Geschichte der Hebammen:Als Heilige verehrt, als Hexen verteufelt

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Es geht um ihre Unabhängigkeit, ihren Ruf und nicht zuletzt ums Überleben ihres Berufsstandes. Die Hebammen führen in der derzeitigen Gesundheitspolitik einen zähen Kampf. Mal wieder - denn leicht hatten es die Geburtshelferinnen im Laufe der Geschichte nie. Über einen der ältesten Frauenberufe der Welt.

Charlotte Frank

Als würde das Meer rauschen, aufgewühlt bis ins Dunkel, so klingt es, wenn Verena Mangold dem Leben nachspürt. Sie hält ihren Kopf ganz nah an den Bauch der jungen Frau, sie streicht über die Wölbung, bewegt tastend das Ultraschallgerät, da hat sie es: Ein hektisches Pochen mischt sich ins Rauschen, ein ungestümer Rhythmus - ein Herzklopfen. Von einem Jungen, keine 27 Wochen alt.

Bittere Pointe: Es gab nur eine Zeit, in der die Hebammen in Deutschland politisch massiv gefördert wurden - das war unter den Nationalsozialisten. (Bild aus dem Jahr 1941) (Foto: SCHERL)

"Toll. Eine Bilderbuch-Schwangerschaft", sagt Verena Mangold, sie lächelt. Später, als die Frau gegangen ist, sagt sie, es seien Momente wie jener, für die sie das alles noch mache. Trotz allem.

Verena Mangold ist freiberufliche Hebamme, mit neun Kolleginnen arbeitet sie in einer Hebammenpraxis im Münchner Stadtteil Lehel, in einer schönen Altbauwohnung mit hohen Decken und Fischgrätparkett, seit 15 Jahren schon. Noch. Noch kann sie das: Sich, wie gerade eben, eine Dreiviertelstunde Zeit nehmen für eine an sich unkomplizierte Patientin. Lange zuhören und nachfragen und erklären, was beim hektischen Arzttermin übergangen wurde. Theoretisch kann sie auch das Kind bei der Frau zu Hause auf die Welt holen.

Geschichte eines jahrtausendealten Kampfes

Praktisch aber verdient sie kaum Geld, im Gegenteil. Und sie muss so hohe Versicherungsprämien zahlen, dass sich Hebammen wie Verena Mangold in Deutschland immer schwerer tun, noch außerhalb der Kliniken arbeiten zu können. Auch wenn man sich Mitte Juli mit den Krankenkassen erst mal auf einen Kompromiss in der Versicherungsfrage einigte (siehe Kasten): Die Hebammenverbände fordern weiterhin eine deutlich bessere Bezahlung der Geburtshelferinnen. Der Berufsstand führt einen zähen Kampf, um sein Überleben, seine Unabhängigkeit, seinen Ruf.

Es ist nicht das erste Mal. Hebamme ist einer der ältesten Frauenberufe der Welt. Und einer, der in seiner langen Geschichte fast ununterbrochen angegriffen, unterdrückt und instrumentalisiert wurde - aber immer auch bewundert, mythologisiert, gefürchtet.

Die Geschichte der Hebammen ist die Geschichte eines jahrtausendealten Wissens. Und eines jahrtausendealten Kampfes.

"Auf, gehet und entbindet Rededet von den drei Kindern, die in ihrem Leibe sind." Mit diesen Worten soll der ägyptische Sonnengott Re die Göttinnen Isis, Nephtys, Mesechent, Hecket und Chnum seiner Frau zur Hilfe geschickt haben, als sie die ersten drei Pharaonen gebar. "Lasst sie uns sehen, wir verstehen uns aufs Entbinden", antworteten da die Göttinnen. Die Tempelmalereien von dieser Drillingsgeburt aus dem dritten Jahrtausend vor Christus sind eines der ältesten Zeugnisse der Hebammenkunst.

Es gibt wenige Berufe, deren Kunde so früh so ausführlich beschrieben wurde. So weiß man heute selbst, mit welchen Mitteln die Frauen im alten Ägypten den Gebärenden zu Leibe rückten: Bei Brusterkrankungen etwa verabreichten sie Salben aus Fliegenkot, Rinderkot, Honig und Salz. Ähnliche Schaurigkeiten über die Hebammenpraxis sind aus fast allen frühen Kulturen überliefert - aus Babylonien und Palästina, aus China, Japan, Indien und Mittelamerika und aus Germanien, wo es die Hebammen fast bis zum Rang von Priestern brachten.

Es mussten aber erst die Griechen und Römer kommen, damit die Geburtshilfe nicht mehr von Spekulation, Meditation und Sternenglauben geprägt wurde, sondern erstmals von kritisch-sachbezogenem Denken. Schon der Philosoph Sokrates, dessen Mutter Hebamme gewesen sein soll, unterschied die "Arzthebammen", die Kenntnisse in Pharmazie und Chirurgie hatten, von jenen ohne Ausbildung, die er abfällig "Hineintasterinnen" oder "Unter-den-Schenkel-Wegnehmerinnen" nannte.

