Geschichte des Heiratens:Strenges Eheglück

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Heiraten ist heute einfach wie nie. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

So leicht wie heute war Heiraten noch nie - und auch nicht so unbeliebt. Ein neues Buch beschreibt die Geschichte der Ehe seit der Romantik. Das ist interessant und lehrreich, aber auch so wertfrei, dass es mitunter wehtut.

Von Johan Schloemann

In englischen und amerikanischen Publikationen ist man peinlichst bemüht, ein Statement of interest abzugeben, also mögliche Interessenskonflikte offenzulegen. Da gibt dann zum Beispiel ein Kritiker an, dass er mit dem Autor des besprochenen Buches früher mal im selben Institut gearbeitet hat oder Ähnliches. Die Transparenz soll zeigen, dass der Autor trotzdem ganz unbefangen über das jeweilige Thema schreiben kann.

Die Historikerin Monika Wienfort hat ein Buch über die Ehe geschrieben. Aber sie hat keine Befangenheitserklärung abgegeben. Diese müsste lauten: "Die Autorin ist verheiratet." Ja, sie hat sich sogar zusammen mit ihrem Mann, dem Historiker Paul Nolte, vor einigen Jahren in dem Buch "Powerpaare: Mit Kindern sind wir stärker" porträtieren lassen. Dass Monika Wienfort aber jetzt im Klappentext und im Vorwort ihres neuen Ehe-Buches den Familienstand unerwähnt lässt, das drückt zweierlei aus. Erstens die zunehmende Unabhängigkeit der Frau vom Mann, die dieses Buch als geschichtliche Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert beschreibt. Und zweitens ist es offenkundig Teil einer Bemühung um Objektivität, die das ganze Buch bestimmt.

Vierzig Prozent aller Haushalte hierzulande sind Ein-Personen-Haushalte

Vielleicht gerade deswegen, weil Monika Wienfort gewisse Vorzüge der Ehe erkennt - und sie muss persönlich welche erkennen, sonst wäre sie ja nicht verheiratet -, gerade deswegen hat sie kein flammendes Plädoyer geschrieben, sondern eine kühle sozialhistorische Bestandsaufnahme von der Epoche der Romantik bis zur Gegenwart, wie sie es ihrer wissenschaftlichen Berufsehre zu schulden meint. An den psychosozialen Diagnosen und Debatten, die immer wieder leidenschaftlich werden, wenn es um Partnerschaft, Erziehung, Gleichberechtigung und die Single-Gesellschaft geht, an der Erklärung dessen, was man den "emotionalen Kapitalismus" unserer Zeit genannt hat, mag sich die Autorin nicht beteiligen, obwohl ihre Untersuchung bis in die Gegenwart reicht. Lieber liefert sie dafür nur, sagt sie, eine "Grundlage".

Daher ist das jetzt erschienene Buch "Verliebt, verlobt, verheiratet" sehr interessant und lehrreich, aber auch so wertfrei, dass es mitunter weh tut. Immerhin geht es in den verschiedenen Abschnitten auch um Themen wie "Wohnen", "Hochzeitsnacht" und "Geburt". Die Zurückhaltung in der Darstellung führt aber dazu, dass die ideologischen, weltanschaulichen Kämpfe, die sich nicht erst seit "Achtundsechzig" und der "sexuellen Revolution" um Ehe und Emanzipation drehen, weitgehend ausgespart werden. Der Name Simone de Beauvoir kommt zum Beispiel in diesem Buch nicht vor.

Stattdessen konstatiert es nüchtern die Ergebnisse jener Kämpfe und sozialen Veränderungen: Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden. Immer mehr Paare heiraten erst gar nicht. Und immer mehr Leute werden erst gar nicht ein Paar: Vierzig Prozent aller Haushalte hierzulande sind Ein-Personen-Haushalte. Noch gibt es 18 Millionen Ehepaare in Deutschland, aber auch schon 2,7 Millionen alleinerziehende Elternteile. Während das Verheiratetsein einst mit bestimmten Lebensvollzügen eng verknüpft war, so haben sich diese Verbindungen inzwischen bei vielen aufgelöst: Ehe und Kirche, Ehe und Sex, Ehe und Kinder, Ehe und Patriarchat. Weitere solche Entkoppelungen lassen sich feststellen, zum Teil schon seit Jahrzehnten: Der Besitztransfer zur nächsten Generation etwa hat sich von der Mitgift und Aussteuer zur Erbschaft verlagert. Und unverheiratete Frauen heißen nicht mehr "Fräulein".

