucicaut hieß der innovative Unternehmer, der das revolutionäre Konzept des Kaufhauses erfunden hat. 1852 war Boucicaut Teilhaber im Bon Marché geworden, einem typischen kleinen Laden für Schnitt- und Kurzwaren im Pariser Quartier Latin. Schon bald krempelte er dort gehörig um: Für seine Produkte führte er feste Preise ein, von den Kunden verlangte er im Gegenzug Barzahlung. Bislang war das Feilschen fester Bestandteil jedes Einkaufs gewesen, bei dem der gesellschaftliche Stand des Käufers das Anfangsgebot bestimmte. Im Bon Marché dagegen zahlte nun jeder den gleichen Preis, der im Durchschnitt erheblich niedriger als bei den Konkurrenten lag. Um den Umsatz zu steigern, hatte Boucicaut seine Gewinnspanne von 40 auf 20 Prozent gesenkt. Im Wettkampf um Kunden arbeitete er auch mit augenscheinlichen Verlustgeschäften - als Lockmittel.

Davon erzählt auch Zola: In seinem Roman schildert er einen Disput zwischen Mouret und einem Rayonchef, der sich weigert, den Preis für eine edle Seide weiter zu reduzieren. "Wir werden ein paar Centimes an diesem Artikel verlieren, das gebe ich zu. Und weiter?", fragt der Direktor seinen Angestellten. "Es ist wohl ein großes Unglück, wenn wir alle Frauen anlocken und sie, verführt, toll gemacht von der Unmenge unserer Waren, uns auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind und, ohne zu rechnen, ihre Geldbörsen leeren! Die Hauptsache, mein Bester, ist, dass sie Feuer fangen, und dafür braucht man einen Artikel, der gefällt, der Aufsehen erregt."

Aristide Boucicaut brach auch mit dem Kaufzwang, der in den Magasins auf subtile Weise herrschte: Wer ein Geschäft betrat und sich beraten ließ, verpflichtete sich unausgesprochen zum Kauf. Bei Boucicaut wurde niemand zum Konsum gezwungen. Mehr noch: Der Unternehmer führte das Umtauschrecht ein. Was nicht gefiel, durfte wieder zurückgebracht werden. Die Pariser waren von den Innovationen begeistert und überrannten den Laden förmlich. Vom Erfolg befeuert, träumte Boucicaut davon, unter einem Dach Mode, Düfte, Haushaltswaren, Möbel, Lebensmittel und auch Literatur zu vertreiben. Für dieses Geschäft brauchte er Raum. 1869 begann er mit dem Bau des imposanten Warenhauses Au Bon Marché, für das Gustave Eiffel das Eisengerüst entwarf und das später einen kompletten Straßenblock füllen sollte. In diesem Haus hat Emile Zola recherchiert, als er "Das Paradies der Damen" schrieb.

Von Paris aus begibt sich das Kaufhaus auf seinen Siegeszug durch Europa und die Vereinigten Staaten. In London, Brüssel, Amsterdam, in Chicago und New York eröffnen neue Konsumpaläste. Macy's, Bloomingdales und Harrods erblicken die Welt. Die Größe der Häuser und die Anzahl der Mitarbeiter werden immer beachtlicher, genauso wie die Vielfalt der Waren zunimmt. Das Diktum "Alles unter einem Dach" wird zum Motor des Handels. Ein Witzbold kommt auf die Idee, bei Whiteley in London einen Elefanten zu bestellen, Lieferung bitte am selben Tag - und wird am Nachmittag prompt mit einem Exemplar des Dickhäuters überrascht.

Burn Warenhaus, burn

Das "Meat&Fish Hall" bei Harrods ist für unentschlossene Käufer nicht das richtige Pflaster. (Foto: Foto: AP)

Was die Häuser zu bieten haben, zeigen sie, kunstvoll und nach strengen Choreographien in Szene gesetzt, in ihren Schaufenstern. Dabei hat die Verbreitung des elektrischen Lichts einen enormen Anteil an Erfolg und Anziehungskraft der neuen Häuser. Abends versammelt sich vor den hell erleuchteten Scheiben "eine vor Begehrlichkeit rücksichtslose Masse" (Zola), um staunend die vornehmen Kleider, exotische japanische Kimonos oder prächtiges Tafelsilber in Augenschein zu nehmen. Diese Magie des Lichts machen sich die Kaufhäuser bis heute zunutze: Die Harrods-Fassade wird seit Jahrzehnten von beinahe 12 000 Glühbirnen erhellt, von denen die Haustechniker täglich bis zu 300 Stück auswechseln müssen. Und auch das 1996 fertiggestellte Berliner Luxuskaufhaus Quartier 206 der New Yorker Architekten Pei, Cobb, Freed & Partners verdankt einen Großteil seiner architektonischen Ausstrahlung den illuminierten Lichtbändern, die die im expressionistischen Stil entworfene Fassade des Hauses durchziehen.