Um 100 nach Christus fasste der Arzt Soranus von Ephesus in seinem Werk "Gynäkologie" erstmals die wissenschaftlichen Standards der Geburtshilfe zusammen und brachte damit das Fach maßgeblich voran. Griechen und Römern war die neue Kunstfertigkeit der Hebammen teuer: Wurde eine der zahlreichen Sklavinnen oder Tänzerinnen der Oberschicht schwanger, so achteten ihre Besitzer genau auf eine gute Entbindung. Denn Nachwuchs trieb den Preis der Frauen in die Höhe.

Diesen Skandal muss man sich erst einmal vorstellen: Auf einmal waren es Frauen, die Macht hatten über den Besitz der Oberschicht. Frauen, auf deren Hilfe die reichsten und mächtigsten Männer angewiesen waren. Frauen, die Kenntnisse hatten, von denen die männlichen Ärzte nur abschreiben konnten - es wird vermutet, dass Soranus sein Werk aus Überlieferungen von Hebammen zusammengestellt hat, schließlich durften Ärzte das weibliche Genital nicht berühren und keiner Geburt beiwohnen.

Selbst der berühmte Arzt Paracelsus gestand Jahrhunderte später: "Alles Wissen, das ich über die Medizin und die Wirkung der Heilkräuter habe, weiß ich von den Hexen und weisen Frauen." Das konnte ja nicht lange gutgehen.

Ging es auch nicht. Mit dem frühen Mittelalter begann das Leben als Hebamme gefährlich zu werden - durch das alle Lebensbereiche dominierende Christentum. Das alte Wissen schwand, es war eine Zeit der latenten Ketzerei, die Kirchen wähnten hinter jeder Ecke den Teufel am Werk.

"Keiner schadet der katholischen Kirche mehr als die Hebammen"

Vorerst wurden die Hebammen deshalb "nur" in den Dienst der Pfarrer gezwungen: Sie hatten die Pflicht, alle Neugeborenen persönlich zur Taufe zu bringen und im Fall eines Kindstods unter der Geburt die Nottaufe vorzunehmen. Waren sie zu einer Ledigen gerufen, mussten sie die Abstammung des Neugeborenen ausforschen und melden. Und holten sie ein behindertes Kind zur Welt, hatten sie die Mutter anzuzeigen.

So heißt es zum Beispiel im Eid der Hebammen der Stadt Aachen von 1537: "Solange ich Weißfrau bin, soll ich meinem Herrn Proffion (Pfarrer) getreu und hold sein und alle heimlichen Kinder meinem Herrn Proffion und der heiligen Send ansagen und keine außerhalb der Stadt Aachen und anderswohin zur Taufe tragen."

Doch es sollte noch schlimmer kommen: Hebammen wurden nicht nur gegängelt, sie wurden gejagt. Nachdem Papst Innozenz VII. im Jahr 1484 die Hexenlehre anerkannt hatte, stellten die Dominikanermönche Henricus Justitiore und Jakobus Sprenger in ihrem "Hexenhammer" klar: "Keiner schadet der katholischen Kirche mehr als die Hebammen."

Diese wirkten genau da, wo es dem Teufel ein Leichtes war, das gerade geborene, aber noch nicht getaufte Kind zu rauben. Sie könnten Empfängnis verhindern, Fehlgeburten herbeiführen und Neugeborene dem Satan opfern. Dazu müssten sie sich nur in einem unbeobachteten Moment aus dem Geburtszimmer schleichen und sich drei Mal mit dem Säugling auf dem Arm vor dem Bösen verneigen. Aus dem Kind würden sie dann Fett für ihre Reitgerten gewinnen, so lautete das böse Ammenmärchen.

Die Wahrheit aber war, dass zu jener Zeit nur die Hebammen über das Wissen verfügten, das Frauen die Macht gab, wenigstens zu einem kleinen Teil selbst über ihr Leben zu entscheiden. Doch ein großer Teil dieses Wissens ging verloren: Allein in Köln etwa wurden zwischen den Jahren 1627 und 1639 nahezu alle Hebammen der Stadt als Hexen verbrannt.

Aber die Hebammen waren zäh, sie wussten sich immer schon zu helfen. Also setzten sie dem Chaos und dem Aberglauben möglichst viel Ordnung und Wissen entgegen: Im ausgehenden Mittelalter entstanden Berufsordnungen für Hebammen. Mit der wahrscheinlich frühesten, bereits 1452 in Regensburg verfasst, wurde erstmals der Stand der geschworenen Hebamme geschaffen und eine einheitliche Ausbildung organisiert. Von da an regelten in immer mehr Regionen Verbote und Gebote die Arbeit der Hebammen - nicht immer zum Schlechtesten der Mütter.