Aus heutiger Sicht kann man die Lehre von ungefähr zweihundert Jahren Ehegeschichte, die Monika Wienfort durchmisst, so zusammenfassen: Gerade jetzt, wo es leichter denn je ist zu heiraten, erscheint es vielen nicht mehr attraktiv. Früher hingegen gab es viel mehr Hindernisse. In den Unterschichten fehlten vielen die Mittel dazu, dem "Gesinde" auf den Höfen war die Heirat oft untersagt. Bei Bauern und Arbeitern erzwang dann oft eine Schwangerschaft eine Eheschließung, oft aber auch nicht, trotz Ermahnungen der Kirchen. Ehen zwischen den christlichen Konfessionen blieben lange schwierig bis unmöglich, eine gemischtkonfessionelle oder gar ökumenische kirchliche Trauung gab es bis vor kurzem nicht. Lange Zeit waren auch Ehen zwischen Christen und Juden verboten oder eingeschränkt. Und es gab die Grenze zwischen Adel und Bürgertum. Dort, wo die adligen Familien die Heirat mit Bürgerlichen ablehnten, blieben die Frauen nicht selten als "alte Jungfern" im "Tantenflügel" des Schlosses sitzen.

Monika Wienfort: Verliebt, verlobt, verheiratet. Eine Geschichte der Ehe seit der Romantik. Verlag C. H. Beck, München 2014. 336 Seiten, 24,95 Euro. (Foto: N/A)

Heute ist der Zwang zur "standesgemäßen" Partnerwahl formal verschwunden, dafür stehen aber der Ehe mehr und mehr selbstgesetzte Standards im Wege, ökonomische wie emotionale. Zuerst das Wirtschaftliche, das Wienfort von den Annoncen des 19. Jahrhunderts bis zu den Partnerbörsen im Internet verfolgt: Wer heute einen Partner fürs Leben sucht, achtet immer noch auf soziale Parität, ja sogar in gesteigerter, verfeinerter Weise: "Nicht auf das Jahreseinkommen, sondern auf den Lebensstil, über dessen ökonomische Grundlagen allerdings keine Täuschung möglich ist, richtet sich der Fokus."

Auch heute achtet auf soziale Parität, wer einen Partner fürs Leben sucht

Zu diesen ökonomisch-habituellen Filtern kommen die gewachsenen Ansprüche in Gefühlsfragen, an sich und andere: Sie lassen oft gar nicht erst zu, dass die Mischung aus Liebe und Geduld, Wagnis und Rücksichtnahme, die eine langjährige, verbindliche Beziehung bedeutet, sich entfalten kann. Wienfort verweist auf die nachhaltige Wirkung der Idee der Liebesheirat, die in der romantischen Literatur um 1800 zwar nicht, wie man gern übertrieben sagt, erfunden, aber doch zu einem bürgerlichen Ideal gesteigert wurde. Dieser Liebesimperativ, erotisch wie ideell motiviert, hatte in der Moderne eine janusköpfige Wirkung: einerseits eine gesteigerte Hochschätzung der Ehe und der häuslichen Einrichtung, andererseits im Wunsch nach Intensität auch eine Tendenz zur Auflösung. Sören Kierkegaards "Entweder-Oder" enthält beides: das "Tagebuch eines Verführers" ebenso wie ein schönes Lob der ehelichen Gewohnheit, in der sich "immer Hoffnung und Erinnerung miteinander verbinden". Diese Zweiseitigkeit wirkt weiter - was auch heißt, dass glückliche Ehen trotz allem heute möglich sind. (Hier muss allerdings auch der Rezensent seine Befangenheit erklären.)

Aus Monika Wienforts geschickt gegliedertem Buch erfährt man viel Wissenswertes, chronologisch geordnet von der Partnersuche bis zur Verwitwung, vom Heiratsantrag über den Polterabend bis zur Schwiegermutter und zum Scheidungsrecht. Manches, was heute traditionell erscheint, sind in Wahrheit recht junge Erfindungen des Industriezeitalters: das ganz weiße Hochzeitskleid etwa und die Hochzeitsreise. Dazwischen geschaltet sind fünf berühmte Beispielpaare, die vielleicht nicht allzu exemplarisch sind, aber doch einiges über virulente Anschauungen verraten, darunter auch Thomas Mann mit seiner notorischen, nicht ganz unpersönlichen Beschreibung der Ehe als "strenges Glück". Mit dieser Formel ist denn auch das Vergnügen, das man an diesem Buch hat, recht gut beschrieben.

© SZ vom 01.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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