In Deutschland ist das moderne Warenhaus mit Verzögerung erwacht - und in der Provinz: In der Hansestadt Stralsund eröffnen die jüdischen Kaufleute Georg Wertheim und Leonhard Tietz 1875 und 1879 die ersten, noch sehr bescheidenen Kaufhäuser nach den Prinzipien von Boucicaut. Spektakulär werden die Häuser allerdings erst, als sich die ersten Händler auf das Wagnis Berlin einlassen. In der Hauptstadt lässt Georg Wertheim sich von Adolf Messel ein überdimensionales Haus nach amerikanischem Vorbild erschaffen, mit einem riesigen Lichthof und modernen Aufzügen, mit Stilzitaten aus Antike, Barock und Renaissance und einem Teesalon.

1897 wird das Kaufhaus Leipziger Straße mit einem Festakt eröffnet und bis 1912 zu Europas größtem Warenhaus ausgebaut. 3200 Verkäufer und "Ladenfrolleins" beschäftigt Wertheim. Der liberale Politiker und spätere Außenminister Gustav Stresemann schwärmt 1900: "Wenn man heute in der Familie hört: Wir gehen zu Wertheim, so heißt das nicht in erster Linie, wir brauchen etwas besonders notwendig für unsere Wirtschaft, sondern man spricht wie von einem Ausfluge, den man etwa nach irgend einem schönen Orte der Umgebung macht." Dank der neuen luxuriösen Warenhäuser war Einkaufen zum Ereignis geworden, zur Vergnügung des selbstbewussten Bürgertums.

Das Kaufhaus bot die perfekte Kulisse zum Flanieren, mehr noch als seine Vorgänger, jene Passagen, die der Philosoph Walter Benjamin bereits als "geile Straße des Handels" charakterisiert hatte.

Übertroffen wird der Wertheim-Bau von 1907 an vom Kaufhaus des Westens, das Johann Emil Schaudt für den Kaufmann und Kommerzienrat Adolf Jandorf plante und umsetzte. Auch hundert Jahre nach seiner Entstehung gibt es in Deutschland wohl keinen besseren Ort als das KaDeWe, um sich in den Taumel der Kauflust zu stürzen. Die imposanten Lichthöfe, die Aura des Vergangenen, die riesige Abteilung für Düfte im Erdgeschoss und ganz besonders die Opulenz der Feinschmeckerabteilung überwältigen bis dato die Sinne des Besuchers. Noch immer grüßt ein livrierter Portier die Kunden. 60 000 kommen täglich, in der Zeit vor Weihnachten sogar 100 000. Anerkennend muss man konstatieren: Dem KaDeWe glückt der Spagat aus Warenhaus und Luxusshopping, aus modernem Shop-in-Shop-Konzept und Erinnerung an die Goldenen Zwanziger Jahre.

Einzug der Hippie-Kultur

Das Ende der Weimarer Republik bedeutet eine jähe Zensur in der deutschen Kaufhausgeschichte. Ihre laut proklamierte Forderung, die aus "unersättlicher Machtgier" entstandene "jüdische Erfindung" Kaufhaus komplett zu vernichten, setzen die Nazis zwar nicht um, die jüdischen Eigentümer werden aber nach und nach enteignet. Auch dass sich viele der Händler in den zwanziger Jahren haben taufen lassen (die Gedächtniskirche wurde in der jüdischen Gemeinde Berlins als "Taufhaus des Westens" verspottet), schützt sie nicht vor der rabiaten Arisierungspolitik der neuen Herrscher. Das Kürzel KaDeWe übersetzen die Nazis nun so: "Kauft deutsche Wertarbeit". Dann setzt der Bombenkrieg den Prachtbauten zu: Sowohl das KaDeWe wie auch Wertheim am Leipziger Platz werden stark zerstört, letzteres 1956 sogar komplett abgerissen.

Das Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre kurbelt den Konsum schnell wieder an. Am Ende des Jahrzehnts beschenkt Egon Eiermann die Republik mit seinen avantgardistischen Bauten für den Horten-Konzern in Heidelberg, Heilbronn und Stuttgart: Mit dem legendär gewordenen Reliefmuster der Fassade erschafft er für Horten ein markantes Logo und prägt eine ganze Generation junger Architekten.

In den Sechzigern und Siebzigern zieht die Gegenkultur der Hippies in die Warenhäuser ein, Schaufenster werden zu halluzinogenen Erlebniswelten, die Demokratisierung der Mode schreitet voran. Mary Quant zeigt ihre Miniröcke im KaDeWe, Andy Warhol entwirft Plakate für Macy's in New York. Eine Gruppe junger Revoluzzer versteht diesen Spaß überhaupt nicht: Mit seiner Entourage legt der ironischerweise stilbewusste und narzistische Dandy Andreas Baader in zwei Frankfurter Kaufhäusern Feuer. "Burn, Warehouse, burn" war die von der Berliner Kommune I verbreitete Parole, die die angehenden Linksterroristen in die Tat umsetzten und die ,,jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen)'' vermitteln sollte.