So wurde 1580 Schäfern und Hirten in Württemberg das Entbinden verboten; für ein kleines Zubrot hatten sie bis dahin noch gerne ihre Lämmerscheren in der Geburtshilfe eingesetzt. 1568 verfügte Preußen, Hebammen dürften nicht mehr betrunken arbeiten - Geburten waren in der frühen Neuzeit oft Feste, bei denen kräftig gegessen und getrunken wurde.

Schritt für Schritt wurde der Berufsstand somit aufgewertet, von einer Geste weiblicher Nachbarschaftshilfe zu einem angesehenen Beruf. Das aber brachte neues Ungemach: Es rief die Männer auf den Plan und damit einen Konflikt, der im Grunde bis heute nicht ausgestanden ist, im Gegenteil; es ist der Konflikt zwischen Ärzten und Hebammen. Für viele ist es auch ein Konflikt zwischen Männern und Frauen, für manche gar ein Glaubenskrieg, in dem die Vorwürfe irgendwo im weiten Spannungsfeld zwischen den Polen "Kaiserschnitt-Terror" und "Barfuß-Hokuspokus" mit Wucht aufeinanderprallen.

Männer drängten in die Frauendomäne

Die Wahrheit liegt wohl, wie so oft, in der Mitte: Jahrhundertelang hatten die Frauen in der Geburtshilfe ihre Ruhe gehabt. Männer hielten es für unter ihrer Würde, in diesem Fach selbst Hand anzulegen. Väter durften während einer Entbindung allenfalls dafür sorgen, dass genug Wasser bereitstand, und Chirurgen wurden erst gerufen, wenn eine Gebärende in den Wehen gestorben war. Als sich 1521 ein Doktor Veites in Hamburg als Bademutter verkleidete und Frauen in Kindsnöten zur Hilfe eilte, wurde er kurzerhand verbrannt.

Je mehr sich der Berufsstand aber professionalisierte, mit desto mehr Macht drängten Männer in die Frauendomäne. Zunächst beanspruchten sie lediglich, den Hebammen das Examen abzunehmen. Dann richteten sie - auch angesichts der hohen Säuglingssterblichkeit - an mehreren Universitäten "Accouchierhäuser" ein. Als Nächstes wurde ab dem 18. Jahrhundert an chirurgischen Fakultäten geburtshilflicher Unterricht angeboten.

Wie sehr sich schon Anfang des 19. Jahrhunderts die Einstellung der Ärzte zur Geburtshilfe gewandelt hatte, zeigt ein Schreiben des Marburger Medizinprofessors Georg Wilhelm Stein aus dem Jahr 1801, in dem er erklärte, die akademischen Lehrer müssten den Hebammen "die Gränzen ihres Handwerks" deutlich machen: "Man müsste sie mehr vor demjenigen warnen, was sie nicht thun; als sie lehren wollen, was sie thun sollen", schrieb er. 1829 ergänzte der Gynäkologieprofessor Eduard Caspar Jacob von Siebold aus Göttingen: "Es möchte jedoch die Geburtshülfe von Männern ausgeübt, unbedingt den Vorzug erhalten."

Siebolds Wunsch ging endgültig in Erfüllung, als im 20. Jahrhundert das Geburtsgeschehen fast ausnahmslos in die Kliniken verlegt wurde. Schon 1960 wurde jedes zweite Kind im Krankenhaus auf die Welt geholt. Heute sind von Hebammen betreute Hausgeburten die absolute Ausnahme.

Frauen wie die freiberufliche Hebamme Verena Mangold aus München beschränken sich mittlerweile auf die Geburtsvorbereitung und die Wochenbettbetreuung, ein wichtiges Feld ihrer Arbeit, die Geburtshilfe, hat sie nach 20 Jahren aufgegeben. "Man muss schon sehr idealistisch sein, um zu versuchen, davon zu leben", sagt Verena Mangold, steigt vor ihrer Praxis auf ein blaues Fahrrad und radelt zum nächsten Termin - für Anfahrten mit dem Auto bekommt sie nur 59 Cent pro Kilometer, das lohnt sich nicht.

Es ist eine bittere Pointe, dass es nur eine Zeit gab, in der die Hebammen politisch massiv gefördert wurden - das war unter den Nationalsozialisten. Im Zuge ihrer rassischen "Gesundheits"- und Familienpolitik machten sie die Hebammen zu "Hüterinnen der Nation" und schrieben jeder schwangeren Frau per Gesetz eine "Beziehungspflicht" zu einer Hebamme vor. Den Frauen wurde die Pflicht auferlegt, die Familien zu Hause auszuspionieren, Fehlbildungen und Krankheiten von Neugeborenen zu melden und "lebensunwertes" Leben aufzuspüren. Teilweise wurden sie auch zu Zwangssterilisierungen und zu Abtreibungen hinzugezogen.

Ausgerechnet jene Zeit, in der die Hebammen wie nie zuvor geschätzt wurden, war das Grauen.

© SZ vom 24.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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