Die Krise der Achtziger

Eine schwere Krise der Kaufhäuser nimmt in den späten achtziger Jahren ihren Anfang. Die Häuser ächzen unter der Konkurrenz der auf der grünen Wiese hochgezogenen Malls. Noch stärker aber setzt der Aufstieg günstiger Modeketten wie H&M und später Zara und Mango, die eine junge Käuferschicht an sich binden, den Traditionsunternehmen zu. 2004 kollabiert Karstadt beinahe.

Und heute? Heute ist ein Wendepunkt erkennbar, eine neue Begeisterung für Shoppingwelten zu spüren, die den Hauch von Luxus atmen. Dabei tritt endlich auch wieder die Architektur ins Rampenlicht. Jean Nouvel hat für die Galeries Lafayette, die auf der Berliner Friedrichstraße 1996 ihre einzige Filiale außerhalb Frankreichs eröffnet haben, einen eindrucksvollen, düster anmutenden Koloss erschaffen, der mit einer "gespiegelten", gläsernen Kuppel im Inneren verblüfft.

In der Kölner Schildergasse raubt einem Renzo Pianos Modekaufhaus für Peek & Cloppenburg (die in den vergangenen Jahren auch Gottfried Böhm, Richard Meier oder Josef Paul Kleihues für sich haben entwerfen lassen) den Atem: Die gewölbte Fassade aus Glas, Holzstreben und Metall, die die Verkaufsräume umhüllt, strotzt vor Eleganz und verpasste dem Gebäude den Spitznamen "Gürteltier". Ein funkelndes Wunderwerk, das alte Bausubstanz und kühle, zeitgenössische Architektur zu verbinden weiß, sind die von Herzog & de Meuron für München geschaffenen Fünf Höfe. Das aufregendste Kaufhaus der Jetztzeit aber steht in Birmingham. Hier hat das Londoner Büro Future Systems für Selfridges ein silbern glänzendes Meisterwerk der Blob-Architektur erbaut. 15 000 Aluminiumknöpfe verwandeln die Gebäudehaut in ein Paillettenkleid, das nicht nur zufällig an Paco Rabanne denken lässt.

Ganz ungeschminkt und rau erscheinen dagegen die Läden von Andreas Murkudis, die sich in einem Hinterhof in der Münzstraße in Berlin-Mitte verstecken. Trotzdem könnte gerade hier die Zukunft der Kaufhäuser liegen. 2002 hat Murkudis seinen ersten Laden eröffnet, im Jahresrhythmus folgten ein Geschäft für Frauen, ein Laden für Retro-Unterwäsche von Schiesser und ein Acne-Shop. Ein Schild, das den Weg in den Hinterhof zeigt, gibt es erst seit vier Wochen. Murkudis verkauft nur, was "ich selbst liebe": Das sind zum Beispiel Strickpullover von Margiela, feine Anzüge aus dem Atelier seines Bruders Kostas Murkudis, schlichte Holzmöbel von E15, Nymphenburger Porzellane, Reisetaschen von Felisi oder exklusiv für ihn angefertigte Stiefel von Ludwig Reiter. Und die herrliche Bitterschokolade aus der Manufaktur von Erich Hamann. Die Produktpalette ist genauso groß wie in den Warenhäusern, die Auswahl aber beschränkt sich auf wenige Marken . "Den spezialisierten Minikaufhäusern gehört die Zukunft", behauptet Murkudis ganz selbstbewusst.

Concept Stores werden diese Kaufhäuser en miniature meistens genannt, Colette in Paris oder 10 Corso Como in Mailand sind die globalen Stars des Genres. "Mir ist der Begriff zu anmaßend. Schließlich hat auch der Fußmassagesalon um die Ecke ein Konzept. Ich fände es auch albern, iPods oder Handys zu verkaufen, nur weil es gerade angesagt ist", sagt Murkudis, der dunkle Jeans, Schießer-Unterhemd und eine randlose Brille trägt. Statt auf neuste Trends wie bei Colette oder dessen Berliner Imitat The Corner setzt er auf Handwerk und zeitloses Design. Seine Mitarbeiter erhalten "ein ordentliches Gehalt'', aber keine Provisionen, damit sie die Kundschaft nicht zu Einkäufen drängen. "Ich setze auf bewusste Leute als Kunden, die sich jeden Kauf zwei- oder dreimal überlegen. Die neureiche ,Kostet mich ja nichts'-Mentalität trifft bei mir auf keine Gegenliebe." Mit diesem Konzept ist Murkudis erfolgreich und hat eine treue Käuferschaft aus "Künstlern, Galeristen und Schauspielern" gewonnen. Wie zum Beweis erscheint in diesem Moment der Neo-Geo Künstler Gerwald Rockenschaub im Laden, den Murkudis freundschaftlich begrüßt. Andreas Murkudis steht für einen neuen Unternehmergeist, dem man, auch in den großen Kaufhauspalästen, viele Nachahmer wünscht.

© SZ vom 8./9.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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